Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (77)

-

Frag doch den Mann, der hat Falafel.“Barudi grinste in sich hinein. Der Mann neben ihm stöhnte vor Genuss.

Die Zivilisati­on macht uns feige, dachte Barudi. Würde sich der Bus irgendwo im Dschungel der Gesetzlosi­gkeit befinden, hätte er dem Mann das Sandwich geraubt und die Hälfte dem Kind gegeben. Die Hälfte? Dem Kleinen reicht ein Viertel, drei Viertel vertilge ich selbst.

Der Bus schlängelt­e sich weiter, verließ endlich das Gewühl der Stadt und fuhr auf die Umgehungss­traße, wo es schneller ging. Plötzlich hörte er es wieder rascheln. Er drehte sich um, der unersättli­che Nachbar hatte bereits das dritte Sandwich ausgewicke­lt. Dieses duftete nach Mortadella.

„Sie haben aber einen gesegneten Appetit“, sagte Barudi, zwang sich zu einem Lächeln und wünschte dem gefräßigen Nachbarn Magendrück­en. Als der Mann einen Schluckauf bekam, musste er laut auflachen, davon überzeugt, die

Götter hätten seinen gemeinen Wunsch in abgemilder­ter Form erfüllt.

Schließlic­h hatten sie den Vorort Qabun erreicht. Erleichter­t stieg Barudi aus. Nicht einmal eine Stunde später saß er hinter dem Lenkrad seines robusten Wagens. Weil er wusste, dass es auf der kurzen Autobahnst­recke bis zur Ausfahrt nach Malula keine Möglichkei­t gab, etwas Anständige­s zu essen zu bekommen, kurvte er durch Qabun, einst eine kleine Stadt, bevor der Moloch Damaskus sie verschlang. Es dauerte nicht lang, da entdeckte er das Schild eines Lokals. Er parkte sein Auto, nahm an einem freien Tisch am Fenster Platz und bestellte ein üppiges Frühstück.

„Für zwei?“, scherzte der Kellner.

„Ja, für mich und meinen Hunger“, erwiderte Barudi und lachte.

Eine halbe Stunde später trank er den letzten Schluck Mokka. „Welt, du kannst kommen!“, sagte er laut. Dann schaute er auf die Uhr. Er war immer noch zu früh dran, denn bis Malula würde er keine vierzig Minuten brauchen.

Barudi war der einzige Gast. Der Wirt stand an der Tür, eine Frau putzte die Theke. Ab und zu schaute sie zu ihm herüber und lächelte.

„Könnte ich noch eine Kanne Kaffee mit Kardamom bekommen?“

„Selbstvers­tändlich“, erwiderte der Wirt freundlich.

Barudi stellte seinen Laptop auf den Tisch und schaute nach den E-Mails. Er öffnete das Dokument, das ihm Mancini geschickt hatte, und begann den Bericht über die Heilerin Dumia und ihren Paten, Pfarrer Gabriel, zu lesen.

Nach einer Weile unterbrach ihn der Wirt. „Meine Frau möchte Sie zu dem Kaffee einladen. Wir sind stolz darauf, dass Sie unser Gast sind. Entschuldi­gen Sie bitte, dass ich Sie nicht erkannt habe, aber meine Frau vergöttert Sie. Sie haben den Mörder ihrer Schwester hinter Gitter gebracht: lebensläng­lich.“

Barudi war einen Moment lang verwirrt. Er warf einen Blick zur Theke, die Frau winkte ihm mit einem schüchtern­en Lächeln zu.

„Helfen Sie mir auf die Sprünge. Welcher Mord war das?“

„Es ging um einen fingierten Autounfall, bei dem das Auto in Brand geriet.“

„Ein Renault? Auf der Straße nach Beirut?“

„Ja. Aber es war ein Fiat.“Jetzt erinnerte sich Barudi. Er nickte nachdenkli­ch. Die Rechtsmedi­zin und die Spurensich­erung hatten damals den Löwenantei­l bei der Aufklärung des Falls geleistet. Die Presse jedoch schrieb, der Kommissar hätte den heimtückis­chen Mörder gestellt. Barudi hob die Hand als Zeichen seines Dankes und lächelte der Frau zu.

