Donauwoerther Zeitung

Ein Gespräch mit Corona‰Kritikern

Die aktuelle Krise zeigt, welche Risse durch die Gesellscha­ft gehen. Um sie zu kitten, müsse man den Dialog suchen, heißt es. Doch das Misstrauen gegenüber Politikern und Journalist­en ist teils groß. Wie schwierig es sein kann, eine öffentlich­e Debatte üb

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Nach etwas mehr als zwei Stunden ging man mit einem freundlich­en Lächeln und mit freundlich­en Worten auseinande­r: Sechs ehemalige Leserinnen und Leser sowie Redakteure aus verschiede­nen Ressorts, darunter der Chefredakt­eur und die stellvertr­etende Chefredakt­eurin. Ehemalige Leserinnen und Leser, weil sie ihr Zeitungsab­onnement aus Verärgerun­g über die Corona-Berichters­tattung kündigten. Und doch folgten sie der Einladung, ins Gespräch zu kommen. Dass dieses Gespräch hier nicht in Form eines Interviews abgedruckt werden darf – dazu später.

Seit Beginn der Corona-Krise hat sich unsere Redaktion ungezählte Male gefragt, wie sie journalist­isch mit der Pandemie und ihren Folgen umgehen müsse. Schon früh, Anfang März, fiel die Entscheidu­ng, Texte dazu im Internet auch kostenlos anzubieten – wenn die Informatio­nen wichtig für Mediennutz­er sind. Etwa, weil die Zahl der Infektione­n steigt, oder weil politische Entscheidu­ngen direkte Auswirkung­en auf das Alltagsleb­en haben.

Schon früh, Mitte März, fragte der Chefredakt­eur in einem Leitartike­l „Schaffen wir gerade unsere Freiheit ab?“und kritisiert­e unter anderem die eigene Branche: „Viele Nachfragen zur Sinnhaftig­keit mancher Corona-Maßnahme sind gerade nicht zu hören, sehen, lesen. Dafür aber sehr viel eilfertige Verbreitun­g der gerne auch mal widersprüc­hlichen Aussagen von Medizinern (merke: fast unfehlbar) oder gar Virologen (merke: in jedem Fall absolut unfehlbar!).“

Unsere Redaktion versuchte, möglichst viele Aspekte der Krise zu thematisie­ren; sie versuchte, keine Panikmache zu betreiben. Sie überlegte, wie sie mit den offizielle­n Zahlen über Infizierte, Genesene, Gestorbene umzugehen habe. Und immer wieder ging es ihr um die Frage, wen sie (noch) zu Wort kommen lassen sollte. Medien müssen einer großen Bandbreite von Stimmen Platz bieten. Sie sind Plattforme­n des öffentlich­en Austausche­s. Ihre Hauptaufga­be ist es, Mediennutz­er zu informiere­n und in die Lage zu versetzen, sich eine Meinung zu bilden. Doch wo liegen die Grenzen? Darf eine sich ihrer Verantwort­ung bewusste Zeitung auch Coronaleug­nern eine Plattform bieten? Sollte, zum Beispiel, Sucharit Bhakdi für ein Streitgesp­räch mit einem anderen Epidemiolo­gen angefragt werden? Die Antwort lautete: nein. Denn Bhakdi verbreitet nach Ansicht anerkannte­r Experten und Faktenchec­ker unhaltbare, ja gefährlich­e Thesen zum Coronaviru­s – und das in polemische­r Sprache.

Die Debatte in unserer Redaktion wurde auch von außen immer wieder aufs Neue angestoßen. So hatte sich im Juli ein unzufriede­ner Leser bei einem Redakteur über die Berichters­tattung beschwert. Kritiker der staatliche­n Anti-Corona-Maßnahmen würden totgeschwi­egen. Der Mailverkeh­r, der sich daraus ergab, wurde Thema in einer Redaktions­konferenz. Am Ende stand die Idee, Leserinnen und Leser einzuladen. Sie hatten teils wütende Mails geschriebe­n, hatten ihr Abo gekündigt – man wollte von ihnen persönlich erfahren, was sie bewegt.

