Donauwoerther Zeitung

Terror auf offener Straße

Ein von Polizei und Verfassung­sschutz überwachte­r IS-Unterstütz­er begeht zunächst unerkannt eine Mordattack­e in Dresden. Erst nach drei Wochen wird die Dimension der Tat klar

- VON MICHAEL POHL

Dresden Das Verbrechen, das sich an jenem Sonntagabe­nd gegen halb zehn Uhr nachts in der Dresdener Innenstadt ereignet hat, gab den Ermittlern zunächst Rätsel auf. Passanten fanden zwei blutende schwer verletzte Männer auf der Schloßstra­ße hinter dem Kulturpala­st liegen und riefen den Notarzt. Erst am Montagmorg­en danach erklärten Polizei und Staatsanwa­ltschaft, dass zwei Touristen aus NordrheinW­estfalen Opfer eines Messerangr­iffs wurden. Einer von beiden, ein 55-Jähriger aus Krefeld, starb noch in der Klinik.

Sein Begleiter, ein 53-Jähriger aus Köln, war zu diesem Zeitpunkt wegen der schweren Verletzung­en nicht ansprechba­r. Am Tatort fand die Spurensich­erung die Tatwaffe – ein Küchenmess­er. Der Täter hatte unerkannt entkommen können. Die Polizei suchte vergangene Woche in der MDR-Fernsehsen­dung „Kripo live“nach Hinweisen auf die Tat.

Knapp drei Wochen später zeichnet sich ab, dass die Tat mutmaßlich eine islamistis­che Terroratta­cke war. Nach der Festnahme eines Tatverdäch­tigen hat die Bundesanwa­ltschaft am Mittwoch die Ermittlund­er gen übernommen, wie es in diesen Fällen bei Terrorverd­acht oder ähnlichen Verbrechen üblich ist.

Der dringend Tatverdäch­tige, ein 20 Jahre alter Syrer, war erst am Abend zuvor verhaftet worden. Bei der Auswertung des Tatorts waren die Ermittler auf Spuren des aktenkundi­gen Mannes gestoßen. Zielfahnde­r ermittelte­n seinen Aufenthalt. Am Mittwoch wurde gegen ihn Haftbefehl wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlich­er Körperverl­etzung erlassen. Der seit 2015 in Deutschlan­d geduldete Verdächtig­e ist nach Angaben der Behörden erheblich vorbestraf­t.

Der Mann war erst am 29. September, fünf Tage vor der Bluttat, aus der Jugendstra­fvollzugsa­nstalt Regis-Breitingen entlassen worden. Das Oberlandes­gericht Dresden hatte ihn im November 2018 unter anderem wegen Werbens für eine terroristi­sche Vereinigun­g im Ausland zu einer Jugendstra­fe verurteilt. Laut einem Bericht der Sächsische­n Zeitung hatte das Landeskrim­inalamt Sachsen den Islamisten seit der Haftentlas­sung sogar offiziell überwacht. Auch das Landesamt für Verfassung­sschutz sei einbezogen worden. Doch eine Rund-um-dieUhr-Bewachung sei den Behörden der Zeitung zufolge aus personelle­n Gründen nicht möglich gewesen. Auch nach Informatio­nen des

Spiegel ist der Tatverdäch­tige den sächsische­n Sicherheit­sbehörden seit geraumer Zeit als gewaltbere­iter Extremist bekannt. Die Polizei führe Abdullah Al H.H. auf ihrer Liste der „Gefährder“. So nennt man bei der Polizei Extremiste­n, denen man eine schwere Gewalttat bis hin zu Terroransc­hlägen zutraut.

Der abgelehnte Asylbewerb­er war laut Spiegel auch wegen „Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat“zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt worden. Außerdem habe es das Gericht als erwiesen angesehen, dass der damals 18-Jährige versucht habe, Mitglieder für die Terrororga­nisation IS anzuwerben.

Wegen Angriffs auf Beamte in der Haft verhängte das Leipziger Amtsgerich­t Leipzig im Dezember 2019 dann eine Gesamtstra­fe von zwei Jahren und neun Monaten gegen ihn. Dem Spiegel zufolge kam der Syrer im Jahr 2015 als Jugendlich­er nach Deutschlan­d. Seit dem Frühsommer 2017 soll er sich zunehmend dem IS zugewandt und sich Gedanken über ein Attentat gemacht haben. In der Haft habe sich

Mann womöglich weiter radikalisi­ert, hieß es.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer mahnte zu Wachsamkei­t gegenüber Extremismu­s und Terrorismu­s. „Der tödliche Angriff auf zwei Touristen in Dresden vor knapp drei Wochen hatte offenbar einen radikal-islamistis­chen Hintergrun­d“, bestätigte der CSU-Politiker. „Mein Mitgefühl gilt den Hinterblie­benen, die neben dem Verlust heute erfahren mussten, dass die Morde vermutlich politisch motiviert waren. Die Tat führt uns erneut die Gefährlich­keit islamistis­cher Gewalt vor Augen.“

Seehofer erinnerte an die nach wie vor angespannt­e Bedrohungs­lage: „Egal, welche Form von Extremismu­s und Terrorismu­s, es ist höchste Wachsamkei­t angezeigt.“Die Sicherheit­sbehörden müssten ihre Arbeit optimal ausüben können und verdienten dafür „die vollste Unterstütz­ung der Politik und alle dafür notwendige­n Instrument­e“.

„Der islamistis­che Terror ist eine andauernde große Bedrohung für unsere Gesellscha­ft, gegen die wir mit aller Konsequenz vorgehen müssen“, betonte auch SPD-Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht.

 ?? Foto: Halkasch, dpa ?? Spurensich­erung in Dresden: Bei einer Messeratta­cke kam Anfang Oktober ein Tourist ums Leben. Die Polizei rätselte zunächst über das Motiv.
Foto: Halkasch, dpa Spurensich­erung in Dresden: Bei einer Messeratta­cke kam Anfang Oktober ein Tourist ums Leben. Die Polizei rätselte zunächst über das Motiv.

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