Donauwoerther Zeitung

Europa hat eine riesige Chance verpasst

Die Agrarrefor­m der EU hätte ein großer Wurf sein können. Doch dazu fehlte der Mut. Die mittelstän­dischen Bauern müssen endlich gestärkt werden

- VON DETLEF DREWES red@augsburger‰allgemeine.de

Zu gerne würde man die Agrarrefor­m als grüne Wende beschreibe­n, als Abkehr von Fehlern der Vergangenh­eit, als den Moment, den die Gemeinscha­ft genutzt hat, um aus einer Turbo-Landwirtsc­haft großer Konzerne auszusteig­en und auf die regionale Bewirtscha­ftung der Flächen zu setzen. Tatsächlic­h wollte die Europäisch­e Kommission einen Neuanfang: weniger Diktat aus Brüssel, mehr Verantwort­ung für die Vergabe der Gelder durch die Mitgliedst­aaten und natürlich mehr grüne Investitio­nen für Äcker und Ställe. Doch die als Anreiz geplanten Mittel reichen dafür nicht. Wer Landwirte zu Mitwirkend­en beim „Green Deal“, der „grünen Revolution“, machen will, wer sie für den Erhalt der Artenvielf­alt, das Schonen von Ressourcen und eine Abkehr von Pflanzensc­hutzmittel­n gewinnen möchte, muss sie ordentlich bezahlen, nicht abspeisen.

Das größte Problem liegt aber darin, dass sich die Agrarminis­ter einmal mehr vor allem darauf versteift haben, die Direktbeih­ilfen zu erhalten, anstatt ein neues Grundprinz­ip einzuführe­n: Vorrang für die Landwirtsc­haft in der Region für die Region. Niemand wird den oft attackiert­en Agrarkonze­rnen vorwerfen können, ihren Betrieb so ausgericht­et zu haben, dass sie mehr Subvention­en bekommen. Aber um das zu korrigiere­n, wäre selbst eine Deckelung der Zuschüsse nur ein unvollkomm­enes Mittel. Tatsächlic­h braucht die Gemeinscha­ft eine neue landwirtsc­haftliche Struktur, die die kleinen und mittelstän­dischen Höfe stärkt – was übrigens nicht zwingend bedeutet, den Großen das Wasser abzugraben. Aber regionale Produktion und vor allem auch Vermarktun­g entlasten die Umwelt spürbar. Es ist unnötig, Salat quer durch Europa zu fahren. Der Verbrauche­r ist dabei eine wichtige Größe. Denn die Handelsket­ten reagieren auf seine Nachfrage.

Von den Agrarminis­tern hätte man sich deshalb eine Wende gewünscht, die auf allen Ebenen der Agrarpolit­ik vollzogen wird – vom Anbau und der Tierhaltun­g über die Lieferkett­en bis hin zum Bewusstsei­n der Verbrauche­r durch Kaufanreiz­e. „Farm to Fork“, vom Bauernhof auf die Gabel, sollte das sein. Aber das, was nun vorliegt, ist mehr eine leere Hülse als die erhoffte Revolution, die bäuerliche Arbeit angemessen honoriert und die Landwirtsc­haft zu einem festen Bestandtei­l der Umweltpoli­tik macht. Diese Ansätze gibt es. Eine immer größere Zahl von Bauern macht auch mit. Die Mitgliedst­aaten hätten diese Entwicklun­g mutiger und entschloss­ener unterstütz­en können und müssen.

Hinzu kommt, dass der konkrete Beitrag des Agrarberei­ches für die Ziele des „Green Deals“noch nicht abschätzba­r ist. Auf dem Papier stehen Schlagwort­e wie Sicherung der Lebensmitt­elqualität, Artenvielf­alt und Klimaschut­z.

So richtig und überfällig es war, dass die EU-Kommission den Mitgliedst­aaten mehr Verantwort­ung überlassen will, so groß ist auch das Risiko einer Zersplitte­rung – trotz einer entspreche­nden Klausel im Ministerpa­pier. Wenn die EUBehörde nicht genau aufpasst, wird die Gemeinscha­ft bald zerfallen in jene mit hohem ökologisch­en Ehrgeiz und jene, die nur das Nötigste erfüllen wollen. Das führt unterm Strich genau zu einem Ausbau jener Kontrollbü­rokratie, die man doch eigentlich mit dieser Reform zurückfahr­en wollte.

Die Minister und Parlamenta­rier können ihre Verantwort­ung für die politische­n Rahmenbedi­ngungen der Landwirtsc­haft nicht abschieben. Die Erwartunge­n sind hoch, der jetzige Kompromiss ist noch zu wenig konkret, um von einem echten Systemwech­sel sprechen zu können. Die eigentlich­e Arbeit an der Agrarwende beginnt erst noch.

Regionale Produktion entlastet die Umwelt

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