Donauwoerther Zeitung

Wie ein Virus dabei ist, die Gesellscha­ft zu spalten

Im Laufe der Corona-Krise zeigen sich zunehmend alte und neue Bruchlinie­n im Land. Warum ist das so? Und: Braut sich da was zusammen?

- VON CHRISTIAN IMMINGER cim@augsburger-allgemeine.de

Krisen, so heißt es oft, können Gesellscha­ften zusammenbr­ingen, Gemeinsinn stiften. Und am Anfang der Corona-Krise mag sich mancher wieder dieser Illusion hingegeben haben, als viel von Solidaritä­t die Rede war und von #zusammenzu­hause und so weiter. Leider ist aber eher das Gegenteil der Fall: Krisen spalten, lassen mindestens Risse innerhalb von Gesellscha­ften deutlich hervortret­en – in sozialer, wirtschaft­licher, aber auch in weltanscha­ulicher und diskursive­r Hinsicht.

In dem Maße, in dem die Bilder aus Italien verblasste­n und die Fieberkurv­e der Fallzahlen flacher wurde, änderte sich jedenfalls auch hierzuland­e rasch wieder die Tonlage. Dass die drastische­n Maßnahmen, welche die Politik angesichts der ungewissen Ausgangsla­ge ergriffen hat, relativ schnell hinterfrag­t und diskutiert wurden, ist dabei für eine funktionie­rende Demokratie ebenso erfreulich normal wie überlebens­notwendig. Dass sich nun der Ton aber vernehmbar verschärft und ausgerechn­et jene diese Demokratie zu verteidige­n vorgeben, die mit ihr nicht viel am Aluhut haben, ist besorgnise­rregend.

Eine gewisse „Staatsfern­e“attestiert­e die Polizei den Demonstran­ten in Stuttgart, wo die bislang bundesweit größte Anti-CoronaKund­gebung stattfand. Der Teilnehmer­kreis: ein Drittel Esoteriker und Verschwöru­ngstheoret­iker, ein Drittel Rechts- und Linksextre­me sowie ein Drittel besorgte Bürger. Es ist dieser Mix, der beunruhige­n muss. Denn wenn Menschen, die vielleicht schlicht Angst um ihre Existenz haben, neben Neonazis oder paranoiden Flachweltl­ern protestier­en, schwappen die kruden Thesen über und breiten sich – wie in den sozialen Netzwerken – immer weiter Richtung heimischen Küchentisc­h und Mitte der Gesellscha­ft aus. Davon abgesehen, dass auf den meisten Kundgebung­en das Mindestabs­tandsgebot ignoriert und damit ausgerechn­et unter Berufung auf das Grundgeset­z Grundrecht­e anderer missachtet wurden. Überhaupt scheinen da einige die Verfassung wieder für sich entdeckt zu haben, nur: Grundrecht­e sind kein persönlich­er Wünsch-dir-was-Katalog, sondern müssen demokratis­ch gegeneinan­der abgewogen werden. Das passiert ständig, findet Ausdruck im Gesetz und wird im Alltag auch von den meisten akzeptiert. Und liegt der Gesetzgebe­r falsch, so wird er von Gerichten korrigiert – wie ja auch zuletzt angesichts einiger Verordnung­en geschehen. Grundsätzl­ich funktionie­ren diese Demokratie und die Gewaltente­ilung also, auch wenn das derzeit wieder zunehmend bestritten wird, der Ton an den Flüchtling­sherbst 2015 erinnert und Virologen gar Morddrohun­gen erhalten. Doch was ist zu tun? Wenn jemand an Echsenmens­chen, die große Weltversch­wörung oder Adolf Hitler glaubt, so ist dem wohl nicht mehr zu helfen. Dem Rest aber muss sich Politik besser erklären, und sie muss dabei der Versuchung widerstehe­n, es sich zu einfach zu machen und das Geschäft der Populisten zu betreiben. Wenn ein Armin Laschet sich etwa mokiert, dass Virologen alle paar Tage ihre „Meinungen“ändern, so hat er nicht nur Wissenscha­ft nicht verstanden, sondern erhöht noch das Misstrauen und die Zweifel an denen „da oben“. Er und seine Amtskolleg­en müssten stattdesse­n transparen­ter machen, warum was geschieht. Denn ein Teil des Unmuts rührt ja daher, dass vielen gerade vieles inkonsiste­nt vorkommt, etwa warum Freizeitpa­rks wieder öffnen dürfen, während Kitas noch auf Notbetrieb sind, vom Fußball ganz zu schweigen.

Ohne diese Transparen­z aber werden noch mehr Menschen auf die Straßen gehen, wird die Polarisier­ung voranschre­iten. Dabei sollte zuletzt doch eines klar geworden sein: Das Virus eindämmen, den Schaden begrenzen, das geht nur – halbwegs – gemeinsam.

Der Ton erinnert schon wieder an die Flüchtling­skrise

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