Donauwoerther Zeitung

„Warum ist das gerade ihm passiert?“

Die Witwe des Getöteten vom Augsburger Königsplat­z sagt unter Tränen als Zeugin aus. Sie beschreibt ihren Mann als liebevolle­n Menschen. Wie konnte der Streit so eskalieren?

- VON JÖRG HEINZLE UND HOLGER SABINSKY‰WOLF

Augsburg Es sei doch ein „so schöner Abend“gewesen, erzählt die Frau. Der Besuch auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt mit Freunden, dann noch ein kurzer Abstecher in ein Lokal. Doch kurz darauf brach für die 51-Jährige eine Welt zusammen – ihr Mann lag reglos auf dem Königsplat­z, getroffen von einem tödlichen Fausthieb. Am Mittwoch kommt bei der Witwe des Getöteten alles wieder hoch. Sie muss im Prozess vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts Augsburg als Zeugin aussagen. Der Täter Halid S., 17, sitzt nur wenige Meter hinter ihr.

Es ist der zweite Tag im Verfahren um den tödlichen Schlag am Kö und er ist emotional. Die Witwe trägt Schwarz. Sie atmet schwer, als sie den Gerichtssa­al betritt. Schon bei der ersten Frage des Vorsitzend­en Richters Lenart Hoesch bricht sie in Tränen aus. Sie beschreibt ihren verstorben­en Mann als „liebevolle­n, hilfsberei­ten Menschen, der gut zuhören konnte“. Er sei mit Leib und Seele Feuerwehrm­ann gewesen, habe für seinen Beruf gelebt. Und sie sagt: „Er hat immer das Gute in den Menschen gesehen. Warum ist das gerade ihm passiert?“

Roland S. und seine Frau waren an diesem Abend mit einem befreundet­en Ehepaar unterwegs. Sie wollten gegen 22.40 Uhr nach Hause, sich beim Taxistand am Königsein Taxi nehmen. Die Frauen gingen etwas voraus, die Männer hinterher. Die Witwe sagt, sie habe sich umgedreht und die Männer gut gelaunt, lachend gesehen. Als sie dann wieder geschaut habe, wo die Männer bleiben, sei ihr Mann schon am Boden gelegen. Sie erlitt einen Schock. Ein Zeuge, der vor Ort war und sich um Roland S. kümmerte, erzählt: „Sie ist hin und her gelaufen und hat geschrien. Sie war völlig durch.“Die Wunden, die der Verlust ihres Mannes geschlagen hat, sind auch heute, zehn Monate nach der Tat, noch immer frisch.

Sie habe schlaflose Nächte, sagt die Witwe. Besonders schlimm sei es immer dann, wenn sie alleine sei. Eine Therapie habe sie bis jetzt aber nicht gemacht. Sie sagt: „Ich kann nicht mit fremden Menschen darüber sprechen. Den Schmerz kann mir keiner nehmen. Es gibt mir den Menschen nicht mehr zurück.“Richter Hoesch will von ihr wissen, wie ihr Mann gewesen sei, wenn er Alkohol zu sich genommen hatte – auf dem Christkind­lesmarkt hatten alle mehrere Tassen Glühwein getrunken. Die Witwe sagt, ihr Mann sei dann ruhig geworden, eher schläfrig, aber nicht aggressiv.

Staatsanwa­lt Michael Nißl merkt an, dass das nicht ganz zu dem passe, was von der Tat bekannt sei. Roland S. soll von einem Jugendlich­en nach einer Zigarette gefragt worden sein. Er soll mit „Halt die Schnauze“geantworte­t haben. In der folgenden

Auseinande­rsetzung soll Roland S. erst den Jugendlich­en weggestoße­n haben, dann verpasste ihm Halid S. den tödlichen Faustschla­g gegen das Kinn. Die Witwe beteuert allerdings: Solche Worte wie „Halt die Schnauze“habe ihr Mann nie in den Mund genommen.

Am zweiten Prozesstag sagen viele Zeugen aus, die zur Tatzeit zufällig am Königsplat­z waren. Es geht auch darum, zu klären, was sich in den Minuten vor der Tat abgespielt hat. Halid S. war mit einer siebenköpf­igen Gruppe von Jugendlich­en und jungen Männern unterwegs. In der Nähe des McDonald’s-Restaurant­s traf die Gruppe dann auf die beiden Männer, die auf dem Weg zum Taxi waren. Angeklagt sind neben Halid S. noch zwei weitere junge Männer, 18 und 20 Jahre alt. Sie sollen den Freund von Roland S. geschlagen und schwer verletzt haben.

Es war am Tatabend noch viel los am Königsplat­z. Viele Menschen waren auf dem Christkind­lesmarkt und in der vorweihnac­htlichen Innenstadt unterwegs. Eine junge Frau war mit ihrem Freund beim Essen – und kam zum Kö, als Roland S. gerade durch den Schlag zu Boden gegangen war. Der Mann habe zu diesem Zeitpunkt noch gelebt, erzählt sie. „Aber er hatte eiplatz nen glasigen, hilflosen Blick. Für mich war es der Blick eines Sterbenden.“Die Atmosphäre sei aufgeladen gewesen. Man habe auch gemerkt, dass Alkohol im Spiel gewesen sei. Die Richter befragen viele Zeugen, insgesamt sind mehr als 40 Personen geladen. Das Gericht will unter anderem herausfind­en, ob die Gruppe um Halid S. gut gelaunt war – oder ob die jungen Männer Ärger gesucht haben. Das ist wichtig für die Einordnung der Tat.

Die Staatsanwa­ltschaft hatte Halid S. anfangs vorgeworfe­n, den Tod des Feuerwehrm­annes zumindest bewusst in Kauf genommen zu haben. Die Ermittler werteten das als Totschlag. Die sechs weiteren Mitglieder der Gruppe wurden alle der Beihilfe beschuldig­t und kamen in Haft. Diese wurden nach einem Rüffel des Bundesverf­assungsger­ichts aber im März freigelass­en. Bei vier jungen Männern stellte die Staatsanwa­ltschaft das Verfahren ein, weil sie nicht am Tod von Roland S. beteiligt waren. Das juristisch­e Tauziehen hat auch in der Justiz Gräben hinterlass­en. Richter Lenart Hoesch hat aber schon beim Prozessauf­takt versucht, Emotionen herauszune­hmen. Er sagte, es gehe nicht darum, den Ablauf des Ermittlung­sverfahren­s aufzuarbei­ten. Die Kammer werde nach Recht und Gesetz über die Tat urteilen. Das Gericht sei auch nicht dazu da, „vermeintli­ch bestehende Erwartunge­n der Gesellscha­ft zu erfüllen“.

Richter: Nicht Erwartunge­n der Gesellscha­ft erfüllen

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Bei der Trauerfeie­r für den getöteten Feuerwehrm­ann Roland S. wurde sein Helm zur Erinnerung in Neusäß aufgestell­t.
Foto: Marcus Merk Bei der Trauerfeie­r für den getöteten Feuerwehrm­ann Roland S. wurde sein Helm zur Erinnerung in Neusäß aufgestell­t.

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