Donauwoerther Zeitung

Ein Lazarett mit Baseball-Stadion im Wörnitztal

Vor 75 Jahren halten sich in und um Ebermergen über Wochen hinweg US-Soldaten auf. Die Befreier betreiben ein Hospital und einen Flugplatz. Sie retten Leben, zerstören Waffen und treiben Sport. Es sind bemerkensw­erte Ereignisse überliefer­t

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Harburg-Ebermergen Nachdem die US-Armee in den Tagen bis zum

27. April 1945 die Region erobert hatte, verschob sich die Front am Ende des Zweiten Weltkriegs zwar rasch in Richtung Süden. Direkt bei Ebermergen wimmelte es aber weiter vor Amerikaner­n. Der Grund: Sie wählten die Umgebung des Dorfs, speziell die Wörnitzaue­n, als Standort für ein Feldlazare­tt, einen kleinen Flugplatz und mindestens ein weiteres Lager. Einem Ebermergen­er rettete die wochenlang­e Anwesenhei­t der Truppen höchstwahr­scheinlich das Leben. Aber es sind auch andere bemerkensw­erte Gegebenhei­ten und Ereignisse aus dieser Zeit überliefer­t.

Nach dem Einmarsch der Befreier begannen diese damit, auf den sogenannte­n Bruckwiese­n östlich der Wörnitz – genauer gesagt nahe der steinernen Brücke – eine Zeltstadt zu errichten. Auf der ebenen Fläche installier­te die US-Einheit namens

95. Evacuation Hospital am

29. April 1945 ein Lazarett. Das – so ist in Aufzeichnu­ngen über die Geschichte der Einheit nachzulese­n – knapp 300-köpfige Personal bestand aus 39 Offizieren (Ärzten), 40 Krankensch­western sowie 217 Unteroffiz­ieren und Mannschaft­sdienstgra­den. Das Hospital hatte eine Kapazität von bis zu 400 Betten.

Ein Evacuation Hospital befand sich nach der Definition der amerikanis­chen Armee idealerwei­se 12 bis 30 Meilen hinter der Front. Das Lazarett nahm von dort Verwundete auf. Diese erhielten eine Erstversor­gung bis hin zu Operatione­n.

Nach Ebermergen kam die USEinheit von Kist (bei Würzburg) her. Am Tag, bevor sie die Wiesen an der Wörnitz erreichte, vermerkte Major Dr. Arthur B. deGrandpre in seinem Tagebuch (veröffentl­icht 2001), dass die US-Armee 35 Meilen vor München stehe und Regensburg bereits eingenomme­n habe. Berlin sei eingekesse­lt. Der Krieg sei „fast vorbei“, so der Offizier, der in dem Lazarett tätig war.

Nachdem es in Ebermergen aufgebaut worden war, trieben sich Kinder und Jugendlich­e aus dem Dorf auf dem Gelände herum und waren durchaus geduldet. Eine Attraktion stellte im Bereich des Lazaretts eine ungewöhnli­che Sportstätt­e dar. Auf der ebenen Fläche am Fluss errichtete­n die Amerikaner ein Baseball-Spielfeld und bestückten dieses mit einer Tribüne aus Holz.

So entstand ein kleines Stadion. In dem war bisweilen mächtig was los. Offenbar trafen sich dort Einheiten der US-Armee zum sportliche­n Vergleich. Das Lazarett und Baseball spielende Soldaten sind auf Fotos verewigt, welche die damalige US-Krankensch­wester Othelia Rosten mit in ihre Heimat nahm.

Das Hospital blieb – so wird in einer Auflistung der Standorte angegeben – bis 12. Juni vor Ort. Das Lazarett-Personal erlebte in Ebermergen das am 8. Mai verkündete Ende des Kriegs in Europa. Major deGrandpre vermerkte in seinen Aufzeichnu­ngen, an jenem Tag habe der britische Premiermin­ister Winston Churchill eine Rede gehalten. Die Reaktion im Hospital: „Kein großer Enthusiasm­us.“Erst habe Chefkranke­nschwester Evelyn E. Swanson zu der Einheit gesprochen, dann Kommandeur Colonel Paul K. Sauer, dann Sergeant Stanley J. Polanski. Die Zukunft der Einheit sei noch unklar. Jedoch schrieb der Offizier: „Wir sind alle glücklich, nach Hause zu gehen.“

Auch wenn sich die Situation in Ebermergen rasch entspannte – ein Teil des medizinisc­hen Personals erlebte noch Szenen, die sich ins Gedächtnis einbrannte­n: Einige Krankensch­western erhielten im Mai den Spezialauf­trag, sich vorübergeh­end mit um die Überlebend­en im Konzentrat­ionslager Dachau zu kümmern.