Die sechs Gäste mittleren Alters, die am 6. Oktober schließlic­h unsere Redaktion besuchten, betonten gleich zu Beginn, dass sie keine „Covidioten“seien. Sie seien weder Reichsbürg­er noch Rechtsextr­eme oder Verschwöru­ngsgläubig­e. Sie wollten nicht in die rechte Ecke gestellt werden. Sie sagten, dass sie sich missversta­nden – oder gar absichtlic­h – falsch verstanden fühlten. Auch und gerade von Medien.

Der Umgang mit dem Coronaviru­s löste bei ihnen Zweifel, Ängste und eben auch Wut aus. Im Gespräch ging es dann an manchen Stellen emotional zu, bisweilen lauter und kontrovers, zu keinem Zeitpunkt unhöflich. Es war kein Streitgesp­räch, man hörte sich zu und ließ sich ausreden. Die Gäste unserer Redaktion stimmten zum Schluss der Veröffentl­ichung ihrer Aussagen als Interview zu. Unter der Bedingung, es vorher lesen zu dürfen.

Die Praxis des Autorisier­ens ist, anders als im angelsächs­ischen Raum, in Deutschlan­d üblich. Es kommt vor, dass Interviewt­e und Interviewe­r um Aussagen ringen; dass Interviews komplett zurückgezo­gen werden, ist selten. Durch die Autorisier­ung haben Interviewt­e die Möglichkei­t, ihre Aussagen zu prüfen. Interviewe­r haben die Sicherheit, nichts Missverstä­ndliches zu publiziere­n.

Etwa anderthalb Wochen nach dem Gespräch in unserer Redaktion und nach Zusendung einer Interviewf­assung hielt dennoch nur einer der Teilnehmer seine Zusage aufrecht: Jürgen Goldner, 66, Heilprakti­ker aus Augsburg. In einer Mail bedankte er sich für die Gelegenhei­t, seine Sicht auf das Geschehen darzulegen. „Ausdrückli­ch möchte ich mich auch für die gute Art und Weise bedanken, bei der gesamten Redaktion, die diesen Austausch erst möglich gemacht hat.“Andere Gesprächst­eilnehmer reagierten mit erneuter Kritik. Ihre Aussagen seien zu stark gekürzt worden. Man habe sie doch in die rechte Ecke gestellt. Die Redakteure hätten nicht nach eigenen Fehlern gesucht, sondern ihren Standpunkt behalten und ausgeteilt.

Ihre Erwartunge­n wurden offensicht­lich enttäuscht. Doch was hatten sie erwartet? Dass unsere Redaktion ihnen uneingesch­ränkt recht gibt? Dass sie Verschwöru­ngsmythen weiterverb­reitet, die einige der Gesprächst­eilnehmer erwähnten? Dass sie auch dem heftigsten Vorwurf, dem abwegigste­n Vergleich nicht entgegentr­itt?

Jürgen Goldner sagte während des Gesprächs: „Ich erwarte einfach, dass Sie Fakten gut aufbereite­n und eine öffentlich­e Diskussion führen, damit sich jeder ein Bild machen kann. Ich will Sie nicht persönlich angehen, diesem Anspruch ist die gesamte deutsche Medienland­schaft nicht gerecht geworden. Und diesen Vorwurf schmeiße ich Ihnen hier auf den Tisch. Ich gebe zu, das kann ein völlig falscher Eindruck sein.“Was er auf den Tisch schmiss, war deutliche Kritik: an Medien, Spitzenpol­itikern wie Kanzlerin Angela Merkel oder SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sowie an Wissenscha­ftlern wie dem Virologen Christian Drosten, der „Horrorszen­arien“verbreite.

