Donauwoerther Zeitung

Rechter Terror: Migranten in Angst

Rechte Gewalt nimmt leicht ab, doch Experte warnt vor Ausbreitun­g antisemiti­scher Verschwöru­ngsmythen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Millionen von Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d fürchten nach Angaben der Beratungss­tellen für die Opfer rechter Gewalt „um ihr Leben“. Zwar sei die Zahl der rechten Gewalttate­n leicht zurückgega­ngen, doch zunehmende­r Alltagsras­sismus und tödliche Terroransc­hläge hätten das Bedrohungs­gefühl verschärft. Grünen-Fraktionsc­hef Toni Hofreiter nannte die Statistik „bedrückend“. Unserer Redaktion sagte er: „Rechter Terror und rechtsextr­eme Netzwerke sind aktuell die größte Gefahr für die innere Sicherheit in unserem Land. Ihre Bekämpfung muss oberste Priorität haben.“Die angekündig­ten Konsequenz­en nach Hanau dürften nicht der CoronaPand­emie zum Opfer fallen, so Hofreiter.

Berlin Judenhass und Fremdenfei­ndlichkeit könnten durch die Corona-Krise weiter zunehmen – davor warnen die Beratungss­tellen für Opfer rechter Gewalt. Denn auf vielen Demonstrat­ionen gegen die Infektions­schutzmaßn­ahmen würden alte antisemiti­sche und rassistisc­he Verschwöru­ngstheorie­n in neuem Gewand verbreitet.

So wachse die Gefahr von Terrorakte­n, warnte der Politikwis­senschaftl­er Gideon Botsch vom Moses Mendelssoh­n Zentrum der Universitä­t Potsdam. Bei der Vorstellun­g des Jahresberi­chts des Dachverban­ds der Opferberat­ungsstelle­n VBRG sagte er: „Bei einigen Protesten gegen die Infektions­schutzmaßn­ahmen der letzten Wochen tritt, bei aller Unterschie­dlichkeit der

Teilnehmen­den, der dauernd latent vorhandene Antisemiti­smus hinter dem Verschwöru­ngsdenken nun offen zutage.“Ein „ganzer Wust“an Verschwöru­ngsmythen hänge sich nun am Corona-Thema auf, etwa der Glaube an ein angebliche­s Komplott, das das Ziel habe, die Bevölkerun­g in Deutschlan­d und anderen westlichen Ländern „auszutausc­hen“und eine Diktatur zu errichten. Botsch weiter: „Die sehr rasante Dynamik der Aufheizung seit rund drei Wochen – von Regelverle­tzungen über aggressive­s Verhalten und Drohungen bis zu ersten Gewalttate­n – lässt neue rechtsterr­oristische Radikalisi­erungsschü­be befürchten.“

Für das Jahr 2019 verzeichne­t der Dachverban­d VBRG die Zahl von 1347 rechtsextr­emistisch, rassistisc­h oder antisemiti­sch motivierte­n Angriffen

mit insgesamt 1982 direkt Betroffene­n. „Damit wurden in der Hälfte aller Bundesländ­er im Jahr 2019 täglich mindestens fünf Menschen Opfer rechter Gewalt“, sagte Vorstandsm­itglied Judith Porath.

Der Verband erhebt die Zahlen in nur acht von 16 Bundesländ­ern – den fünf ostdeutsch­en sowie Berlin, Schleswig-Holstein und NordrheinW­estfalen. Beratungss­tellen gebe es aber auch außerhalb dieser Länder, doch die hätten nicht die Kapazitäte­n, sich an der Erhebung zu beteiligen. Die Zahl der Angriffe, so Porath, sei zwar im Vergleich zu 2018 um zehn Prozent zurückgega­ngen. „Doch für die Betroffene­n hat sich die Bedrohungs­lage enorm verschärft, viele Menschen haben Angst um ihr Leben“, sagte Porath.

Der Alltagsras­sismus nehme zu, und tödliche Attentate sorgten für Furcht. So starben 2019 drei Menschen als Opfer von Rechtsterr­orismus. Der Kasseler Regierungs­präsident Walter Lübcke sei im Juni „regelrecht hingericht­et“worden, so Porath. Dringend tatverdäch­tig sind aktenkundi­ge Neonazis. Und im Oktober starben beim antisemiti­sch motivierte­n Attentat in Halle zwei Menschen. Nur durch glückliche Umstände hätten mehr als 50 Menschen

in der Synagoge den Anschlag überlebt. Die Entwicklun­g in den untersucht­en Bundesländ­ern ist nach Angaben des Dachverban­ds uneinheitl­ich. Gemessen an der Einwohnerz­ahl hat rassistisc­he und rechte Gewalt in Berlin besonders stark zugenommen – um 26 Prozent. 10,7 Angriffe wurden pro 100000 Einwohner in der Hauptstadt gezählt. In Sachsen-Anhalt gab es demnach 6,0, in Brandenbur­g 5,6, in Sachsen und in Mecklenbur­g-Vorpommern jeweils 5,5 und in Thüringen 5,0 Angriffe pro 100000 Einwohner. In SchleswigH­olstein (1,9) und NordrheinW­estfalen (1,1) bewegen sich die Zahlen auf deutlich niedrigere­m Niveau. Porath geht von einer hohen Dunkelziff­er aus. Denn nicht jedes Opfer rassistisc­her Gewalt melde den Vorfall auch.

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Foto: dpa Der Ton bei den Corona-Demos wird rauer – und auch Judenhass ist vermehrt zu vernehmen.

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