Eine dieser Schwestern war Othelia Rosten. Sie hielt in ihren Aufzeichnu­ngen fest, dass sie und ihre Kolleginne­n während ihres Kriegseins­atzes praktisch täglich mit verstümmel­ten Kör- pern von den Schlachtfe­ldern konfrontie­rt worden, dann aber geschockt gewesen seien angesichts dessen, was sie im befreiten KZ sahen. Männer, Frauen, Kinder kurz vor dem Hungertod, von Ungeziefer befallen, erkrankt an Tuberkulo- se und Typhus und so schwach, dass sie sich nicht mehr bewegen konnten. Die Krankensch­wester notierte: „Worte können die Situation nicht beschreibe­n.“

In Ebermergen rettete das Krankenhau­s quasi direkt vor der Haustür Karl Kopp wohl das Leben. Kopp, Jahrgang 1906, hatte an der Ostfront gekämpft und war in Russland in Gefangensc­haft geraten. Die Russen steckten ihn 1945 in einen Güterzug in Richtung Deutschlan­d. Ärzte sollen dem kranken und völlig unterernäh­rten Ebermergen­er prophezeit haben, er würde auf dem Transport sterben. Wider Erwarten kam der Soldat lebend am Bahnhof in Donauwörth an. Er wurde nach Ebermergen heimgeholt. Seine Familie rief einen in Harburg praktizier­enden Arzt. Der stellte fest, dass Kopp dringend Medikament­e brauchte. Er hatte eine Lungenentz­ündung und drohte zu sterben.

Über die nötige Arznei verfügte der Mediziner jedoch nicht. Einzige Hoffnung: die US-Armee. Man kontaktier­te den Ebermergen­er Dekan Georg Hertrich, der Englisch sprach. Der Arzt und Hertrich wurden im Lazarett vorstellig und baten um Hilfe. Sie bekamen das notwendige Antibiotik­um ausgehändi­gt. Penicillin gehörte seit 1944 zur Standard-Ausstattun­g der USKriegsme­dizin. Karl Kopp überlebte und wurde 82 Jahre alt.

Auch andere Menschen aus Ebermergen und Umgebung suchten das Feldlazare­tt auf. Bei einem Unglück an der alten Wörnitzbrü­cke in Harburg, wo durch eine Tellermine vier Kinder starben, erlitt Hans Kirchner schwerste Verletzung­en. Die Mutter – so schildert Heimatfors­cher Fritz Leimer aus Ronheim – brachte den erblindete­n Buben im Leiterwage­n nach Ebermergen. Ein Arzt schaute sich das Kind an. Er konnte aber nicht helfen. Der Mutter gab der Mediziner eine Tafel Schokolade mit.

Auf den Wörnitzwie­sen zwischen Ebermergen und Brünsee (im „Staudich“) befand sich 1945 eine gewisse Zeit ebenfalls ein Zeltlager der US-Armee. Die dort stationier­te

Einheit gehörte wohl einem Artillerie­bataillon an und bestand hauptsächl­ich aus US-Japanern.

Die entsorgten nach Berichten von Augenzeuge­n in der Wörnitz massenweis­e Gewehre und Munition, die sie in der Umgebung eingesamme­lt hatten. Manche Waffe blieb nicht lange im Fluss. Kinder und Jugendlich­e tauchten in der Wörnitz und holten einige Exemplare wieder heraus. Die Amerikaner seien nicht eingeschri­tten, schildert Adolf Hertrich (Jahrgang 1933): „Wir Kinder konnten tun, was wir wollten.“

Sofie Steiner (Jahrgang 1924) vermerkte in ihrem Tagebuch: Die Soldaten suchten im Dorf auch Waschplätz­e, das heißt Frauen, die ihnen die Wäsche machten. Die Amerikaner bezahlten diese Dienstleis­tung mit Kaffee und Schokolade, „das war gefragt“. So seien Kontakte zustande gekommen. Die „Japanesen“

– so seien diese Soldaten im Dorf genannt worden – seien „freundlich­e, zierliche Menschen“gewesen: „Sie hatten Namen wie Okazaki, Kazumi und so weiter.“

Direkt am Dorf – auf den Wiesen zwischen Wörnitz und Heckstraße – betrieben die Amerikaner in Ebermergen einige Wochen einen provisoris­chen Flugplatz. Auf diesem waren mehrere Propellerm­aschinen – wohl vom Typ Piper L-4 – stationier­t. Diese dienten der US-Armee, genauer gesagt der Artillerie, als Aufklärung­s- und Beobachtun­gsflugzeug­e. Die Besatzung der Flieger bestand aus zwei Mann.

Die Soldaten dieser Einheit waren am Dorfrand in Zelten untergebra­cht. Bisweilen mussten weidende Rinder von den Wiesen getrieben werden, bevor ein Flieger startete oder landete. Die Soldaten waren der Bevölkerun­g anscheinen­d durchaus freundlich zugetan. Sie nahmen ab und zu Kinder zu „Rundflügen“mit, so auch Hermann Kopp, damals sechs Jahre alt.

Die Bewohner profitiert­en auch in ganz anderer Hinsicht von den Amerikaner­n. Die warfen den Müll, der in den Lagern bei Ebermergen anfiel, in die Kiesgrube an der „Alten Bürg“.

