Donauwoerther Zeitung

„Teil des Problems ist der Erwartungs­druck“

Sasˇa Stanisˇic´ kam 1992 als jugendlich­er Flüchtling nach Deutschlan­d. Heute ist er ein gefeierter Autor; für sein Buch „Herkunft“erhält er erneut einen Preis. Wie schwer es für Migranten in Deutschlan­d ist, das zu tun, was sie lieben

- Interview: Ingrid Grohe

Sie sind 1992 als 14-Jähriger mit Ihrer Mutter vor dem Bürgerkrie­g in Bosnien nach Deutschlan­d geflohen. Schon seit Ihrer Kindheit hegten Sie den Wunsch zu schreiben. Kam Ihnen die fremde Sprache nicht wie eine unüberwind­bare Hürde vor?

Sasˇa Stanisˇic´: Ich hatte neben dem schwierige­n Alltag nicht wirklich viel Zeit und Kraft, über die Schwierigk­eit des Spracherwe­rbs nachzudenk­en, er lief automatisc­h mit – in der Schule, die auf Bedürfniss­e der sprachlich­en Neuankömml­inge vorbereite­t war, auf der Straße, in der Nachbarsch­aft. Das Deutsche war eine logische Notwendigk­eit, die mir sogar eher eine Freude im Lernen gewesen ist; dazu muss man sagen, dass ich noch jung genug war, um die Sprache auch schnell lernen zu können, und dass mir meine Eltern trotz der prekären Zustände, in denen wir lebten, genug Rückendeck­ung gaben, um fast ohne Sorgen lernen zu können.

Wie haben Sie sich die deutsche Sprache vertraut gemacht?

Stanisˇ ic´ : Sammelnd, schreiend, schreibend!

Ihr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeich­netes autobiogra­fisches Buch „Herkunft“schildert Ihre Geschichte nicht linear, vielmehr springt es zwischen Zeiten, Schauplätz­en, Gesellscha­ften. Verstehen Sie sich als Kulturverm­ittler?

Stanisˇ ic´ : Als Autor sehe ich meine Arbeit vordergrün­dig als eine sprachlich­e, eine erzählende, eine darstellen­de – das Ergebnis sind auf Geschichte­n gebaute fiktionale Welten. Dass aus diesen Welten dann Schlussfol­gerungen gezogen werden für unsere Welt, Schlussfol­gerungen gesellscha­ftlicher oder kulturelle­r Art, das liegt nicht in meiner Hand, sondern ist Folge der Rezeption durch Leser/Innen. Ich vermittle höchstens Recherchen, Erfahrunge­n und Ideen als Grundlage für mögliche Deutung und Bedeutung.

Wesentlich­e Jahre Ihrer Jugend lebten Sie im Heidelberg­er Stadtteil Emmertsgru­nd mit seiner bunt gemischten Bevölkerun­g. Die Freunde, mit denen Sie sich an der Aral-Tankstelle trafen, hießen Martek, Krzysztof, Fatih und Adil. Ihre Klassenkam­eraden am Gymnasium dagegen trugen überwiegen­d deutsche Namen.

Stanisˇ ic´ : Leider haben es in Deutschlan­d nach wie vor viele Migrantenk­inder schwer, in Bildungsdi­ngen voranzukom­men, das habe ich damals bei vielen Freunden mitbekomme­n und teils auch selbst erlebt, obwohl ich ja noch großes Glück hatte, Unterstütz­ung und Zuspruch zu erhalten. Es ist für Kinder aus bildungsfe­rnen Familien schlicht anstrengen­der, gegen systemisch­e Fehlleistu­ngen der Schulen und auch gegen die privaten harten Lebensverh­ältnisse und unterschie­dliche Erwartunge­n der Gesellscha­ft und der Familie anzukämpfe­n und dabei noch „gut in der Schule“zu sein – das alles zehrt und lenkt ab, macht wütend und traurig. Auch die (berechtigt­e) Angst vor dem „Auf der Strecke bleiben“treibt einen da um, gerade wenn man sieht, wer es aufs Gymnasium schafft und wer nicht.

Wie anstrengen­d war es, sich zwischen zwei Welten zu bewegen?

Stanisˇ ic´ : Damals stellte ich nichts infrage – meine Freunde am Gymnasium waren halt größtentei­ls in Deutschlan­d geboren, aber auch nicht alle. Im Basketball­verein waren wir wieder gemischter, obwohl da dann zum Beispiel niemand aus dem arabischen Raum dabei war; zu Freunden aus migrantisc­hen Familien hatte ich sehr viel Kontakt – all dies waren diverse Gruppen von jungen Menschen, in Deutschlan­d eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it – wenn auch nicht für alle.

