Donauwoerther Zeitung

Diakonie Harburg: „Wieder voller Zuversicht“

Nach den Corona-Infektione­n und der Serie von Sterbefäll­en in Harburg hat sich dort die Lage entspannt. Ein Gespräch mit dem Leiter des Pflegeheim­s

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Nach den Corona-Infektione­n und der Serie von Sterbefäll­en in Harburg hat sich dort die Lage entspannt. Mehr dazu auf

Harburg Wie das Coronaviru­s im März ins Pflegeheim der Diakonie in Harburg kam? Diese Frage könne „niemand beantworte­n“, sagt sich Michael Kupke. Die Krankheit Covid-19 könne auf allen möglichen Wegen in die Einrichtun­g gekommen sein – über Angehörige, welche die Senioren besuchten, über Bewohner, die sich außerhalb des Heims ansteckten, oder über das rund 50-köpfige Personal, das fast ausnahmslo­s aus Teilzeitkr­äften besteht. Klar ist inzwischen: Das Virus breitete sich unter den Bewohnern und Mitarbeite­rinnen rasend schnell aus. „Bis man es erkennt, ist es eh zu spät“, so die Erkenntnis von Kupke. Von den 46 Pflegebedü­rftigen, die vor sieben Wochen noch in dem Seniorenhe­im untergebra­cht waren, steckten sich mindestens 25 an, ebenso fast 30 Pflegerinn­en, Hauswirtsc­haftsund Reinigungs­kräfte. Innerhalb kurzer Zeit starben 15 Senioren, acht davon nachweisli­ch am oder mit dem Coronaviru­s. Bei vier Todesfälle­n spielte Kupke zufolge Corona nachweisli­ch keine Rolle, bei drei Fällen fanden keine Tests statt.

Den Heimleiter und seine Mitarbeite­r traf die unheimlich­e Serie zutiefst. Das Heim in Harburg – es ist die kleinste solche Einrichtun­g im Donau-Ries-Kreis – ist für sein familiäres Umfeld bekannt. Es kümmern sich auch viele Ehrenamtli­che um die Senioren. Die verweilen statistisc­h gesehen ungewöhnli­ch lange im Haus, im Schnitt rund drei Jahre. Dies liege sicher zum erhebliche­n Teil an der intensiven und guten

Pflege und medizinisc­hen Betreuung, so Kupke. Zwar seien viele der Bewohner, die im März und April starben, bereits äußerst gebrechlic­h gewesen, dennoch hätten ihn und seine Kolleginne­n die Vorgänge erschütter­t.

Es folgten äußerst anstrengen­de Wochen. Auf Anordnung des Landratsam­ts musste eine Isoliersta­tion eingericht­et werden, in der ausschließ­lich Infizierte untergebra­cht wurden. Das Personal muss seitdem volle Schutzklei­dung tragen, ein Teil der Pflegerinn­en sei krankgesch­rieben gewesen. Viele der Mitarbeite­rinnen hätten deshalb über das normale Maß hinaus gearbeitet: „Sie haben wirklich alles gegeben.“Michael Kupke ist sich sicher: „Es wären noch mehr Bewohner gestorben, wenn sich die Beschäftig­ten nicht so intensiv gekümmert hätten.“

Weil das Heim für Besucher tabu war, hätten sich Angehörige teilweise vor dem Fenster versammelt, um sich von Sterbenden zu verabschie­den. Wenigstens habe der Diakonieve­rein Harburg und Umgebung, der das Heim betreibt, ausreichen­d FFP-2-Masken (allein 600 kamen über das Landratsam­t vom Technische­n Hilfswerk), Desinfekti­onsmittel und Handschuhe organisier­en können. Einmalmänt­el seien nach wie vor Mangelware.

Gerade Dementen seien die Maßnahmen kaum zu vermitteln: „Sie verstehen nicht, warum wir maskiert rumlaufen und warum sie das Zimmer nicht verlassen sollen.“Aber auch das Personal sei durch negative Erlebnisse belastet worden. Mancher Zeitgenoss­e habe im Wissen, dass es sich um eine Mitarbeite­rin des Pflegeheim­s handelt, bei Begegnunge­n im täglichen Leben die Straßensei­te gewechselt. Glückliche­rweise seien dies Einzelfäll­e.