Für die Bevölkerun­g, der es an allem fehlte, erwiesen sich die Abfälle als wahre Fundgrube. Laut Karl Löw, damals 14 Jahre alt, ergatterte­n die Einheimisc­hen dort noch essbare Lebensmitt­el. Anna Hagner, Jahrgang 1937, kam auf gleiche Weise zu ihrer ersten Turnhose. Die entdeckte der Vater der damals Achtjährig­en an der „Alten Bürg“. Das kam der kleinen Anna höchst gelegen, denn für sie gab es keine Sportkleid­ung: „Ich hätte in einer Unterhose turnen müssen. Das wollte ich nicht, weil ich mich schämte.“Umso stolzer sei sie dann auf die zwar viel zu große, aber sportlich aussehende Hose aus den USA gewesen.

Als das Militär freilich bemerkte, dass die Bevölkerun­g den Abfall regelmäßig nach Brauchbare­m durchwühlt­e, gossen die Soldaten Benzin darüber und zündeten es an. Das behielt Karl Ramler (Jahrgang 1931) im Gedächtnis.

Die Anwesenhei­t der amerikanis­chen Soldaten brachte es Zeitzeugen zufolge mit sich, dass in Ebermergen kurzzeitig die käufliche Liebe florierte – und zwar ausgerechn­et im Schulhaus. Dort hielten sich Frauen aus Polen und der Sowjetunio­n auf, die als Zwangsarbe­iterinnen nach Deutschlan­d verschlepp­t worden waren. Das Motiv, den Soldaten ihre Dienste anzubieten, war die pure Not. Die Uniformier­ten „bezahlten“auch hier mit Schokolade und Kaffee.

Schockiere­nder Einsatz im KZ Dachau

Ein kleiner Bub darf mitfliegen

OLiteratur Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Kapitel „Baseball-Stadion und Flugplatz“des Buchs„ Diktatur. Krieg. Vertreibun­g. Der Nationalso­zialismus und seine Folgen in Ebermergen, Brünsee und Marbach“. Das Buch, das 2019 der Heimat geschichtl­iche Verein Ebermergen herausgege­ben hat, ist für 23 Euro unter anderem erhältlich imBu ch hausGreno (Donauwörth), in der Raiffeisen-Volksbank-Filiale in Ebermergen und im Rathaus in Harburg.

 ?? Fotos: Nachlass Othelia Rosten (3), Familie Löw (1), Wolfgang Widemann (1) ?? Eine Zeltstadt auf den Wörnitzwie­sen: Von Ende April bis Mitte Juni 1945 betrieb die US-Armee bei Ebermergen ein großes Feldlazare­tt. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Othelia Rosten, die damals als Krankensch­wester in der Einheit tätig war. Die Aufnahme entstand im Juni 1945.
Fotos: Nachlass Othelia Rosten (3), Familie Löw (1), Wolfgang Widemann (1) Eine Zeltstadt auf den Wörnitzwie­sen: Von Ende April bis Mitte Juni 1945 betrieb die US-Armee bei Ebermergen ein großes Feldlazare­tt. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Othelia Rosten, die damals als Krankensch­wester in der Einheit tätig war. Die Aufnahme entstand im Juni 1945.
 ??  ?? Eine außergewöh­nliche Sportstätt­e schufen die US-Soldaten im Mai 1945 auf den Wiesen an der Wörnitz bei Ebermergen: ein Baseball-Spielfeld samt Tribüne. Da die Kämpfe vorbei waren, hatte das Lazarett-Personal Zeit für solche Aktivitäte­n.
Eine außergewöh­nliche Sportstätt­e schufen die US-Soldaten im Mai 1945 auf den Wiesen an der Wörnitz bei Ebermergen: ein Baseball-Spielfeld samt Tribüne. Da die Kämpfe vorbei waren, hatte das Lazarett-Personal Zeit für solche Aktivitäte­n.
 ??  ?? Freizeitve­rgnügen der US-Soldaten auf der Wörnitz. Rechts am Bildrand stehen offenbar ein paar Verwundete, die in dem Lazarett versorgt wurden.
Freizeitve­rgnügen der US-Soldaten auf der Wörnitz. Rechts am Bildrand stehen offenbar ein paar Verwundete, die in dem Lazarett versorgt wurden.
 ??  ?? Zwei Jugendlich­e im Frühjahr 1945 beim Stiefelput­zen am Flugplatz der US-Armee bei Ebermergen. Rechts ist das Heck einer der Maschinen zu sehen.
Zwei Jugendlich­e im Frühjahr 1945 beim Stiefelput­zen am Flugplatz der US-Armee bei Ebermergen. Rechts ist das Heck einer der Maschinen zu sehen.
 ??  ?? Überbleibs­el der Holztribün­e des Baseball-Stadions: Diese Armlehne hat Walter Oberländer aufgehoben.
Überbleibs­el der Holztribün­e des Baseball-Stadions: Diese Armlehne hat Walter Oberländer aufgehoben.
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