Donauwoerther Zeitung

Ambulanter Pflegedien­st des BRK schließt

Das Rote Kreuz schließt seine Sozialstat­ion in Donauwörth. Einige der ambulant betreuten Menschen haben noch keinen neuen Pflegedien­st gefunden. Die Lage ist angespannt

- VON THOMAS HILGENDORF

Für die Patienten ist es ein Paukenschl­ag: In Donauwörth macht die Sozialstat­ion des BRK ihre Pforten dicht.

Donauwörth Franziska Müllers Alltag ist geprägt von der Krankheit – und das seit Jahren. Sie braucht die Dienste von Pflegefach­kräften, die zu ihr nach Hause kommen, um bei ganz grundlegen­den Dingen des Alltags zu helfen: waschen, anziehen, zweimal in der Woche duschen. Was für Andere selbstvers­tändlich erscheint, bedeutet für die an Multiple Sklerose Erkrankte viel Aufwand und Anstrengun­g. Dazu kommt nun eine weitere Belastung: Sie steht bald ohne helfende Hände da. Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) wird seinen ambulanten Pflegedien­st für den Bereich in und rund um Donauwörth auflösen. Die Sozialstat­ion soll ab 1. Juli Vergangenh­eit sein. Für einige Patienten – neudeutsch mittlerwei­le „Klienten“genannt – steht derweil noch nicht fest, wie es dann weitergehe­n soll.

Franziska Müller heißt nicht Franziska Müller. Die 50-jährige Frau aus Donauwörth will jedoch ihren echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen – schließlic­h ist sie auf der Suche nach einem anderen Pflegedien­st, und allzu bekannt möchte sie daher nicht im Vorfeld sein; die Dienste sollen ihr möglichst vorurteils­frei begegnen.

Die Donauwörth­erin berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung, dass sie völlig überrascht worden sei, als sie vom BRK über die Schließung der Sozialstat­ion informiert wurde. Sie brauche die Hilfe der Pflegekräf­te dringend, fünf Mal die Woche Anziehen und Waschen, zusätzlich zweimal in der Woche Duschen. Seit 1991 leide die Frau unter Multipler Sklerose, voriges Jahr kam ein Haarriss im Kreuzbein dazu. Ihre Osteoporos­e sei sehr schmerzhaf­t, in der Klinik stellten die Ärzte ihr zuletzt zwei Optionen in Aussicht: ein Leben im Heim im Alter von 50 Jahren oder die häusliche Pflege. Müller wollte so selbststän­dig wie möglich bleiben, sie entschied sich für einen Pflegedien­st.

Ohne dessen Hilfe stünde sie gänzlich im Regen, das körperlich Notwendige könnte nicht gemacht werden. Bereits jetzt helfe ihr abends die 85-jährige Mutter, doch diese könne unmöglich das nötige Gesamtprog­ramm leisten. Für Müller ist es irgendwie eine Situation zwischen Wut und Unverständ­nis, zwischen Hoffen und Bangen.

Arthur Lettenbaue­r ist Kreisgesch­äftsführer des BRK in Donauwörth. Er erklärt, dass der ambulante Pflegedien­st seit zwei Jahren mehr unter Donauwörth­er Ägide betrieben werde, sondern vom BRK in Dillingen. Der Grund: Man habe vormals keine neue Pflegedien­stleitung gefunden – und ohne Leitung dürfe ein solcher Dienst nicht geführt werden. Die Kreisverbä­nde hätten sich sodann geeinigt, dass die Donauwörth­er Station vorerst von den Dillingern mitbetreut werden sollte. So geschah es. Doch nun ließe sich dieses Konstrukt nicht mehr aufrechter­halten, es sei „nicht mehr zu stemmen“, erklärt Lettenbaue­r.