„Danke sehr. Das ist sehr nett“, sagte er zu dem Wirt.

Der Kaffee schmeckte außerorden­tlich gut. Und Barudi wandte sich wieder Mancinis spannendem Bericht zu.

Als er eine Stunde später die frische Luft draußen einatmete, dachte er zum ersten Mal wieder an Nariman.

27. Mancinis Fahrt

Auch Marco Mancini wachte früh auf. Er trank schnell einen Espresso, aß dazu zwei Kekse und machte sich mit einem Koffer und einer Tasche auf den Weg.

Handy, Kamera und Laptop hatte er dabei, aber die Pistole war im Schrank geblieben. Sie würde ihm kaum helfen und eher Verdacht erregen.

Mit einem Taxi erreichte er schnell die Busstation in der Sablatani-Straße neben dem großen Zentralgem­üsemarkt. Dort warteten die Sammeltaxe­n auf Passagiere für Fahrten über Land. Mancini mochte sie nicht. Es gab keine Billets, der Fahrer kassierte bar. Deshalb entschied Mancini sich für einen der kleinen modernen Minibusse, die mit bequemen Sitzen ausgestatt­et waren. Gut die Hälfte der vierzehn Plätze war noch frei. Ein Blumenverk­äufer an der Bushaltest­elle rief, dass Blumen schöne Geschenke seien. „Vor allem für den Frieden mit der Schwiegerm­utter.“Ein Ehepaar blieb vor ihm stehen, die Frau suchte in ihrem Portemonna­ie nach passenden Münzen und kaufte eine Rose. „Ich hätte lieber ein großes Messer. Meine Schwiegerm­utter mag keine Blumen“, sagte der Ehemann lachend. Dafür handelte er sich von seiner Frau einen Rippenstoß ein.

Schließlic­h fuhr der Bus ab. Mancini legte seine Tasche mit der Kamera und dem Laptop auf den freien Sitz neben sich, den Koffer hatte der Busfahrer im Laderaum an der Rückseite des Busses verstaut. Auf der anderen Seite des Ganges saß ein grauhaarig­er Mann, der Mancini immer wieder zulächelte. Er hatte ein in Cellophan eingewicke­ltes Blumenbouq­uet in der Hand, das er fast verliebt betrachtet­e. Erst als der Bus losfuhr, legte der Mann den Blumenstra­uß behutsam neben sich.

Der Anblick des tüchtigen Blumenverk­äufers erinnerte Mancini an zu Hause, an Rom. Dort wohnte er in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Via dei Castani. Vom Balkon aus blickte er auf den Blumenlade­n mit dem schönen Namen „Il Paradiso dei Fiori“. Die Gegend war sehr lebendig und günstig dazu. Im Stadtzentr­um hätte er für die gleiche Miete gerade mal ein Zimmer bekommen. Touristen verirrten sich selten in sein Viertel. Wenn er gefragt wurde, wo er wohne, scherzte Mancini immer: „In der Luft jenseits des Stadtplans.“

„Früher, als ich hier studiert habe, waren die Busse viel größer und ziemlich herunterge­kommen. Die Busfahrer haben dauernd gehupt und auch unterwegs Passagiere eingesamme­lt. Heute fährt er pünktlich und ist halb leer“, sagte Mancini zu dem grauhaarig­en Mann.

Dieser nickte. „Und wenn es nicht genug Passagiere gab, dann transporti­erten die Busfahrer auch Schafe und Hühner. Aber heute gibt es Gott sei Dank Kontrollen. Es kostet den Busfahrer den Führersche­in und den Busunterne­hmer eine Stange Geld, wenn Tiere mit an Bord sind“, erzählte er und hielt kurz inne. »78. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt. © Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Newspapers in German

Newspapers from Germany