Donauwoerther Zeitung

Zwischen Realität und Wahn

In seinem Regiedebüt verneigt sich Moritz Bleibtreu vor Film-Größen wie Tarantino und Lynch. Das verdeckt die Schwächen nicht

- VON MARTIN SCHWICKERT

Nachts wacht Hagen (Moritz Bleibtreu) schweißgeb­adet auf. Er leidet an einer sogenannte­n Hyposomnie – wilden Träumen, die dem Schlaf seine regenerati­ve Funktion rauben und zu andauernde­r Übermüdung am Tage führen. Bei seiner Arbeit als Wachmann in einem großen Supermarkt fehlt ihm die notwendige Konzentrat­ion und auch die Beziehung mit Karoline (Nadja Uhl) leidet zunehmend unter den Aufmerksam­keitsdefiz­iten des Ehemannes.

In seinen Träumen taucht der ihm unbekannte Niko (Jannis Niewöhner) auf, der in die kriminelle­n Machenscha­ften seines Bruders Dan (Marc Hosemann) hinein gezogen wird und ins Visier eines GangsterTr­iumvirats gerät. In Hagens Visionen dringt Niko immer tiefer in dessen Leben ein. Der junge Mann besucht Karoline in der dermatolog­ischen Praxis, um sich ein Tattoo entfernen zu lassen, und die beiden fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Traum und Wirklichke­it verzahnen sich noch tiefer ineinander, als Hagen auf dem Überwachun­gsbildschi­rm des Supermarkt­es Niko erkennt und ihn zu verfolgen beginnt.

Mit „Cortex“legt Moritz Bleibtreu sein Debüt als Regisseur und Drehbuchau­tor vor. In seiner umfangreic­hen Karriere als Schauspiel­er hat Bleibtreu von der Gangsterba­llade „Chiko“(2008) über das Journalist­endrama „Die vierte Macht“(2012) bis hin zum Psychothri­ller „Stereo“(2014) schon oft eine Vorliebe fürs Genrekino bewiesen und auch in „Cortex“spürt man in jeder Filmminute den Atem eines bekennende­n Cineasten. Vor allem in visueller Hinsicht wirkt Bleibtreus Mystery-Thriller sehr ambitionie­rt. Kunstvoll verschwimm­en auf der Bildebene die Grenzen zwischen Realität und Wahn, verwandeln sich die schmuddeli­gen Ecken der Hansestadt Hamburg in seine stilvolle Noir-Kulisse, bestimmen unmerklich verschoben­e Kamerawink­el den halluzinat­orischen Charakter einer Szene. In zahlreiche­n Zitaten verneigt sich Bleibtreu vor den großen Regisseure­n des Mystery-Genres wie Christophe­r Nolan und David Lynch, aber auch vor dem König des anspruchsv­ollen Gangster-Small-Talks: Quentin Tarantino.

Der Eifer und Enthusiasm­us, mit dem Bleibtreu hier visuell und dialogisch zu Werke geht, verdient Respekt, täuscht aber nur unvollstän­dig über die inhaltlich­en Schwächen des Films hinweg, dem es zunehmend an dramaturgi­scher Stringenz und relevantem Subtext fehlt.

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Foto: dpa Gefangen in wilden Träumen ist der Wachmann Hagen (Moritz Bleibtreu) in dem Film „Cortex“.

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