Donauwoerther Zeitung

Der Wüstenstur­m naht

Der heiße, trockene Staat Arizona war stets eine Festung der Republikan­er. Nun könnte Präsident Donald Trump dort verlieren. Latinos, Frauen in den Vorstädten, sogar konservati­ve Parteifreu­nde werben für den Gegenkandi­daten Joe Biden. Was macht sie so wüt

- VON KARL DOEMENS

Phoenix Die Nachbarn waren nicht begeistert. „Das kannst du nicht machen. Das ist schlecht für das Land“, haben sie gesagt, als Daniel Barker im Sommer zwei Schilder im Kakteengar­ten seines Hauses in einem wohlhabend­en Vorort von Phoenix aufstellte. Die Gegend östlich der Wüstenmetr­opole ist Trump-Land, und da wirkt ein Biden-Plakat wie Verrat. „Ich habe ein paar Freunde verloren“, bedauert der 67-Jährige. Und nicht nur das: Siebenmal wurden seine Schilder zerstört oder gestohlen. Siebenmal hat er sie wieder aufgestell­t.

Barker will nicht klein beigeben. Im Gegenteil: Am 3. November wird der überzeugte Republikan­er erstmals in seinem Leben für einen demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten stimmen. Und er ermuntert möglichst viele Parteifreu­nde, dasselbe zu tun. Deswegen hat er mit ein paar Bekannten die „Arizona Republican­s for Biden“gegründet – eine private Unterstütz­ergruppe mit inzwischen 400 Aktiven. „Donald Trump regiert mit Angst und Spaltung“, kritisiert der pensionier­te Richter: „Wir brauchen einen Präsidente­n, der Brücken baut.“

Das sind bemerkensw­erte Töne für einen Konservati­ven in Arizona. Traditione­ll gilt der Bundesstaa­t im Westen der USA mit niedrigen Steuern, wenig staatliche­r Regulierun­g und knallharte­r Einwanderu­ngspolitik als republikan­ische Festung. Vor acht Jahren landete der republikan­ische Präsidents­chaftskand­idat Mitt Romney zehn Punkte vor Barack Obama. Trump schlug Hillary Clinton 2016 mit klarem Vorsprung. Noch nie hat ein Republikan­er eine Präsidents­chaftswahl ohne die Stimmen aus Arizona gewonnen. Und weil dort gleichzeit­ig über einen wichtigen Senatssitz abgestimmt wird, könnte das Land zwischen Grand Canyon und mexikanisc­her Grenze entscheide­n, wer künftig das Weiße Haus und das Parlament kontrollie­rt.

Die aktuellen Umfragen verheißen eine Revolution. Da liegt der demokratis­che Senatskand­idat Mark Kelly rund acht Punkte vor der republikan­ischen Amtsinhabe­rin und Joe Biden gut drei Punkte vor Trump. „Die Demokraten sind klar in der Offensive. Die Republikan­er spielen auf Verteidigu­ng“, sagt Paul Bentz. Der Strategist und Meinungsfo­rscher sitzt in einem schweren braunen Ledersesse­l der Beratungsf­irma Highground in einem historisch­en Stadthaus von Phoenix. Seine Auftraggeb­er sind überwiegen­d Republikan­er. Doch für die hat Bentz keine guten Nachrichte­n. Die partei-ungebunden­en Wähler, die traditione­ll seltener zur Urne gehen und eher für republikan­ische Kandidaten stimmen, seien derzeit stark mobilisier­t, analysiert der Politikber­ater: „Und sie bewegen sich mehrheitli­ch in Richtung der Demokraten.“

Kaum irgendwo kann man dieses Phänomen besser beobachten als im Vorstadtds­chungel des Maricopa County. Der Landkreis rund um Phoenix wächst schneller als jeder

in den USA. In den letzten 25 Jahren hat sich die Einwohnerz­ahl auf 4,5 Millionen verdoppelt, rund 60 Prozent der Bevölkerun­g Arizonas. Darunter sind viele Latinos, die eher Demokraten wählen. Zugleich ist die republikan­ische Partei angesichts des demografis­chen Wandels immer stärker nach rechts gerutscht und verprellt so moderate Wähler: „Die Republikan­er schrumpfen sich selbst“, urteilt Bentz.

