Donauwoerther Zeitung

Sind grüne Tomaten wirklich giftig?

Häufig heißt es, man solle von den unreifen Früchten die Finger lassen. Eine Ernährungs­wissenscha­ftlerin hat dazu neue Erkenntnis­se

- VON ANDREA SCHMIDT‰FORTH

Der Lockdown im Frühjahr hatte auch seine guten, produktive­n Seiten. Viele Augsburger nutzten die Zeit, um Essbares auf Balkon oder Terrasse anzupflanz­en. Darunter ganz häufig Tomaten. Inzwischen fehlt allerdings im Herbst die Wärme, die nötig ist, um die restlichen grünen Tomaten am Strauch erröten und reif werden zu lassen. Bevor man demnächst mit dem ersten Frost die komplette Pflanze in der Biotonne entsorgt, stellt sich die Frage: Kann man die unreifen Früchte noch sinnvoll verwerten?

Die Antwort lautet: Ja! Daniela Krehl, Ernährungs­wissenscha­ftlerin und Beraterin bei der Verbrauche­rzentrale Bayern, hat sich mit dem Thema, zu dem es bislang nur wenige Daten gibt, intensiv befasst und ist dabei auf interessan­te Erkenntnis­se gestoßen.

Vorweg einmal die Basics: Tomaten zählen wie Auberginen und Kartoffeln zu den Nachtschat­tengewächs­en. In unreifem Zustand enthalten sie Solanin. Bei Tomaten heißt das Solanin Tomatin und Dexhydroto­matin. Diese Stoffe können sich gesundheit­sschädlich auswirken, wenn man sie in größeren

Mengen zu sich nimmt. „Zu viel davon führt zu akuten Magen- und Verdauungs­problemen wie Übelkeit und Durchfall. Bleibende Gesundheit­sschäden sind aber zum Glück nicht zu befürchten“, erklärt die Verbrauche­rberaterin.

Ihre Recherchen ergaben außerdem: Die Gefahr einer akuten Vergiftung ist heutzutage weit geringer als früher, zumindest bei den in Supermärkt­en oder Discounter­n erhältlich­en neuen Tomatensor­ten. Aus ihnen wurde das Solanin inzwischen weitgehend herausgezü­chtet. Damit seien diese Sorten etwa 20 mal weniger giftig als beispielsw­eise Kartoffeln mit grünen Stellen. Wohlgemerk­t: Das gilt für neue Züchtungen, nicht aber für alte Tomatensor­ten, wie sie häufig in der Biobranche oder am Bauernmark­t angeboten werden.

Allerdings sieht Daniela Krehl sowieso keine allzu große Gefahr, dass man sich über den Verzehr unreifer grüner Tomaten Schaden zufügt: „So lecker sind sie ja nicht, dass man viel davon isst. Außer sie sind fermentier­t.“Also sauer eingelegt, wie es beispielsw­eise in der türkischen Küche sehr beliebt ist. Wer schon einmal in einem türkischen Supermarkt eingekauft hat, hat bestimmt auch die großen Einmachglä­ser mit Tursu gesehen, einer appetitlic­hen Mischung aus allerlei Gemüsen wie Blumenkohl, Weißkohl, Möhren, Spitzpapri­ka, Knoblauch, Chili, Lorbeerbla­tt, Petersilie, Zitrone, Weißweines­sig, Wasser, Salz und mehr.

Solanin, respektive Tomatin, ist zwar nicht hitzeempfi­ndlich, sprich beim Kochen geht es nicht kaputt. Aber inzwischen weiß man, dass durch Fermentier­en rund ein Drittel Solanin verloren geht, so Daniela Krehl. Wahrschein­lich bauen die Milchsäure­bakterien während des Säuerungsp­rozesses einen Teil des schädliche­n Stoffes ab.

So weit, so gut! Grundsätzl­ich auf der sicheren Seite ist, wer nicht mehr als 100 Gramm grüne Tomaten pro Tag zu sich nimmt. So lautet die Empfehlung für Erwachsene. Kindern würde die Verbrauche­rberaterin sicherheit­shalber keine grünen Tomaten geben.

Ausnahme sind echte grüne Tomaten, also Tomaten, die von Haus aus grün gezüchtet sind und die kein Solanin enthalten. Wer also gerne einmal ein grünes Chutney, grüne Tomatenmar­melade oder gebratene grüne Tomaten – wie im Filmklassi­ker „Grüne Tomaten“– zubereiten möchte, sollte gezielt auf Sorten wie zum Beispiel Green Tiger gehen. Manche Züchter und manche türkischen Läden führen sie im Sortiment. Daran erkennen Sie den Unterschie­d: Original grüne Tomaten werden auch nach mehreren Tagen unter Lichteinfl­uss nicht rot.

Dagegen können Sie unreife Tomaten aus eigener Ernte im Haus nachreifen lassen. Dazu einfach in eine Butterbrot­tüte geben und in Keller, Küche oder Speisekamm­er ein paar Tage lang warm und trocken liegen lassen. Möglichst lose und nicht zu eng, sonst bekommen sie Druckstell­en, was sie eher schimmeln lässt. Packen Sie ruhig einen Apfel mit hinein. Äpfel geben ganz natürlich das Ethylengas ab, das unterstütz­t den Reifungspr­ozess.

Am besten baut sich das Solanin oder Tomatin allerdings bei Tomaten ab, wenn sie am Stock reifen. Wenn ein bisschen davon in der Frucht bleibt, schadet es aber wohl nicht, so Daniela Krehl. Tomatin hat durchaus auch seine positiven Seiten: Es gehört zu den sogenannte­n sekundären Pflanzenst­offen und wirkt unter Umständen leicht antikanzer­ogen, bietet also wohl einen gewissen Schutzeffe­kt vor Krebs.

 ?? Foto: Ina Fassbender, dpa ?? Was tun, wenn der Frost bald kommt und an den Sträuchern noch immer grüne Tomaten hängen? Manchmal hilft Nachreifen im Haus, manche Sorten sind außerdem auch grün zu genießen.
Foto: Ina Fassbender, dpa Was tun, wenn der Frost bald kommt und an den Sträuchern noch immer grüne Tomaten hängen? Manchmal hilft Nachreifen im Haus, manche Sorten sind außerdem auch grün zu genießen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany