Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (83)

-

DIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

ie Anhänger des Bergheilig­en verwöhnten sie wie zwei Himmelsges­andte. Er wiederholt­e, der Kardinal spreche jetzt fließend Arabisch, und damit ich es glaubte, gab er den Hörer an den Kardinal weiter. Ich hörte eine ältere Stimme: ,Guten Tag, Bruder Jack, ich bin Kardinal Cornaro. Wie geht es Ihnen?‘, sagte er freundlich. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen. José nahm den Hörer wieder. ,Na? Habe ich übertriebe­n? Glaubst du es jetzt?‘, fragte er.

,Und was hast du jetzt vor?‘ fragte ich. Bruder José zögerte, er habe in Damaskus im Jesuitenze­ntrum angerufen und gefragt, ob er zu uns zurückkehr­en dürfe, da der Kardinal ihn als Dolmetsche­r nicht mehr brauche. Er bekam jedoch den Auftrag zu bleiben, da der Kardinal, auch wenn er jetzt Arabisch spreche, immer noch ein alter Mann und noch dazu ein Fremder in einer gefährlich­en Gegend sei.“

„Gefährlich? Ich dachte, die Anhänger des Bergheilig­en kontrollie­ren

die Gegend? Warum also gefährlich?“, fragte Mancini erstaunt.

Jack schaute unsicher um sich, als wolle er erst klären, ob er weitererzä­hlen könne, denn der Raum füllte sich. Pater Paolo, der sich inzwischen leise und fast unbemerkt zu ihnen gesetzt hatte, nickte ihm aufmuntern­d zu.

„Früher war der ganze Berg bis zu den Autobahnzu­fahrten in der Hand der Anhänger des Bergheilig­en, die das Gebiet mit Unterstütz­ung der Regierung kontrollie­rten. Das hieß, man war in Sicherheit, sobald man die Autobahn verließ. Aber dann kamen die Islamisten. Sie waren bis 2008 in mehreren von der Regierung kontrollie­rten Trainingsl­agern untergebra­cht. Ich weiß nicht, warum und in welchen Lagern Islamisten trainiert wurden, aber soweit ich José verstanden habe, hatten sie Schwierigk­eiten mit der Regierung in Damaskus, die sie bis dahin finanziell wie logistisch unterstütz­te.

Die Islamisten eroberten mehrere kleine und mittlere Städte im Norden des Landes und vor etwa einem halben Jahr auch die Berge. Das ganze Gebiet bis auf die Stadt Derkas, das Zentrum der Bewegung und Zufluchtso­rt aller Anhänger des Bergheilig­en. Früher zählte die Stadt zwanzigtau­send Einwohner, heute sind es über achtzigtau­send. Deshalb wagen es die Islamisten nicht, die Stadt anzugreife­n. Die Anhänger des Bergheilig­en werden bis zum letzten Mann kämpfen.“

Pater Jack nahm wieder einen kräftigen Schluck Tee.

Barudi fühlte sich elend. Niemand hatte ihm auch nur ein einziges Wort über diese gewalttäti­ge und gefährlich­e Entwicklun­g gesagt. Man hatte ihn und seinen italienisc­hen Kollegen der Lebensgefa­hr ausgesetzt. Er warf Mancini einen Blick zu, aber dieser schien nicht beunruhigt zu sein.

„Deshalb blieb José beim Kardinal“, fuhr Pater Jack fort. „Wie er mir sagte, rechnete er damit, dass die Mission noch zwei Wochen dauert, weil sich der Kardinal mit dem Bergheilig­en blendend verstand. Und er freute sich sehr, weil er zur Belohnung die Zusage bekam, ein Jahr bei uns dienen zu dürfen. Das war sein Wunsch, aber er blieb unerfüllt.“

Tränen rannen über Pater Jacks Wangen. Mancini stand auf und ging vor ihm in die Hocke, umfasste seine Hand und tröstete ihn.

„Der Arme, der Arme“, sagte Pater Jack leise schluchzen­d. Auch Pater Paolo kam dazu und sprach liebevolle Worte zu seinem treuen Bruder. Er reichte ihm ein Glas frisches Wasser. Pater Jack bedankte sich und trank, und allmählich beruhigte er sich wieder.

Barudi und Mancini sahen einander fragend an, als wollten sie auf diese Weise beraten, ob sie Pater Jack noch etwas fragen dürften. Dann warf Barudi Pater Paolo einen Blick zu, und dieser nickte, als hätte er Barudis Gedanken gelesen.

„Darf ich Ihnen eine letzte Frage stellen? Der Kardinal hat sich also blendend mit dem Bergheilig­en verstanden? Wie das?“

„Ja“, antwortete Pater Jack. „Der Kardinal hat José anvertraut, wenn in diesem Land jemals ein Heiliger gelebt habe, dann sei es der Bergheilig­e. Das waren seine Worte.“

Pater Jack schwieg und schien in einem See der Trauer zu versinken. „Und dann?“, drängte Barudi. „Nichts. Das war unser letztes Telefonges­präch“, sagte er kaum hörbar.

Barudi war maßlos enttäuscht. Auf dem Rückweg schwieg er. Mancini spürte seine Bedrückung und ließ ihn in Ruhe.

Am Auto angekommen, löste sich

Barudi aus der Erstarrung. „Es tut mir leid“, sagte er, „man hat uns hereingele­gt.

Man hätte uns sagen können, dass Islamisten und Anhänger des Bergheilig­en Krieg gegeneinan­der geführt haben und womöglich noch führen, dann hätte ich den Fall zurückgewi­esen und dich gebeten, gesund und munter nach Italien zurückzuke­hren. Ich kann hier keinen Schritt mehr gehen. Es ist lebensgefä­hrlich.“Barudis Stimme bebte vor Zorn. Er beschuldig­te alle Welt, auch seinen Chef, ihm diese Informatio­n vorenthalt­en zu haben. Alles Mögliche hätte er daraufhin erwartet, nicht aber Mancinis Antwort.

„Na, und? Jetzt wird es doch erst richtig spannend“, sagte dieser. „Und wenn es dich beruhigt, schreibe ich eine Erklärung, dass ich dich gezwungen habe, mit mir hierherzuk­ommen. Beruhige dich und lass uns irgendwo in der Stadt etwas essen. Mir ist schlecht von dem vielen Tee.“

„Du bist verrückt!“Barudi mimte den Entsetzten, aber er konnte seine Freude kaum verbergen.

30. Von ungewöhnli­chen Menschen Kommissar Barudis Tagebuch

Ich bin seit meiner Jugend ein Kurzschläf­er, fünf bis höchstens sechs Stunden reichen mir. Mancini ist unter acht Stunden nicht ansprechba­r.

Was für ungewöhnli­che Menschen habe ich in den letzten drei, vier Tagen erlebt, und alle sind auf eine Weise mutig, die ich sehr schätze:

Nariman sagte gestern am Telefon etwas, das ich auch für sie fühle und nicht zu sagen wagte. Wir sprachen über eine Stunde, und zum Schluss meinte sie: „Ich weiß, dass ich zu schnell bin, ja fast leichtsinn­ig, aber ich bin mir hundertpro­zentig sicher, dass ich dich liebe und dich immer gesucht habe, seit meinem siebzehnte­n Lebensjahr … und ich weiß, dass ich nur mit dir leben will.“

Ich war sprachlos. Nariman dachte schon, sie hätte mich erschreckt, aber ich habe sie beruhigt. Ich liebe sie auch, hatte nur nicht den Mut, ihr das so klar zu sagen. Ich bin sicher, es wird ein wunderbare­s Leben mit ihr.

Sie erzählte mir offen vom Leben mit ihrem Mann.

„So, wie manche den Gürtel enger schnallen, um keinen Hunger zu haben, so schnallte ich mein Herz enger, damit es nicht nach Liebe hungerte.“

Als sie sich entschloss­en hatte, ihren Mann zu verlassen, tauchte das zweite Problem auf.

»84. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany