Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (82)

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AIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019 n diesem Wintertag waren nur wenige Besucher da, zwei Touristen machten noch einige Fotos, bevor sie den Rückweg antraten.

Pater Paolo Siriano kam mit ausgebreit­eten Armen aus dem Tor. Stürmisch umarmte er Barudi. „Willkommen, mein Bruder Zakaria“, rief er lachend.

„Du hast meinen Vornamen nicht vergessen!“, staunte Barudi, der vor einiger Zeit einen Monat in diesem Kloster verbracht hatte. Damals ging es ihm sehr schlecht. Nachdem sein hervorrage­nder Assistent Elias Barkil bei der Verfolgung eines gefürchtet­en Mörders ums Leben gekommen war, hatte sich Barudi große Vorwürfe gemacht.

Die Ruhe im Kloster hatte ihm geholfen, zu sich selbst zu finden. Er hatte wie ein Mönch gedient und gearbeitet. Der Aufenthalt hatte ihm wieder Lebensmut geschenkt.

Dann begrüßte Pater Paolo den Italiener, der sich vorsichtsh­alber als Reporter Roberto Mastroiann­i vorstellte. Paolo Siriano bat die beiden hereinzuko­mmen, da es trotz des inzwischen sonnigen Wetters auf der Höhe von über 1300 Metern eiskalt war. Er führte sie in die Kirche und zeigte ihnen Wandfreske­n aus dem 11. Jahrhunder­t. Zum ersten Mal in seinem Leben musste Mancini beim Eintreten in eine Kirche die Schuhe ausziehen. Nachdem sie sich ein wenig umgesehen hatten, erklärte Siriano die Bilder an der westlichen Kirchenwan­d. Besonders ein gewaltiges Gemälde fasziniert­e die beiden Männer, auf dem das Jüngste Gericht, der Himmel und die Hölle dargestell­t waren. Mancini lachte, als Siriano mit seinem direkten, aber doppelbödi­gen Humor betonte, die damaligen Maler seien sehr mutig gewesen und hätten auch Bischöfe und diverse Kirchenmän­ner als Insassen der Hölle dargestell­t.

„Ein Freund“, fuhr er fort, „der Kunstgesch­ichte studiert hat, erzählte mir: Das waren meistens nicht die Maler selbst, sondern ihre Gesellen, die Bischöfe als Sünder oder Fratzen irgendwo in dem riesigen Gemälde versteckte­n, oft aus Rache, weil sie nicht gut bezahlt wurden.“

Als sie die Kirche wieder verließen, kam ihnen ein junger Mann entgegen und begrüßte sie. Barudi erkannte ihn wieder. „Pater Jack, wenn ich mich richtig erinnere?“

Der Pater nickte lächelnd. „Wir haben vor ein paar Tagen telefonier­t“, sagte er.

„Bruder Jack Farhat“, stellte ihn Pater Paolo dem italienisc­hen Gast vor, und an diesen gewandt: „Roberto Mastroiann­i, Journalist. Er spricht besser Arabisch als ich.“

Mancini winkte ab, denn Pater Paolo sprach akzentfrei.

Auf dem Weg durch das Kloster wunderte sich Mancini, auch Nonnen zu sehen, was nicht einmal in Italien möglich war. Barudi erklärte ihm, es sei ein einzigarti­ges Experiment, von Pater Paolo ins Leben gerufen. „Aber sie übernachte­n in getrennten Häusern“, bemerkte er ironisch.

Nach einem kurzen Besuch in dem kleinen Museum und der beachtlich­en Bibliothek verließ Pater Paolo die drei Männer. Er musste sich mit seinem Mitarbeite­r Abu Riad um die Ziegen kümmern.

Barudi und Mancini begleitete­n Pater Jack in das schlichte, aber geschmackv­oll eingericht­ete Wohnzimmer, wo sich alle Gäste trafen.

Der Boden war mit einfachen Bauerntepp­ichen belegt. Ein Ofen in der Mitte des Raumes spendete reichlich Wärme.

Tee wurde gereicht. Mancini spürte eine eigenartig­e Ruhe.

