Wohin dreht der Mittelstand?
Die mittelständischen Betriebe sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Laut einer Studie der Förderbank KfW stehen dort bis Jahresende 1,1 Millionen Arbeitsplätze auf der Kippe
Augsburg Die deutsche Wirtschaft ist äußerst stark vom Mittelstand geprägt, er ist ihr Rückgrat. An diesem allerdings hat die Corona-Pandemie „tiefe Spuren“hinterlassen. Denn laut einer Umfrage der staatlichen Förderbank KfW schlägt die Corona-Krise massiv auf die Beschäftigung bei mittelständischen Firmen durch. „Bis zum Jahresende 2020 könnte es zu einem Verlust von etwa 1,1 Millionen Arbeitsplätzen kommen“, sagte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib jüngst. Laut dem neuesten KfW-Mittelstandspanel planen 16 Prozent der kleinen und mittleren Firmen in diesem Jahr, die Zahl der Mitarbeiter zu reduzieren, um Kosten zu senken. Insgesamt könnte die Anzahl der Erwerbstätigen im Mittelstand um rund 3,3 Prozent abnehmen, heißt es weiter. Fritzi Köhler-Geib sagte außerdem: „Trotz der Erholung im dritten Quartal sind die Geschäftserwartungen für 2020 historisch schlecht.“
In diesem Jahr rechnet laut der jüngsten KfW-Umfrage vom September mehr als jedes zweite Unternehmen mit einem Umsatzrückgang. Insgesamt könnten die Erlöse demnach um 545 Milliarden Euro einbrechen. Hoffnung macht immerhin, dass viele Firmen in guten Zeiten finanzielle Polster angelegt haben. „Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren einen hohen Bestand an Eigenkapital aufgebaut, wovon sie nun profitieren“, erläuterte Köhler-Geib. Noch im vergangenen Jahr hatten die etwa 3,8 Millionen mittelständischen Firmen die Zahl der Beschäftigten den weiteren Angaben zufolge auf einen Rekordwert von 32,3 Millionen gesteigert. Die Umsätze verbesserten sich im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent.
Die KfW zählt Firmen mit einem Umsatz von maximal 500 Millionen Euro jährlich zum Mittelstand. Und die meisten dieser Firmen rechnen der Umfrage zufolge eben nicht mit einer raschen und kräftigen Erholung: So gehen 46 Prozent der befragten Mittelständler davon aus, dass die Umsätze in den Jahren 2020 bis 2022 gleich bleiben. Jeder vierte Mittelständler (26 Prozent) erwartet, dass die Erlöse unter dem Niveau von 2019 liegen werden. Nur 27 Prozent rechnen mit einem Anstieg.
Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), geht ebenfalls von harten Zeiten aus. Er sagte unserer Redaktion, er rechne „mit einer starken Zunahme der Unternehmensinsolvenzen“, was in der Folge zu einem „massiven Verlust von Arbeitsplätzen führen dürfte“. Ohoven: „Die Insolvenzwelle wird aber in diesem Herbst noch nicht in der Breite sichtbar werden. Der Grund dafür ist vor allem in der Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31. Dezember 2020 zu suchen. Hier drängt sich mir der Verdacht auf, dass die Politik versucht, die drohende Pleitewelle im Mittelstand – und damit einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit – so lange wie möglich aufzuschieben, am besten bis nach der Bundestagswahl.“Ohoven warnt zudem nachdrücklich vor einem zweiten Lockdown: „Das wäre der wirtschaftliche GAU für unser Land. Bei einem zweiten Lockdown würde die Zahl der Insolvenzen dramatisch steigen – und damit die Arbeitslosigkeit.“Die Bundesregierung habe es nun in der Hand, ob der „worst case“eintrete. Sie müsse „jetzt den Mut für radikale Reformen aufbringen, vor allem für eine Unternehmens- und Einkommensteuerstrukturreform, so Ohoven weiter. Der Mittelstand erwarte sich einen „klaren Maßnahmenplan“zur Entlastung der Unternehmen, um Investitionen und damit Wachstum zu fördern. Im Klartext heißt das laut Ohoven: Abschaffung des Soli für alle, Senkung der teuersten Stromsteuer auf EU-Niveau und ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz von 15 Prozent auf Dauer. Ohoven gibt zu Bedenken: „Ich fürchte allerdings, die Große Koalition wird mit Blick auf die Bundestagswahl diesen Mut nicht aufbringen.“
Knapp über 600000 Unternehmen hat der bayerische Mittelstand. Und stellt damit rund vier Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Auch die schwäbische Wirtschaft ist mittelständisch geprägt. Wie steht man bei der Industrieund Handelskammer (IHK) zu dem von der KfW-Bank ermittelten Szenario? Erwartet auch die IHK den Abbau von Arbeitsplätzen in der Region? Matthias Köppel, Leiter der Standortpolitik bei der IHK Schwaben, sagte unserer Redaktion: „Derzeit federt die Kurzarbeit zu geringe Auslastungen in betroffenen Unternehmen noch wirksam ab. Im Jahr 2021 können wir uns darauf nicht mehr verlassen.“Der wirtschaftliche Abwärtstrend verlaufe allerdings nicht an der Grenze einzelner Branchen oder Unternehmensgrößen. Die Unternehmen könne man derzeit in drei gleich große Teile aufteilen: jener mit guter, mit befriedigender und mit schlechter Geschäftslage. Köppel: „Für 2021 steht zu befürchten, dass die Unternehmen mit guter Geschäftslage in der Summe weniger Jobs schaffen werden, als in anderen Bereichen verloren gehen.“Dazu kommt das Droh-Szenario eines zweiten Lockdown. Der wäre für die anfangs bereits schwer gebeutelten Unternehmen im Handel, der Gastronomie oder Veranstaltungsbranche „eine Katastrophe“, betont Köppel. Denn: „Deutschland hat viel investiert, um die Krise zu meistern. Es wäre fatal, wenn sich zeigen sollte, dass diese Anstrengungen wertlos waren. Insolvenzen in großem Ausmaß konnten bisher verhindert werden. Wenn es zu einem großflächigen und andauernden Lockdown käme, wäre die Belastungsgrenze vieler Unternehmen überschritten.“