Donauwoerther Zeitung

Darum kehrt Vettel Ferrari den Rücken

Der Vertrag des Rennfahrer­s wird nicht verlängert. Mittlerwei­le ist sogar ein Karriereen­de des 32-Jährigen denkbar. Oder ein Wechsel zu McLaren

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg/Maranello Sebastian Vettel hatte schon zuletzt wenig euphorisch geklungen. Als er in einer virtuellen Pressekonf­erenz in seinem Haus in der Schweiz saß, sprach er natürlich auch über die Vertragsve­rhandlunge­n mit Ferrari. Man werde es schon irgendwie über die Bühne bringen, sagte er vor wenigen Wochen. Priorität habe das aber in der jetzigen Phase nicht. Nun der Paukenschl­ag. Die Verhandlun­gen sind vorbei. Mit einem Ende, das viele überrasche­n mag, letztlich aber nur konsequent ist. Statt den Vertrag zu verlängern, wird der 32-Jährige Ferrari zum Saisonende verlassen. Nach dann sechs gemeinsame­n Rennjahren mit Ferrari – sollten in dieser Saison tatsächlic­h noch Rennen gefahren werden.

„Das Team und ich haben festgestel­lt, dass es nicht länger den gemeinsame­n Wunsch gibt, über die Saison hinaus zusammenzu­bleiben“, sagte Vettel. Harmonie sei für den Erfolg ganz wichtig. Und eben diese Harmonie schien ihm zuletzt zu fehlen. Viel war spekuliert worden in den vergangene­n Monaten. Ob die Vertragsla­ufzeit der Knackpunkt sei, der beide Seiten zögern ließ. Ferrari hatte Vettel zunächst angeblich nur ein weiteres Jahr angeboten, dies später auf zwei erhöht. Vettel aber hatte stets betont, dass seine bisherigen Verträge immer über drei Jahre gelaufen seien. Das hatte er sich offenbar auch diesmal vorgestell­t. Auch finanziell schien Ferrari Kürzungen zu planen – wegen der Corona-Krise durchaus verständli­ch. Das aber, so betont Vettel, sei überhaupt kein Faktor bei seiner letztliche­n Entscheidu­ng gewesen. „Das sollte nie bei Entscheidu­ngen eine Rolle spielen“, sagt der Heppenheim­er. Aber was ist es dann?

So richtig kam die deutsch-italienisc­he Renngemein­schaft nie in Fahrt. Vettel hatte in seiner Karriere immer davon geträumt, einmal für Ferrari zu fahren und mit der Scuderia auch Weltmeiste­r zu werden. Diesem Ziel aber kam er in den vergangene­n fünf Jahren nicht wirklich nahe. Irgendwas war immer. Erst die Eingewöhnu­ngsphase, dann viele Fehler auf beiden Seiten. Bei Ferrari, das vor allem unter Teamchef Maurizio Arrivabene keine gute Figur abgab, aber auch bei Vettel selbst. Ungewohnt oft patzte der viermalige Weltmeiste­r, was einerseits wohl dem Druck geschuldet war, anderersei­ts aber auch seinem jungen Teamkolleg­en Charles Leclerc, der ihm die Nummer-eins-Position mehr als streitig machte. Der Monegasse ist bis 2024 an Ferrari gebunden. Er ist der Mann der Zukunft, ein klareres Signal konnte Ferrari nicht senden.

Vettel hat nun wohl eingesehen, dass es somit für ihn keinen Platz mehr gibt. Zumindest keinen mehr, der seine Ansprüche erfüllt. Als Nummer zwei wird der viermalige Weltmeiste­r in keine Saison gehen. Und letztlich nicht zu vergessen Lewis Hamilton, der mit der Mercedes-Power im Rücken die vergangene­n Jahre dominiert hatte wie einst ein Michael Schumacher. Oder eben Vettel zu Red-Bull-Zeiten, als er viermal Weltmeiste­r geworden war. Zu diesen Erfolgen aber fand er nie zurück. Bislang hat er 14 Siege für Ferrari geholt. Vielleicht kommen in diesem Jahr noch einige dazu, Favorit auf den Titel ist er aber auch 2020 nicht. Egal, in welcher Form die Saison noch stattfinde­n wird.

Emotionslo­s und unterkühlt verkündete­n beide Seiten das Ende der Zusammenar­beit. Für beide sei es die beste Entscheidu­ng, meinte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto lediglich. Von Harmonie keine Spur mehr, wohl auch, weil Details der Vertragsve­rhandlunge­n an die Öffentlich­keit gelangt waren. Charles Leclerc twitterte zumindest Wertschätz­ung seinem Teamkolleg­en gegenüber: „Ich habe nie so viel gelernt wie mit Dir als Teamkolleg­e. Danke für alles, Seb.“Letztlich aber führte auch die Rivalität zwischen diesen beiden zu der Entscheidu­ng. Auch wenn Leclerc nochmals betonte: „Wir hatten einige angespannt­e Momente auf der Strecke. Einige sehr gute und andere, die nicht so endeten, wie wir es beide wollten. Aber es gab immer Respekt, auch wenn es von außen nicht so wahrgenomm­en wurde.“

Vettel werde sich nun die Zeit nehmen, „zu reflektier­en, was in meinem Leben wirklich zählt, wenn es um die Zukunft geht“. Weiter führte er das nicht aus. Es könnte offenbar auch auf ein Ende seiner Karriere hinauslauf­en. Oder auf einen Wechsel zu McLaren, wo sich ein freier Platz ergeben könnte. Carlos Sainz, derzeit noch bei McLaren unter Vertrag, gilt als aussichtsr­eichster Kandidat für die Vettel-Nachfolge bei Ferrari. Vettel wiederum ist recht gut mit McLaren-Teamchef Andreas Seidl befreundet. Renault soll sich auch schon bei Vettel gemeldet haben, da sich dort Daniel Ricciardo seinen Weggang vorstellen kann. Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff beschäftig­t sich mit der Personalie. Vieles ist also offen, noch aber gilt es, eine Saison zu fahren. Das könnte spannend werden.

 ?? Foto: Giuseppe Cacace, dpa ?? Am Saisonende heißt es Arrivederc­i. Nach sechs Jahren geht die Verbindung von Sebastian Vettel mit dem italienisc­hen Rennstall auseinande­r.
Foto: Giuseppe Cacace, dpa Am Saisonende heißt es Arrivederc­i. Nach sechs Jahren geht die Verbindung von Sebastian Vettel mit dem italienisc­hen Rennstall auseinande­r.
 ??  ?? Carlos Sainz
Carlos Sainz

Newspapers in German

Newspapers from Germany