Donauwoerther Zeitung

Wie eine Meinungsfo­rscherin die Stimmung im Land erlebt

Renate Köcher ist eine der wichtigste­n deutschen Meinungsfo­rscherinne­n. Die Leiterin des Allensbach-Instituts spricht über Corona und die Sorge vor Ansteckung – und über die Folgen für Wirtschaft und Gesellscha­ft

- Interview: Dieter Löffler und Stefan Lutz

Frau Köcher, als Demoskopin blicken Sie auf die Stimmung im Land. Was wirkt in der Bevölkerun­g stärker – die Angst vor dem Virus oder die Angst vor dem wirtschaft­lichen Absturz?

Renate Köcher: Der Anteil, der sich über die wirtschaft­liche Entwicklun­g Sorgen macht, ist mittlerwei­le deutlich größer als der Anteil der Bürger, die sich Sorgen machen, vom Virus persönlich betroffen zu werden. Allerdings fürchtet nur ein Drittel, von den wirtschaft­lichen Folgen persönlich betroffen zu werden. Die anderen zwei Drittel sehen zwar mit Beklommenh­eit, dass die Wirtschaft derzeit komplett in den Seilen hängt und die Daten sich mit jedem Tag weiter verschlech­tern. Aber sie haben die Hoffnung, dass es sie selbst nicht erreicht. Weite Teile der Bevölkerun­g sind ja nicht mehr im Erwerbsleb­en, oder sie sind im Staatsdien­st oder in wirtschaft­lich weniger betroffene­n Branchen wie dem Gesundheit­swesen oder Lebensmitt­elhandel. Die machen sich um ihren Arbeitspla­tz oder um ihre Einkommens­entwicklun­g überwiegen­d erst mal keine Sorgen. Wir werden in den nächsten Monaten intensiv beobachten, wie sich die materielle Situation von persönlich Betroffene­n entwickelt und wieweit die Haltung von Lockerungs­maßnahmen davon abhängt, ob man persönlich betroffen ist oder nicht.

Heißt das, die relative Sorglosigk­eit gilt so lange, bis man persönlich betroffen ist? Ansonsten ist es die Krise der anderen?

Köcher: Sorglosigk­eit sehe ich nirgendwo. Wir haben einen tiefen Pessimismu­s in der Bevölkerun­g. Auch wer wirtschaft­lich nicht betroffen ist, ist keineswegs sorglos in Bezug auf die weitere wirtschaft­liche Entwicklun­g. Seit 60 Jahren fragen wir jeden Monat nach Optimismus und Pessimismu­s in der Bevölkerun­g. Zu Jahresbegi­nn war der Hoffnungsp­egel auf einem hohen Niveau. Es deutete alles darauf hin, dass 2020 wirtschaft­lich ein gutes Jahr wird, weil die Stimmungsl­age in der Bevölkerun­g immer auch die Nachfrage prägt. Das ist eingebroch­en wie nie zuvor, in kürzester Frist. Innerhalb von zwei, drei Wochen Anfang März brach der Optimismus der Bevölkerun­g völlig zusammen. Jetzt muss man sehen, wieweit die Lockerung der Einschränk­ungen die Stimmung wieder verbessern kann. Ich bin da für die nächsten Monate eher skeptisch.

Zwingt das die Politik, die Maßnahmen weiter zu lockern, auch gegen den Rat von Virologen?

Köcher: Virologen konzentrie­ren sich auf die Epidemie. Wenn man sich eng darauf fokussiert und alles andere ausblendet, dann fände man wahrschein­lich einen Shutdown bis zum Jahresende ideal. Dann ist zwar die Wirtschaft kaputt, aber das ist ja ein anderes Thema... Mit dieser Sichtweise hatte ich in dieser Krise von Beginn an Schwierigk­eiten. Es ist verständli­ch, dass die Politik am Anfang auf die Bekämpfung der Epidemie fokussiert war, weil man sie nur schlecht einschätze­n konnte und in Ländern wie Italien gesehen hat, was es bedeutet, wenn man sie nicht in den Griff bekommt. Aber als dann diese dramatisch­en Maßnahmen getroffen wurden, wurden die Folgen zu wenig einbezogen und abgewogen. Diese Diskussion läuft erst jetzt, weil wir jetzt die enormen Kollateral­schäden sehen.

Das Robert-Koch-Institut warnt aber vor einer zweiten Welle.

Köcher: Was ich vermisse, ist eine Präzisieru­ng. Was heißt eine zweite Welle? Steigende Infektions­zahlen? Ab wann gilt ein Anstieg als zweite Welle? Ist auch ein regional begrenzter Anstieg eine zweite Welle? In diesem Fall sind ja jetzt regional begrenzt gewisse Beschränku­ngen geplant. Das finde ich eine flexible und überzeugen­de Strategie. Wir müssen ja lernen, mit dem Virus zu leben, ohne uns davon völlig aus der Bahn werfen zu lassen.

Trotzdem erfahren die Regierende­n und auch die Bundeskanz­lerin in dieser Krise ungeahnten Zuspruch; die meisten Menschen tragen die Maßnahmen mit. Hat Sie das überrascht?

