Pauken oder Piercings?
Lisa Lang, 23, möchte Erzieherin werden. Die Fachakademie für Sozialpädagogik in Nördlingen soll sie aber vor ein Ultimatum gestellt haben: Piercings raus oder Schule verlassen
Nördlingen/Aalen Wer sich mit Lisa Lang unterhält, dem fallen sicherlich ihre lange, blonde Haarmähne auf sowie ihre offene Art, ihr freundliches Lächeln. Wer genauer hinsieht, erkennt zudem vier kleine Piercings – in Lippe und Zunge sowie zwei in den Nasenflügeln. Dass sich diese „Schmuckstücke“hinderlich auf ihre berufliche Laufbahn auswirken könnten, hätte die 23-jährige Aalenerin nicht gedacht. Und dennoch soll die junge Frau an der Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern in Nördlingen vor die Wahl gestellt worden sein: entweder Piercings raus oder die Schule verlassen.
Die Hausordnung der Akademie, Träger ist das Schulwerk der Diözese Augsburg, scheint unmissverständlich und ist auf der Homepage der Einrichtung einzusehen: Piercing im Gesicht – mit Ausnahme eines „Nasensteckers“– ist nicht gestattet. „Tunnel“in den Ohren müssen abgedeckt werden. Sichtbare großflächige Tattoos sind gegebenenfalls im Beruf und somit während der Ausbildung unerwünscht, heißt es dort. Pech für Lang, die an der Akademie Anfang September ihre Ausbildung zur Erzieherin begann. Denn neben ihren drei Piercings besitzt die Aalenerin zudem einen kleinen Ohrtunnel sowie Tätowierungen an Armen und Beinen. Sie zeigen unter anderem eine Libelle, einen Traumfänger und das Wort „Ohana“, hawaiianisch für Familie. Beim Bewerbungsgespräch waren die an der Schule unerwünschten Objekte nicht aufgefallen – das erste Kennenlernen fand telefonisch statt.
Lang erhielt eine Zusage, doch am ersten Schultag kam die Ernüchterung. Man habe die Hausordnung laut in der Klasse vorlesen müssen, erinnert sich die 23-Jährige. „Wie in der Grundschule.“Jeder Schüler habe unterschreiben müssen, dass er die Regeln akzeptiere. Nur die Aalenerin konnte und wollte das nicht. Sie überlegte, was sie im Hochsommer machen solle, um ihre Tattoos zu verdecken. „Ich kann ja bei mehr als 30 Grad nicht mit langen Ärmeln herumlaufen“, sagt sie. Lang suchte Kontakt zur Schulleitung, um eine Lösung zu finden. Nach zwei Minuten Gespräch sei klar gewesen, dass sie die Piercings herausnehmen oder sich eine andere Schule suchen müsse. Und so war ihre Zeit an der Maria Stern bereits nach zwei Tagen wieder vorbei.
„Ich hätte mich selbst hintergangen, wenn ich die Piercings entfernt hätte“, sagt die 23-Jährige, die sich mehr Toleranz von der katholischen Einrichtung wünscht. Sie verweist auf einen Auszug aus dem Leitbild der Schule: Vorrang hat der Mensch. Jeder von uns verdient es, in seiner Würde geachtet, mit Wertschätzung behandelt und in seinen Entscheidungen respektiert zu werden. Das, was sie in Nördlingen erlebt hat, beschreibt Lang jedoch als „wie im Mittelalter“.
Beistand erhielt sie von ihren Mitschülern. Die gesamte Klasse habe bei dem Thema hinter ihr gestanden, berichtet Lang, die sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sieht. Der Körperschmuck gehöre einfach zu ihr. Es sei die Art, wie sie sich als Mensch ausdrücken wolle. Dass sie tatsächlich Probleme wegen ihres Körperschmucks bekam, war für die Aalenerin neu. Bevor sich die junge Frau entschlossen hatte, Erzieherin zu werden, absolvierte sie bereits eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. In der Kanzlei seien weder Piercings noch Tattoos jemals Thema gewesen, erläutert sie. Auch nicht im
Kindergarten, wo sie eine Zeit lang gearbeitet habe. Langs Aufenthalt in der Kita war Teil ihrer zweiten Ausbildung zur Kinderpflegerin. Diese absolvierte sie an der Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern in Augsburg. Anders als Nördlingen sei sie vom Standort Augsburg begeistert. Es sei eine schöne Zeit gewesen, und wegen ihrer Tätowierungen und Piercings habe sie dort niemals Unannehmlichkeiten gehabt, erzählt Lang.
Als „eindeutigen Verstoß gegen das Diskriminierungsgesetz“beschreibt Uta-Maria Steybe das Verhalten der Schule. „Das geht gar nicht“, so die Beauftragte für Chancengleichheit der Stadt Aalen. Die Schule müsse nachweisen können, dass Langs Aussehen den Schulfrieden störe. Sie rät der Frau, sie solle bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder des Landes vorstellig werden. Die würden den Fall prüfen und der Frau beistehen, betont Steybe. „Ich würde klagen“, so ihre Empfehlung. Sigrid Christeiner, Leiterin der Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern in Nördlingen, sagt auf Nachfrage: „Unsere Schule steht zu der Hausordnung, sie ist korrekt und gültig.“Die Voraussetzungen für eine Ausbildung an der Einrichtung seien allen bekannt, jedem Schüler stehe es frei, wo er sich ausbilden lasse. „Alternativ gibt es ja noch 66 andere Fachakademien in Bayern.“
Im Landkreis Donau-Ries ist die Einrichtung Maria Stern die einzige Fachschule für Sozialpädagogik. Die von Nördlingen aus nächstegelegene befindet sich in Dillingen. Sie gehört ebenfalls zum Schulwerk der Diözese Augsburg. Trotz ihres Erlebnisses möchte die 23-Jährige Lang weiter Erzieherin werden.
Mittlerweile hat sie eine neue Schule in Aalen gefunden. Dort sei ihr Körperschmuck völlig egal, sagt Lang.
(mit daho)