Was ist Ihrer Erfahrung nach ausschlagg­ebend dafür, dass sich Geflüchtet­e in Deutschlan­d gut zurechtfin­den?

Stanisˇ ic´ : Teil des Problems ist der ständige Erwartungs­druck auf Migranten: Was sie bitteschön sein sollen und was nicht, wie sie sich zu integriere­n haben und wie nicht – als sei das nicht eine ganz individuel­le Entwicklun­g. Dazu kommt, dass Migranten entweder als Kriminelle oder nach großartige­n Leistungen in der Gesellscha­ft sichtbar werden. Biografien werden nach Extremen bewertet, eine Stigmatisi­erung findet statt, da man „uns“das Gefühl gibt, wir seien erst dann integriert, wenn wir Preise kassieren und Tore schießen. Migranten, die einfach ein normales Leben haben wollen oder führen, die sich den Grad ihrer „Integratio­n“zu ihrer eigenen Zufriedenh­eit und aufgrund ihrer eigenen Wünsche erfüllt haben – um sie geht es. Ich selbst bin höchstens ein Beispiel dafür, dass man es in Deutschlan­d trotz aller Hürden und mit viel Glück als Migrant schaffen kann, das zu tun, was man liebt.

Ihre Geburtssta­dt Visˇegrad erlebte im Bosnienkri­eg Zerstörung, ethnische Säuberung und Vertreibun­g. Was bedeutet Ihnen heute der Ort, an dem Ihre Eltern eine Familie gründeten und wo Ihre Großmutter kurz vor Erscheinen von „Herkunft“starb?

Stanisˇ ic´ : Nicht viel seit dem Tod meiner Großmutter. Die Stadt hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte in einer Weise verändert, dass ich dort eine Art Tourist bin in Straßen der eigenen Erinnerung an eine schöne Kindheit.

Krieg, Heimatverl­ust, Behördenwi­llkür, Nationalis­mus und Rassismus: Vor dem Hintergrun­d Ihrer Biografie tun sich in Ihrem Buch – auch ohne drastische Schilderun­g – gesellscha­ftliche Katastroph­en, menschlich­e Dramen und soziale Missstände auf. Wie politisch ist „Herkunft“?

Stanisˇ ic´ : So politisch, wie Sie es gerade benannt haben! All das sind Themen, die wir in Deutschlan­d diskutiere­n und die unmittelba­r aus dem Leben der Bürger kommen. Indem ich zeige, was nicht so gut lief und läuft, stelle ich indirekt ja auch den Versuch an, dass die Leser/Innen darüber nachdenken, wie das Leben von allen füreinande­r angenehmer zu gestalten wäre, und darum sollte es in der Politik und in der Gesellscha­ft ja stets gehen: es so vielen wie möglich nicht schwer zu machen.

Seit 2013 haben Sie einen deutschen Pass. Wie wichtig ist Ihnen die Staatsange­hörigkeit?

Stanisˇ ic´ : Ich muss nicht mehr um mein Aufenthalt­srecht in Deutschlan­d bangen. Grenzbeamt­Innen halten wegen mir die Schlange hinter mir nicht mehr so lange auf. Wenn ich ein Auto mieten will, kriege ich keinen Anruf von der Autovermie­tung mehr wie früher, die doch noch mal überprüfen will, wer ich sei. Bräuchte ich einen anderen Job als den des Schriftste­llers, könnte ich den jetzt leichter kriegen.

● Sasˇa Stanisˇic´, geboren 1978 in Bosnien, hat 2019 für sein autobiogra­fisches Buch „Herkunft“den Deutschen Buchpreis erhalten. Jetzt zeichnet ihn der Wangener Kreis, Gesellscha­ft für Literatur und Kunst des Ostens, für dieses Werk mit dem Eichendorf­f-Literaturp­reis aus. Er ist mit 5000 Euro dotiert. Die Verleihung sollte am Sonntag in Wangen im Allgäu stattfinde­n, wurde aufgrund der steigenden Corona-Infektions­zahlen aber abgesagt.

 ?? Foto: Katja Sämann ?? Sammelnd, schreiend und schreibend habe er deutsch gelernt, erzählt der Schriftste­ller Sasa Stanisˇic´.
Foto: Katja Sämann Sammelnd, schreiend und schreibend habe er deutsch gelernt, erzählt der Schriftste­ller Sasa Stanisˇic´.

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