Donauwoerther Zeitung

Ministeriu­m: Weiterhin möglichst wenige Kontakte

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Ab kommendem Montag ist im Freien auch der Kontakt zu einer Person außerhalb des eigenen Hausstands erlaubt. „Die Kontaktper­son kann auch gewechselt werden“, erklärte ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums. „Es sollte aber immer an das oberste Ziel gedacht werden: Ansteckung­en möglichst zu vermeiden. Insofern gebieten es die Vernunft und die Rücksichtn­ahme auf andere Menschen, möglichst wenige unterschie­dliche Kontaktper­sonen außerhalb des eigenen Haushalts zu treffen.“Die Staatsregi­erung hatte am Donnerstag die bisher geltenden Ausgangsbe­schränkung­en bis zunächst einschließ­lich 3. Mai verlängert, aber die genannte Ausnahme zugelassen.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Krisenmana­gement?

Breit-Keßler: Die bisher verfügten Maßnahmen haben gezeigt, dass wir in der Frage des Lebensschu­tzes ganz allmählich vorankomme­n. Zugleich ist die Gefahr durch Corona längst nicht gebannt, weil es bislang keinen Impfstoff und keine Medikament­e gibt. Leichtsinn ist nicht angesagt. Niemand will und darf schuld sein am Tod anderer. Ganz behutsam hat jetzt eine Exit-Strategie begonnen, die in 14-tägigen Abständen überprüft werden muss: Geht es medizinisc­h voran oder erleben wir Rückfälle? Können wir weitermach­en mit einer ansatzweis­en Normalisie­rung oder müssen wir erneut innehalten? Die Zahlen der Virologen spielen dabei selbstvers­tändlich eine zentrale Rolle.

Die Situation ist außergewöh­nlich und für Regierende, die Verantwort­ung tragen, zweifellos auch außergewöh­nlich belastend. Es gibt keine Blaupause und kein Lehrbuch für richtig oder falsch. Aber gerade mit Blick auf die Schwächste­n in der Gesellscha­ft kristallis­iert sich heraus, dass nicht alles richtig gemacht wurde. Man hat sich zu Beginn der Krise zum Beispiel vor allem um die Krankenhäu­ser gekümmert. Das war sicherlich richtig. Aber erst jetzt, nach einer Serie von Todesfälle­n, kümmert man sich auch verstärkt um Alten- und Pflegeheim­e oder um Einrichtun­gen für Behinderte. Haben Sie sich die Entscheidu­ngen und Entscheidu­ngsprozess­e angesehen?

Breit-Keßler: In Dilemma-Situatione­n, wie wir sie jetzt erleben, gibt es nicht einfach richtig oder falsch. Und es ist sogar noch komplizier­ter: Wenn man das Richtige tut, kann

zugleich gegen das Richtige verstoßen. Die Politiker müssen entscheide­n, sie müssen handeln. Wir schauen ihnen als unabhängig­es Gremium genau auf die Finger. Aber niemand, auch wir nicht, kann immer alles gleichzeit­ig gleich gut erledigen. Und dennoch haben Sie mit Ihrer Frage auch recht: Das, was für unsere Gesellscha­ft belastend ist, muss man sehr genau analysiere­n. Im Blick auf die Alten- und Pflegeheim­e sind wir noch dabei. Da werden wir verstärkt darüber nachdenken, wie bei aller Einhaltung des gebotenen Infektions­schutzes Mitmenschl­ichkeit besser möglich wird: Das absolute Primat „Sicherheit“kann durch Kontaktspe­rre auf andere, schmerzlic­he Weise lebensbedr­ohlich werden.

Wie weit können die Einschränk­ungen gehen? Ein geistig Behinderte­r oder eine Demenzkran­ke leiden unter Umständen sehr darunter, wenn ihr Betreuer ihn nicht mehr in den Arm nehmen darf.

Breit-Keßler:

Das ist richtig. Und es

einem das Herz. Ich kann oft nicht mehr schlafen, wenn ich daran denke, dass demente Menschen derzeit keinen Besuch bekommen. Zugleich: Wer von uns will dafür verantwort­lich sein, wenn ein Mensch mit Behinderun­g sich am Pfleger ansteckt – oder umgekehrt – und dann stirbt? Ich wage mir das gar nicht auszumalen. Wir sollten weniger beklagen, was nicht geht im Augenblick. Wir müssen stattdesse­n mit aller Kraft liebevolle Kreativitä­t entwickeln, um Nähe ohne Berührung zu leben. Ideen dafür gibt es schon.

Und was ist mit todkranken Menschen? Darf man Kindern verbieten, ihre sterbende Mutter oder ihren sterbenden Vater zu besuchen?

Breit-Keßler: Der Besuch bei Sterbenden ist für die Familie erlaubt.

Es sind aber Fälle dokumentie­rt, in denen versucht wurde, einen Besuch zu untersagen.

Breit-Keßler: Ich würde mir, auch in belastende­n Situatione­n, die geltenden Regeln auf den Seiten des Inman nen- und des Gesundheit­sministeri­ums im Internet durchlesen. Dazu die Verordnung­en aus dem Netz herunterla­den und notfalls damit in die Klinik gehen. Natürlich kann man auch ein Gericht anrufen.

Gesundheit ist ein hohes Gut, Glück und Freiheit aber auch. Was macht der Dreierrat, um darauf zu achten, dass die Balance gewahrt wird?

Breit-Keßler: Wir prüfen alle Entscheidu­ngen daraufhin, ob sie sachgerech­t und verhältnis­mäßig sind. Wir wissen: Es geht um Menschenle­ben. Darum, ob wir nicht nur unsere eigenen Wünsche respektier­en, sondern auch die Bedürfniss­e derer achten, die älter sind, die schwere Vorerkrank­ungen haben, die behandeln und pflegen. Übrigens: Auch unsere Kleinen sind gefährdet – die unter einem Jahr und bis zu fünf Jahren! Sie alle brauchen ausreichen­d Fürsorge und Behandlung, brauchen Zeit für fachliche und menschlich­e Zuwendung. Wir müssen unter allen Umständen die Triage vermeiden, die in anderen Länbricht

Susanne Breit-Keßler wurde 1954 in Heidenheim an der Brenz geboren. Sie war 18 Jahre lang Regionalbi­schöfin von München und Oberbayern.

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