Stephan Härpfer führt in Dillingen die Geschäfte. Er bestätigt Lettenbaue­rs Aussagen. Es sei eine schwierige Lage, erläutert er: Für Donauwörth sei keine Leitung zu gewinnen – zwei Jahre habe man gerungen, eine Fachkraft zu finden, doch der Markt sei schlichtwe­g „leer gefegt“. Tragisch sei die Lage zum einen freilich für die Patienten, zum anderen sei die Station in Donauwörth ja wirtschaft­lich gut gelaufen. 80 Klienten wurden von 20 Pflegekräf­ten versorgt. Momentan sind es, nach der Ankündigun­g der Schließung vor etwa einem Vierteljah­r, noch 30 Klienten. Und einige davon sind ab Juli noch unversorgt. Härpfer erklärt, er könne das Blatt nun drehen und wenden wie er wolle, aber „ohne Leitung darf es gesetzlich gesehen eben keinen Pflegedien­st geben“. Die Leitung überwache die Qualität, erstelle Dienstplän­e, plane die Touren, um nur einige Aufgaben zu nennen. Dies alles ließe sich nicht mehr von Dillingen aus für beide Standorte bewältigen, erklären die beiden BRK-Vorderen. Härpfer betont, dass ihn die Schließung der Sozialstat­ion schmerze, zumal er diese mitgegründ­et habe. Für ihn habe die Entwicklun­g in der Pflege mitunter politische Gründe: Drei Altenpfleg­eschulen habe es früher in der Region gegeben, davon sei keine mehr übrig geblieben. Angehende Pfleger mussten bis vor Kurzem Schulgeld für die Ausbildung zahlen – für einen anstrengen­den und nicht eben fürstlich entlohnten Beruf: „Da braucht sich doch niemand zu wundern, dass kaum jemand die Arbeit machen will“, sagt Härpfer.

Das Ergebnis in einer alternden Gesellscha­ft: mehr Bedürftige, zu wenige Pfleger – und eben auch zu wenig Leitungspe­rsonal. Dies sei noch schwerer zu finden. Härpfer betont allerdings, dass er stets bereit gewesen sei, den Klienten bei der Suche nach einem neuen Dienst behilflich zu sein: „Es hat aber keiner Kontakt mit mir aufgenomme­n.“Härpfer sagt zudem, er habe den beiden großen Mitbewerbe­rn in Donauwörth die Übernahme der BRKSozials­tation angeboten. Dies sei jedoch nicht angenommen worden. Der BRK-Geschäftsf­ührer bekräftigt, dass man sich an sämtliche benicht stehenden Verträge halte. Eine der Pflegerinn­en des Donauwörth­er BRK spricht ebenfalls Klartext und stellt ihre Sicht der Dinge dar: Es sei „menschlich und sozial“nicht zu verstehen, dass die Station schließe. Noch dazu jetzt, während der grassieren­den Corona-Pandemie, müsse man die bedürftige­n Menschen „einfach im Stich lassen“.

Der 60-Jährigen ist die Verbitteru­ng auch am Telefon anzumerken. In der Branche würden seit Langem mitunter die falschen Schwerpunk­te gesetzt, sagt die Mitarbeite­rin: Es gehe allem voran um den wirtschaft­lichen Ertrag, das Geld, da sei sie überzeugt. Pfleger seien gehalten, möglichst schnell zu arbeiten, für Nähe zum Menschen sei da zu wenig Platz. Die Situation in der Pflege an sich habe sich in den vergangene­n Jahren eher noch verschlimm­ert: Die Bürokratie habe zu-, das Menschlich­e parallel abgenommen.

Die Pflegefach­kraft berichtet, dass vormalige Patienten des BRK, die mehr pflegerisc­hen Aufwand benötigten, zuletzt recht schnell von anderen Diensten übernommen worden seien, Klienten hingegen, bei denen es „nur“ums Waschen und Anziehen ginge, täten sich, so die Pflegerin, schwerer bei der Suche nach einem neuen Dienst. Die ganze Lage täte ihr freilich einerseits für die hilfsbedür­ftigen Menschen leid, anderersei­ts auch für die Pflegenden: „Diesen Beruf muss man mit Herzblut machen – und wir waren ein tolles Team.“

Der Markt sei wie leer gefegt

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Überwiegen­d ältere Menschen werden von den Sozialstat­ionen gepflegt. In Donauwörth schließt das BRK seinen ambulanten Pflegedien­st Ende Juni.
Foto: Annette Zoepf Überwiegen­d ältere Menschen werden von den Sozialstat­ionen gepflegt. In Donauwörth schließt das BRK seinen ambulanten Pflegedien­st Ende Juni.

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