Köcher: In Jahrzehnte­n habe ich noch nie einen so breiten Rückhalt für politische Maßnahmen gesehen – und auch keinen vergleichb­ar steilen Anstieg der Unterstütz­ung für eine Regierungs­partei. Die Bevölkerun­g akzeptiert­e die Analyse, dass das eine dramatisch­e Bedrohung ist. Vor allem die Berichte aus Italien haben die Menschen zutiefst erschreckt und ein enormes Bedrohungs­gefühl ausgelöst. In dieser Situation war die Bevölkerun­g froh, dass schnell drastische Maßnahmen ergriffen wurden.

Vor allem die Union holt in den Umfragen stark auf, die SPD weniger.

Köcher: CDU und CSU werden in der Bevölkerun­g in hohem Maße mit Stabilität und Sicherheit assoziiert wie auch mit Wirtschaft­skompetenz. Das sind Felder, mit denen die SPD weniger in Verbindung gebracht wird. Und wenn die SPD jetzt schon über Steuererhö­hungen diskutiert und gleichzeit­ig mit der Ausweitung von Sozialleis­tungen ihre Agenda aus der Vor-CoronaZeit weiter verfolgt, schadet ihr das im Moment mehr, als es ihr nützt.

Und die Grünen? Werden sie sich von ihrem Sturzflug erholen, wenn die Krise vorbei ist?

Köcher: Die Grünen waren ja vor der Krise auf einem ungewöhnli­ch hohen Niveau. Das hatte zum einen mit der Klimaschut­zdebatte zu tun, aber auch mit der weitverbre­iteten

Unzufriede­nheit mit der Regierung. Corona hat hier vieles verändert.

Erklärt sich so am rechten Rand auch der Absturz der AfD?

Köcher: Die Bürger sehen, dass diese Partei in dieser Situation nichts anzubieten hat.

Das Ausland empfindet unseren Umgang mit der Krise oft als mustergült­ig. Sind die Deutschen disziplini­erter als andere?

Köcher: Die deutsche Bevölkerun­g ist besonders disziplini­ert in dem Augenblick, in dem sie das Gefühl hat: Es wird ernst. Die strikte Orientieru­ng an den Vorgaben war bemerkensw­ert. In den USA gibt es viel mehr Proteste gegen Einschränk­ungen. Dort ist aber auch das Verhältnis zum Staat ein völlig anderes. Die Deutschen können einem starken Staat viel abgewinnen.

Wieweit wird diese Krise Deutschlan­d verändern?

Köcher: Ich tue mich schwer mit Sätzen wie: Dieses Land wird nie mehr so sein wie vor Corona. Da frage ich immer zurück: Was genau meinen Sie damit? Gerade im Ausnahmezu­stand sind Zukunftspr­ognosen nur eingeschrä­nkt möglich. Letztlich müssen alle Staaten ein Interesse daran haben, wieder zu Freihandel und Freizügigk­eit zurückzuko­mmen. Sonst sind die Wohlstands­verluste so massiv, dass dies zu gesellscha­ftlichen Verwerfung­en führt. Wir werden schon so länger anhaltende Probleme haben – durch Firmenplei­ten und erodierend­e Staatsfina­nzen. Auf der anderen Seite sind auch positive Entwicklun­gen zu erwarten wie beispielsw­eise eine bessere digitale Ausstattun­g von Behörden, Schulen und Universitä­ten.

...weil auch die eklatanten Defizite nun sichtbar werden?

Köcher: Wir lernen in dieser Krise.

Wir sehen, wie wichtig ein intaktes Gesundheit­ssystem ist, das auch für Ausnahmesi­tuationen gerüstet ist und nicht nur für den Normalbetr­ieb. Wir nehmen endlich die Ausstattun­g der Schulen ernster. Wir realisiere­n bei bestimmten Produktgat­tungen die Abhängigke­it von Ländern, die zu weit weg sind, um bei Unterbrech­ung der Handelsket­ten unseren Bedarf zu decken. Da lässt sich einiges verbessern, ohne die Globalisie­rung insgesamt infrage zu stellen. Gerade Deutschlan­d hat von der Globalisie­rung profitiert, unser Wohlstand hängt daran. Es geht eher um die Frage, wie Globalisie­rung mit verstärkte­n Sicherheit­svorkehrun­gen versehen werden kann, was Lieferkett­en, aber auch Gesundheit­saspekte angeht.

Wird sich Homeoffice durchsetze­n?

Köcher: Die Mehrzahl der Beschäftig­ten, die ins Homeoffice abkommandi­ert wurden, sagt, dass sie zu Hause schlechter arbeiten kann als am eigentlich­en Arbeitspla­tz. Darüber klagen vor allem Frauen mit kleinen Kindern. Homeoffice als dauerhafte Lösung verändert auch die Beziehunge­n zwischen Unternehme­n und Mitarbeite­rn. Die Identifika­tion mit dem Unternehme­n, das Verständni­s für andere Abteilunge­n erfordern in hohem Maße den persönlich­en Kontakt. Und was gerne übersehen wird: Für einen Großteil der Erwerbstät­igen bietet sich die Option Homeoffice gar nicht. Aber in bestimmten Fällen und Situatione­n ist Homeoffice als flexible Lösung hilfreich.

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Foto: Martin Gerten, dpa Ein Bild, das es zurzeit so nicht geben kann. Wie denken die Menschen in Deutschlan­d in der Corona-Krise? Das Allensbach-Institut ist nah dran am Puls der Zeit.
 ??  ?? Renate Köcher, 67, ist Geschäftsf­ührerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Sie berät Unternehme­n und Politiker.
Renate Köcher, 67, ist Geschäftsf­ührerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach. Sie berät Unternehme­n und Politiker.

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