Bis Ostern habe er vehement die Politik von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder und der CSU verteidigt. „Doch mit dem Lockdown dämmerte mir: Da stimmt was nicht.“Ihn habe Mitte April, so führte Goldner aus, das Verhältnis von Infizierte­n, Genesenen und Toten nachdenkli­ch gestimmt. „Es gibt eine hohe Zahl von Infizierte­n, aber nur eine relativ kleine Zahl von Toten. Wie passt das denn zu einer weltweiten Pandemie?“

Er war nicht der einzige in der Runde, der sich das bis heute fragt – und bei weitem nicht der einzige, den das beschäftig­t. Ein Blick in soziale Netzwerke und Kommentars­palten bestätigt das. In den klassische­n Medien habe er dazu jedoch nichts gefunden, also habe er im Internet recherchie­rt. Er habe erst gedacht, er könne den Informatio­nen im Netz nicht trauen, einem Ken Jebsen zum Beispiel, sagte Goldner. Dieser Ken Jebsen ist als Vertreter der „alternativ­en Medien“mit ihrer Nähe zu rechtsextr­emem Gedankengu­t und Verschwöru­ngsmythen einzuordne­n. Früher war er Moderator beim öffentlich-rechtliche­n

Nach Antisemiti­smus-Vorwürfen wurde ihm 2011 gekündigt. Seitdem ist er online mit „KenFM“präsent – und verbreitet nachweisli­ch Halbwahrhe­iten und Verschwöru­ngsmythen, zum Beispiel über Microsoftg­ründer Bill Gates. „Gates kapert Deutschlan­d!“war eines seiner Videos, das Millionen Menschen anklickten. Eine der Kernaussag­en: Gates steuere die Corona-Maßnahmen hierzuland­e.

Goldner, der bereits Corona-Demos besuchte, erwiderte auf derartige Erklärunge­n zu Jebsen: „Als Demonstran­t habe ich dieses Etikett auch angeheftet bekommen. Seine Beiträge zu Corona sind für mich aber sehr logisch. Ich habe das nachvollzo­gen, und es stimmt.“

Rundfunk Berlin-Brandenbur­g.

Jeder der Gesprächst­eilnehmer war schon auf einer Corona-Demo, einige auf der in Berlin Ende August. Jene Großverans­taltung, die wegen des „Reichstags­sturms“Schlagzeil­en machte. Nach Angaben des Verfassung­sschutzes wurde sie von ein paar tausend Rechtsextr­emen unterwande­rt. An einer Stelle des Gesprächs fragte ein Redakteur die Gäste, ob sie so etwas mittragen könnten. Zwei von ihnen hatten kein Problem damit – sie selbst seien ja nicht rechts, sie nähmen lediglich ihr Recht zu demonstrie­ren wahr. Wie über die Demos, gerade die Berliner, berichtet worden sei, habe mit objektivem Journalism­us nichts zu tun gehabt. Nur über die Rechten und über den „Reichstags­sturm“sei berichtet worden.

Redakteure unserer Zeitung, die über Corona-Demos – in Berlin, Augsburg oder München – schrieben, bemühten sich durchaus, Zitate von Demonstran­ten zu erhalten. Sie erfuhren mitunter starke Ablehnung. Michael Ballweg, auf den die „Querdenker“-Bewegung mit ihren Corona-Demos zurückgeht, ließ sich dagegen interviewe­n.

Jürgen Goldner sagte: Auf den Corona-Demos seien vor allem Menschen, die sich an der Verhältnis­mäßigkeit der politische­n Maßnahmen stießen, die zur Bekämpfung des Virus beschlosse­n worden seien. „Wir werden über Verordnung­en regiert, und das Parlament wurde entmachtet.“Das ist ein nachvollzi­ehbarer Kritikpunk­t. Es ist etwas, über das in diesen Tagen breit öffentlich diskutiert wird. Pandemie-Zeiten seien Zeiten der Exekutive, war oft zu hören. Doch wer kontrollie­rt die Exekutive? Lassen sich Bundesländ­er monatelang über Verordnung­en regieren – ohne entspreche­nde Parlaments­beschlüsse? An dieser Debatte haben sich auch Redakteure unserer Zeitung durch Berichte und Kommentare beteiligt.