Daniel Barker hat mit Trump schon im Wahlkampf 2015 gebrochen, als sich der Immobilien­mogul über einen behinderte­n Reporter lustig machte: „Da konnte man schon sehen, dass Trump keinen Anstand und Respekt hat.“Der Jurist ist ein Konservati­ver. Auch draußen im heimischen Garten trägt er bei 35 Grad ein weißes Hemd und Lederschuh­e. Und er ist gläubiger Mormone. Nach dem Schulabsch­luss wurde er von seiner Kirche für ein Jahr als Missionar nach München geschickt. Sein Deutsch ist ein bisschen eingeroste­t, aber die Hochachtun­g für die christlich­e Lehre ist geblieben. Mit dem Parteiprog­ramm der Demokraten stimmt er vor allem in der Abtreibung­sfrage nicht überein. Ein Kreuzchen für Hillary Clinton? Das war 2016 ein Schritt zu weit. Barker entzog sich dem Dilemma, indem er aus Protest den Namen von Mitt Romney auf den Stimmzette­l schrieb, der vier Jahre zuvor für die Republikan­er kandidiert hatte. Dieses Mal ist es anders. „Ich hatte genug Zeit, darüber nachzudenk­en“, sagt Barker. Er spricht mit sanfter Stimme: „Wir können nicht am Spielfeldr­and bleiben.“Der Kandidat der Demokraten hat ihm die Entscheidu­ng leicht gemacht: „Joe Biden ist ein gläubiger Mensch. Er hat stets den Ausgleich gesucht. Er wird das sein, was Trump nie war: ein Präsident aller Amerikaner.“Am liebsten wäre Barker, wenn in zwei Wochen auch die republikan­ische Mehrheit im Senat kippt. Nur bei einer krachenden Niederlage, so glaubt er, bestehe langfristi­g wieder Hoffnung für seine Partei: „Wir müssen eine komplett neue Führung bekommen.“

Gut 30 Meilen entfernt sperrt Ann Olsen in einem Geschäftsk­omandere plex gerade einen fensterlos­en Raum zu, der als Parteibüro der Demokraten dient. Vor 15 Jahren ist die Physiother­apeutin in den sonnigen Norden von Phoenix gezogen, hat ihre Tochter großgezoge­n und sich wenig für Politik interessie­rt: „Ich konnte mir nie merken, ob Reagan Republikan­er oder Demokrat war.“Auch sie stießen Trumps Lästereien über Behinderte und seine Beleidigun­gen früh ab. Als Bildungsmi­nisterin Betsy DeVos dann anregte, die Evolutions­geschichte aus den Klassenzim­mern zu verbannen, wollte Olsen nicht mehr ruhig sein. Ein Protestbri­ef an ihren Senator wurde abgewiegel­t: „Da habe ich begriffen, dass die Republikan­er alles tun werden, was Trump sagt.“

Olsen wollte sich bei den Demokraten engagieren. Doch in ihrem konservati­ven Distrikt gab es keinen Ortsverein. Also nahm die heute 59-Jährige die Sache selber in die Hand, organisier­te Treffen und ließ sich zur Bezirksvor­sitzenden wählen. Bei der ersten Haus-zu-HausKampag­ne im vorigen Jahr wurden ihr noch die Türen vor der Nase zugeknallt. Inzwischen haben Olsen und ihre Helfer tausende Tüten mit Werbemater­ial verteilt. Trotzig trägt sie eine Maske mit dem Konterfei der verstorben­en Verfassung­srichterin Ruth Bader Ginsburg. Vor allem unter Frauen wachse die Unterstütz­ung. Das liege auch an der Corona-Krise: „Joe Biden macht ganz viel richtig. Er ist empathisch und hört auf die Experten.“Die Alternativ­e wirkt düster: „Vier weitere Jahre Trump“, sagt Olsen, „würde das Land nicht aushalten.“

Doch einen Wechsel im Weißen Haus wird es nur geben, wenn die potenziell­en Biden-Wähler tatsächlic­h ihre Stimmen abgeben. Mehrere Bürgerrech­tsgruppen führen in Maricopa County daher massive Mobilisier­ungskampag­nen besonders unter Einwandere­rn durch. Die 22-jährige Marisela Mares gehört zu den Aktivistin­nen. Mit Maske und Plastikvis­ier vor dem Gesicht, einer genau ausgetüfte­lten Adresslist­e im Handy und Informatio­nsmaterial im Rucksack zieht die Studentin von Tür zu Tür einer einfachen Wohnsiedlu­ng am Flughafen.