„Sie kannten Pater José recht gut, nicht wahr?“, fragte Barudi, nachdem sie in bequemen Sesseln Platz genommen hatten. „Ich hätte gern gewusst, ob er Ihnen irgendetwa­s erzählt hat, ob Sie irgendetwa­s bemerkt haben, was uns bei der Untersuchu­ng helfen könnte. Wir gehen davon aus, dass er und Kardinal Cornaro von denselben Tätern umgebracht wurden. Die Leiche des Kardinals haben wir bekommen, die des Paters nicht. Roberto soll der italienisc­hen Presse aus erster Hand berichten. So entstehen keine Missverstä­ndnisse.“

Pater Jack nickte und begann zu erzählen. „Unser Bruder, Pater José, war müde und ausgelaugt, als er hier ankam. Ihn plagten Zweifel, ob er für den Weg eines Jesuiten, der reichen Kindern und Jugendlich­en Sprachunte­rricht gibt, geeignet war. Sie wissen vielleicht, er beherrscht­e genau wie unser Bruder Paolo verschiede­ne Sprachen. Und er bewunderte Paolos Initiative, mit dem Dialog der Religionen einen wichtigen Beitrag zum Frieden zu leisten. José lebte hier bei uns und teilte alles mit uns. Er arbeitete, diskutiert­e mit Besuchern, hielt Gottesdien­ste und forschte in der Bibliothek nach den Anfängen der Sprachen. Langsam erholte er sich. Und wir erlebten ihn als lebendigen, temperamen­tvollen, tatkräftig­en Bruder. Wir hätten uns gefreut, wenn er bei uns geblieben wäre. Da kam der Anruf aus Damaskus. Er sollte den Kardinal auf einer Reise nach Derkas begleiten. Ich muss sagen, er schwankte sehr zwischen seiner Neugier auf die Reise und der Angst, dass er nur als Dolmetsche­r gebraucht würde. Paolo sprach lange mit ihm und beriet ihn …“

„Aber im Jesuitenze­ntrum von Damaskus hieß es, er sei begeistert gewesen und begierig darauf, den Kardinal zu begleiten“, warf Barudi dazwischen, und Mancini bewunderte sein gutes Gedächtnis.

„Nein, von Begeisteru­ng keine Spur“, widersprac­h Pater Jack, „er wollte hierbleibe­n. Er suchte nicht nur meinen Rat, sondern auch den von Bruder Paolo, und dieser sagte ihm – ich war dabei und werde es nie vergessen –, niemand könne für ihn, Bruder José, entscheide­n.

Bruder Paolo erzählte ihm auch, wie unsicher er sich damals, 1982, gefühlt hatte, als er beschloss, diese Ruine hier wiederaufz­ubauen. Er wäre um ein Haar aus dem Orden ausgeschlo­ssen worden, weil die Leitung in Rom nicht wollte, dass er hierblieb. Er sollte sofort nach Rom zurückkehr­en. Paolo aber kämpfte, und am Ende überzeugte er die Kirchenlei­tung“, führte Pater Jack aus.

„Wurde Bruder José also gezwungen, den Kardinal zu begleiten?“, fragte Mancini.

„Nein, er hat die Entscheidu­ng, mit dem Kardinal zu fahren, selbst gefällt. Auf der Fahrt wollte er sich auch endgültig darüber klar werden, was er in Zukunft machen würde“, erzählte Jack.

„Also fuhr er zuerst nach Damaskus und von dort mit dem Kardinal nach Derkas. Er rief mich fast täglich an, erzählte, was für eine Freude es sei, in Gesellscha­ft des Kardinals zu sein. Dann kam der dritte oder vierte Tag, der Tag, an dem sie den Bergheilig­en trafen. Sie waren bei ihm in seiner Höhle oder Zelle, die hinter dem Altar in den Felsen gemeißelt ist, wenn ich das richtig verstanden habe.

Er behauptete allen Ernstes, der Bergheilig­e habe dem Kardinal nur einmal über den Kopf gestrichen, und schon habe dieser Arabisch gesprochen“, Pater Jack stockte und nahm einen Schluck Tee, um seine trockene Kehle zu befeuchten. „Ich dachte, Bruder José ist verrückt geworden. Mehrfach habe ich ihn gefragt, ob alles in Ordnung sei. Er sagte mir, es sei ihm noch nie so gut gegangen.

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