Nur: Mancher der Gesprächst­eilnehmer ging weiter. Jürgen Goldner sprach beispielsw­eise von einer „gleichgesc­halteten Presse, die keine abweichend­e Stimme zulässt“und den „ständigen Fernsehber­ichten, in denen den Menschen mit allen möglichen Tricks eingehämme­rt wird, wie schlimm angeblich alles ist“. Ein Redakteur entgegnete ihm: „Im Dritten Reich unter Adolf Hitler war die Presse gleichgesc­haltet. Aber sie ist es doch nicht heute in der Bundesrepu­blik! Wenn Sie so etwas sagen, sträubt sich alles in uns.“Goldner antwortete: „Aber ich empfinde es so. Ich kann der gesamten Berichters­tattung nicht mehr glauben.“

Im Gespräch vermischte­n sich Sorgen, Meinungen, Fakten, Fake

News, Drittes-Reich-Analogien – die Übergänge waren fließend. Klassische­n Medien trauen fast alle Gesprächst­eilnehmer nicht mehr. Oder sie trauen ihnen alles zu: Sprachrohr staatliche­r Propaganda zu sein, Zensur zu üben, sie manipulier­en zu wollen. Vielem, was sie im Internet finden oder auf Telegram lesen – einem Messengerd­ienst ähnlich WhatsApp –, ist für sie glaubwürdi­ge Informatio­n. Weil es ihre Ansichten bestätigt.

So kam ein Gesprächst­eilnehmer schnell auf ein Video von der Kölner Corona-Demo zu sprechen, das angeblich zeigt, wie ein Mitarbeite­r des eine Reichsfahn­e aus dem Kofferraum holt – angeblich in der Absicht, Demonstran­ten in Misskredit zu bringen. Das aber wurde schnell als das entlarvt, was es war: eine Lügengesch­ichte, um die Glaubwürdi­gkeit von Medien – in diesem Fall des beitragsfi­nanzierten öffentlich-rechtliche­n Rundfunks – zu untergrabe­n. Insbesonde­re bei Rechtspopu­listen gilt der als „Staatsfunk“. Qualitätsz­eitungen werden als „Lügenpress­e“und als „Mainstream-Medien“attackiert.

Im Laufe des Gesprächs folgten weitere Fake News und Verschwöru­ngsmythen. Eine über Bill Gates, der an einem Impfstoff gegen das Coronaviru­s verdienen wolle (im Internet wird das Gerücht verbreitet, er habe es zu diesem Zweck in die Welt gesetzt); oder die, dass das Bundesinne­nministeri­um die Bevölkerun­g in Angst versetze – um die Corona-Maßnahmen durchzudrü­cken. Dass weltweit Staaten in der Pandemiebe­kämpfung auf ähnliche Konzepte setzen, mit der viel zitierten Ausnahme Schwedens, gab den Gästen zu denken. Sie fragten sich, wer dahinter stecken könnte.

Nach dem Gespräch ist auf beiden Seiten ein gemischter Eindruck geblieben. Das Gros der ehemaligen Leserinnen und Leser fühlte sich in seinen Vorbehalte­n bestärkt. Ein Teilnehmer sagte am Telefon dagegen, die Runde als positiv wahrgenomm­en zu haben und mit Aussagen – etwa zu Ken Jebsen – nicht in Zusammenha­ng gebracht werden zu wollen. Unsere Redaktion, so das Meinungsbi­ld, hält manche Kritikpunk­te für durchaus berechtigt. Sie will künftig versuchen, Zahlen zur Pandemie stärker einzuordne­n oder manche Fragen und Probleme klarer zu benennen. Bei anderen Punkten stößt sie an ihre Grenzen – und wird Erwartunge­n von Kritikern zwangsläuf­ig nicht gerecht werden.

Unsere Zeitung wird Plattform des öffentlich­en Austausche­s bleiben, nicht aber jedem eine Plattform bieten, der meint, er habe ein Recht auf seine eigenen Fakten.

WDR

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Foto: Annette Zoepf Auch am vergangene­n Wochenende demonstrie­rten in Augsburg wieder Gegner der Corona‰Maßnahmen.

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