Strohmann-Prozess: BGH hebt das Urteil auf
Insolvenzverschleppung, Schuldnerbegünstigung, ein falscher Geschäftsführer: Wegen Rechtsfehlern wird der Prozess neu aufgerollt
Nördlingen Das Urteil gegen einen Nördlinger Wirt im März 2018 schien klar: Er sollte wieder ins Gefängnis, und zwar für drei Jahre und drei Monate. Im Raum standen vorsätzliche Pflichtverletzung bei Zahlungsunfähigkeit, Verletzung der Buchführungspflicht in zwei Fällen, vorsätzlicher Bankrott in 25 Fällen und das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 23 Fällen. Richter Wolfgang Natale sagte damals zu dem 60-Jährigen: „Schlimmer geht’s eigentlich nicht mehr.“Der Rieser war kaum von seiner ersten Haftstrafe entlassen worden, zur Bewährung, da war er wieder straffällig geworden. Natale prognostizierte, dass es wegen der „Rückfallgeschwindigkeit“nicht zu einer vorzeitigen Entlassung kommen werde. Der Richter sollte recht behalten. Dazu wird es nicht kommen. Doch Grund ist nicht die ungünstige Sozialprognose, sondern Fehler aufseiten der Richter.
Der Prozess wird neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil am Landgericht Augsburg von Richter Natale aufgehoben. Laut BGH war „der Schuldspruch wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung rechtsfehlerhaft“. Dass der Wirt Pleite gewesen sein soll, habe vom Gericht nicht belegt werden können. Das wiederum entziehe die Grundlage für die Verurteilung des mitangeklagten Anwalts aus dem Landkreis DonauRies wegen Schuldnerbegünstigung, der in den Fall verwickelt ist. Der Anwalt hatte den Wirt in einem vorausgegangenen Prozess wegen Insolvenzverschleppung vertreten, in dem der Nördlinger rechtmäßig verurteilt worden ist.
Vor Gericht stand außerdem ein Strohmann, der die Geschäfte des
Lokals führen sollte, was dem Nördlinger wegen seiner strafrechtlich nicht gerade unauffälligen Vergangenheit nicht erlaubt war. Während das Verfahren gegen den Strohmann zu einem frühen Zeitpunkt im Prozess eingestellt worden ist, stand für den Anwalt aus dem Landkreis Donau-Ries viel auf dem Spiel. Natale verurteilte ihn wegen
Schuldnerbegünstigung in 14 tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. Außerdem sollte er die rund 57 600 Euro zurückzahlen, die über seine Konten und Kassen gelaufen sind. Dazu die Auflage: 15000 Euro an drei gemeinnützige Einrichtungen.
Verteidiger Florian Engert sagte während des Prozesses 2018, dass sein Mandant, der Steuerberater, „Bank gespielt“habe, aber freizusprechen sei. „Die Frage der Zahlungsunfähigkeit ist nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Tiefe aufgearbeitet und festgestellt worden“, sagte er gegenüber unserer Zeitung: „Sämtliche Zahlungsflüsse über die Kanzlei waren transparent und nachvollziehbar, zumal jeder Betrag noch am gleichen Tag ans Finanzamt abgeführt worden ist.“Es habe keine Fake-Akten gegeben, auf den Akten stand der Name. Die damalige Staatsanwältin Simone Bader sah das anders. Dass Geld über Fake-Konten beiseitegeschafft worden ist, hielt sie für erwiesen. Der Revision von Rechtsanwalt Engert wurde schließlich stattgegeben.
Nicht alle Komplexe des Falles müssen neu aufgerollt werden. Das Verfahren gegen den Anwalt ist gegen eine Zahlung in Höhe von 24 000 Euro – zu zahlen an mehrere gemeinnützige Organisationen – eingestellt worden, wie ein Sprecher des Landgerichts Augsburg unserer Redaktion sagte. Der BGH kommt nämlich wie das Landgericht zu dem Schluss, dass der Wirt einen Strohmann eingesetzt und somit als faktischer Geschäftsführer gehandelt hat – also als Chef seines Betriebs aufgetreten ist, obwohl er das nicht durfte.
Im Beschluss des Bundesgerichtshofs heißt es dazu: „Insbesondere ist aussagekräftig belegt, dass der Angeklagte gegenüber dem formellen Geschäftsführer, der sich ihm unterordnete und ihn als weisungsbefugt akzeptierte, eine beherrschende Stellung innehatte.“Einen ausreichenden Beleg dafür, dass die UG zum damaligen Zeitpunkt zahlungsunfähig oder überschuldet war, gebe es nicht. Dies sei jedoch Voraussetzung „für die strafbewehrte Pflicht“, einen Insolvenzantrag zu stellen.
Als Zeugen sagten am Prozessauftakt (21. Februar 2018) unter anderem Handwerker aus dem Ries aus, deren Rechnungen nie beglichen worden sein sollen. Die Prozessbeteiligten hörten auch einen Gerichtsvollzieher, der regelmäßig im Betrieb war. „Da war ich öfters wegen Vollstreckungsmaßnahmen“, sagte der Zeuge. Das Geld sei entweder überwiesen worden oder der Wirt habe es ihm in Umschlägen überreicht.
Eigentlich hätte die Neuauflage des Nördlinger Strohmann-Prozesses im März und im April vor der elften Strafkammer des Landgerichts Augsburg verhandelt werden sollen. Durch die Corona-Pandemie sind die Termine allerdings auf den 30. Juni und 2. Juli verschoben worden.
Ein Beteiligter kommt nach Zahlung frei