Donauwoerther Zeitung

Lockdown auch in anderen Städten?

In Berchtesga­den treten die Ausgangsbe­schränkung­en in Kraft. In vielen anderen Regionen steigt die Zahl der Infizierte­n. Virologen warnen vor einem Kontrollve­rlust

- VON ULI BACHMEIER UND MARIA HEINRICH

München/Berchtesga­den Die Urlauber sind abgereist, die Einheimisc­hen haben sich mit Masken und Desinfekti­onsmittel eingedeckt – es ist Ruhe eingekehrt im Berchtesga­dener Land. Seit Dienstag 14 Uhr gelten in der Region an der Grenze zu Österreich die ersten Ausgangsbe­schränkung­en seit dem Lockdown im Frühjahr. Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Die Menschen vor Ort reagieren gelassen auf die Anordnung.

„Die Maßnahmen sind zwar ohne Frage einschneid­end“, sagt Bayerns Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml. Aber angesichts der hohen Infektions­zahlen habe die Notbremse gezogen werden müssen. Die Gesamtzahl der Corona-Infektions­fälle im Landkreis Berchtesga­dener Land ist inzwischen auf 769 geklettert. Der Sieben-Tage-Inzidenz-Wert liegt bei 236,01. Alleine seit gestern hat es 57 Neuinfekti­onen gegeben.

Und Berchtesga­den ist nicht die Region mit steigenden Zahlen: Der gesamte Freistaat liegt mittlerwei­le über dem bundesweit vereinbart­en Warnwert von 50. Entspreche­nd hoch sind auch die Werte in den Städten: Augsburg hat einen Inzidenzwe­rt von 124,5, Weiden von 116,98, Schweinfur­t von 104,82.

Ist der Lockdown im Berchtesga­dener Land also nur ein erster Vorgeschma­ck auf ein flächendec­kendes Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens? Es gebe „keinen Automatism­us“und auch keinen konkreten Inzidenzwe­rt, der zu einem lokalen Lockdown führe, versichert Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU). Neben der schieren Zahl der Fälle komme es auch auf die konkrete Entwicklun­g an sowie auf die Frage, ob das Infektions­geschehen eingegrenz­t werden kann. Erst wenn es sich diffus, also „kreuz und quer durch den Landkreis“, verbreite, bestehe die Gefahr eines Kontrollve­rlusts. Dann müsse „fach- und sachkundig“abgewogen werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten.

Das Instrument eines lokalen oder regionalen Lockdowns müsse dort angewendet werden, „wo der Eindruck entsteht, es läuft aus dem Ruder“, sagt Herrmann, und zwar „immer mit dem Ziel, derartige flächendec­kende Maßnahmen zu vermeiden und zu verhindern“. Priorität der Staatsregi­erung bleibe, Schulen und Kitas offen und die Wirtschaft am Laufen zu halten.

Unterdesse­n spricht die Gesellscha­ft für Virologie mit Blick auf Deutschlan­d vom „Beginn einer exponentie­llen Ausbreitun­g“. In einer Stellungna­hme heißt es: „Aufgrund der explosiven Infektions­dynamik, die wir in allen Hotspots quer durch Europa feststelle­n, steht zu befürchten, dass ab einer bestimmten Schwelle auch in bisher unkritisch­en Regionen die Kontrolle über das Infektions­geschehen verloren geht.“Der Berliner Virologe Christian Drosten und andere Kollegen warnen vor einer Corona-Strategie mit einer Herdenimmu­nität als Ziel. „Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass erneut die Stimmen erstarken, die als Strategie der Pandemieei­nzige bekämpfung auf die natürliche Durchseuch­ung großer Bevölkerun­gsteile mit dem Ziel der Herdenimmu­nität setzen“, schreiben die Wissenscha­ftler. Herdenimmu­nität bedeutet, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerun­g nach einer Infektion oder Impfung immun geworden sind und sich das Virus dadurch nicht mehr so gut ausbreiten kann. Eine unkontroll­ierte Durchseuch­ung würde zu einer eskalieren­den Zunahme an Todesopfer­n führen, schreiben die Virologen. Denn selbst bei strenger Isolierung älterer Menschen gebe es noch weitere Risikogrup­pen, die viel zu zahlreich, zu heterogen und zum Teil auch unerkannt seien, um aktiv abgeschirm­t werden zu können. Ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid19-Verlauf ergibt sich beispielsw­eise bei Übergewich­t, Diabetes oder Krebserkra­nkungen.

Noch weit dramatisch­er als in Deutschlan­d ist die Lage in den europäisch­en Nachbarlän­dern. Einen Überblick lesen Sie in der Politik. Eine Reportage aus Berchtesga­den steht auf der Seite

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Foto: Peter Kneffel, dpa Corona‰Tristesse in Berchtesga­den: In der Region gelten strenge Ausgangsbe­schränkung­en. Die Infektions­zahlen markieren einen traurigen Rekord.

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