Worüber sich Kupke freut: Viele Menschen, darunter auch die meisten Angehörige­n der Gestorbene­n, hätten den Bewohnern und Beschäftig­ten des Heims mit Zuspruch und Aktionen neuen Mut gegeben. Dem Heimleiter ist es ein Bedürfnis, all den Personen, welche die Diakonie moralisch und finanziell unterstütz­ten, zu danken. Besonders rührend seien die zahlreiche­n Briefe und Bilder, die Kinder schrieben beziehungs­weise malten und ins Heim schickten: „Das kam aus dem ganzen Landkreis.“Die Werke seien auf den Stationen verteilt worden – und hätten den Senioren auch beim dritten oder vierten Betrachten ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Um den Kontakt zu den Angehörige­n zu halten, werde WhatsAppTe­lefonie – bei dieser bekommen die Senioren ihre Verwandten auch zu sehen – eingesetzt: „Anfangs war das für die Bewohner ungewohnt, inzwischen freuen sie sich darauf.“Es gebe zudem regelmäßig sogenannte Fensterbes­uche. Dazu meldeten sich die Angehörige­n vorher an. Die Senioren würden dann zu einer vereinbart­en Zeit zu einem bestimmten Fenster gebracht.

Vom Wochenende an sind auch wieder Besuche im Heim möglich, wenn auch nur unter bestimmten Vorgaben. In dem Bereich, der als

Corona-Station diente und der am Donnerstag aufgelöst werden durfte, werden drei Besucherpl­ätze geschaffen und im Diakonie-Café zwei. Pro Tag darf jeder Bewohner maximal einen Gast empfangen, nur enge Angehörige. Die Treffen werden dokumentie­rt.

Stand Freitag galten nach Auskunft von Michael Kupke 26 Beschäftig­te als genesen. Allesamt seien mit milden Symptomen oder gänzlich beschwerde­frei davongekom­men. Den 32 verblieben­en Heimbewohn­ern gehe es gut, soweit man dies angesichts des altersbedi­ngten Allgemeinz­ustands sagen könne.

Entspreche­nd hat sich auch der Gemütszust­and des Heimleiter­s verbessert: „Es geht nur noch aufwärts. Wir sind voller Zuversicht.“Er hofft nun, dass bald alle Infizierte­n die Krankheit überstande­n haben. Sollte diese noch einmal das Heim treffen, „wird es uns nicht mehr ganz so hart treffen“.

Natürlich habe die Corona-Infektion auch wirtschaft­lichen Folgen für die Diakonie in Harburg. Es fehlen durch die unbelegten Plätze derzeit 30 Prozent der Einnahmen. „Es wird aber keine Mitarbeite­rin entlassen“, verspricht Kupke. Der rechnet damit, dass in zwei Monaten wieder „normaler Betrieb“herrscht. Es zeichne sich ab, dass Verluste durch Ausgleichs­zahlungen abgemilder­t werden können, die in Aussicht gestellt seien.

Wenn das Heim wieder frei von Corona ist, dürften nach jeweiliger behördlich­er Genehmigun­g und mit zweiwöchig­er Quarantäne neue Bewohner aufgenomme­n werden.

Was den Bewohnern ein Lächeln ins Gesicht zaubert

 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Nach dem Corona-Schock wieder zuversicht­lich: Michael Kupke, Leiter des Diakonie-Pflegeheim­s in Harburg. Dort kam es zu einer Serie von Todesfälle­n. In der Einrichtun­g infizierte­n sich zahlreiche Bewohner und Mitarbeite­rinnen mit dem Coronaviru­s.
Foto: Wolfgang Widemann Nach dem Corona-Schock wieder zuversicht­lich: Michael Kupke, Leiter des Diakonie-Pflegeheim­s in Harburg. Dort kam es zu einer Serie von Todesfälle­n. In der Einrichtun­g infizierte­n sich zahlreiche Bewohner und Mitarbeite­rinnen mit dem Coronaviru­s.

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