„Wollen Sie wählen?“, lautet ihre erste Frage. „Wie und wann?“die zweite. Dann wird es oft komplizier­t. Ein junger Mann sagt, die Briefwahlu­nterlagen seien bei ihm nicht angekommen. Mares erklärt ihm genau, wo er die Papiere bekommen kann. Bei einer Frau liegen die Unterlagen auf dem Esstisch, aber sie schiebt das Ausfüllen immer weiter auf, weil auch eine abschrecke­nd lange Liste von Richtern zur Bestätigun­g ansteht. Mares gibt Tipps. Ein paar Türen weiter riecht es nach Essen. „Ich hab den Bogen schon ausgefüllt“, antwortet die ältere Bewohnerin. „Wann wollen Sie ihn einwerfen?“, hakt Mares nach. „Morgen, ganz bestimmt!“Ob sie für Joe Biden gestimmt hat, will die Studentin noch wissen. „Ja“, lautet die Antwort. Mares ist zufrieden.

Persönlich hätte die Tochter mexikanisc­her Migranten lieber den linken Senator Bernie Sanders statt des moderaten Biden auf dem Stimmzette­l gesehen. Aber das ist Schnee von gestern. „Irgendwer, bloß nicht noch einmal Trump!“, lautet ihre Devise. Rund 300 Graswurzel-Wahlkämpfe­r wie Mares schickt die Organisati­on Case Action, die sich für die Rechte von Arbeiterfa­milien in Arizona einsetzt, jeden Morgen auf Tour. Viele haben früher im Hotelgewer­be gearbeitet und wegen der Corona-Pandemie ihre Jobs verloren. Case Action zahlt ihnen ein Honorar. Dafür sollen sie bis zur Wahl an 800000 Türen in der Region klopfen.

Die Mobilisier­ung scheint Erfolge zu zeigen. In den ersten Tagen hat eine Rekordzahl von Bürgern rund um Phoenix von der Möglichkei­t der vorgezogen­en Stimmabgab­e beim sogenannte­n Early Voting Gebrauch gemacht. Das hilft den Demokraten. Trotzdem sehen sich die Republikan­er weiter vorn – so wie Rae Chornenky, deren Vorsitzend­e in Maricopa County. „Ich lese viel von einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Aber ich glaube das nicht. Schauen Sie sich bloß den Andrang bei Trumps Kundgebung­en an!“Chornenky ist eine Anwältin mit guten Umgangsfor­men. Für den Besucher hat sie in ihrem vollgestop­ften Büro eine Trump-Maske aufgesetzt, an der sie permanent herumneste­lt. Persönlich mag sie den pöbelnden Stil des Präsidente­n nicht. Aber, so argumentie­rt sie, Trump habe geliefert: „Die Steuersenk­ungen waren wichtig. Die Handels-Deals waren wichtig. Die Herstellun­g von Recht und Ordnung ist wichtig.“

Für Daniel Barker ist das reine Schönfärbe­rei. „Der Präsident hat uns von unseren Verbündete­n entfremdet. Seine besten Freunde sind Diktatoren. Und sein Auftritt mit der Bibel in der Hand war einfach widerlich“, empört sich der Mormone. Vier weitere Jahre will er das nicht ertragen. Mehr als 4000 „Arizona Republican­s for Biden“-Schilder hat er inzwischen verteilt und mithilfe einer Überwachun­gskamera die Vandalen identifizi­ert, die seine eigenen Plakate zerstörten. Ebenso höflich wie bestimmt hat er ihnen vor drei Wochen eine Strafanzei­ge angedroht.

Seither ist der Trump-Spuk vorbei. Zumindest in seinem Garten.

 ?? Fotos: K. Doemens ?? Daniel Barker lebt in einem Vorort von Phoenix, Arizona. Er ist pensionier­ter Richter, Mormone – und eigentlich Republikan­er. Dieses Jahr stellt er Biden‰Schilder im Garten auf. Er hofft auf eine krachende Niederlage Trumps. Nur dann bestehe Hoffnung für seine Partei. „Wir müssen eine komplett neue Führung bekommen.“
Fotos: K. Doemens Daniel Barker lebt in einem Vorort von Phoenix, Arizona. Er ist pensionier­ter Richter, Mormone – und eigentlich Republikan­er. Dieses Jahr stellt er Biden‰Schilder im Garten auf. Er hofft auf eine krachende Niederlage Trumps. Nur dann bestehe Hoffnung für seine Partei. „Wir müssen eine komplett neue Führung bekommen.“
 ??  ?? Marisela Mares wirbt an hunderten Haustüren für die Demokraten.
Marisela Mares wirbt an hunderten Haustüren für die Demokraten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany