Streitthema Körperschmuck
Eine Frau kann ihre Erzieher-Ausbildung an der Fachakademie für Sozialpädagogik in Nördlingen aufgrund von Piercings und Tattoos nicht beginnen. Nun melden sich weitere Betroffene zu Wort – und auch die Schulleitung
Nördlingen Der Fall sorgt aktuell für Aufsehen. Eine junge Frau berichtet von einem Ultimatum, das ihr die Schulleitung der Nördlinger Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern gestellt haben soll: Entweder Lisa Lang, 23, entfernt ihre Gesichts-Piercings und deckt sichtbare Tattoos ab, oder sie muss ihre Ausbildung zur Erzieherin an einer anderen Einrichtung fortsetzen. Als Lang sich schließlich an die Öffentlichkeit wandte, war das Echo enorm. Nun erzählen zwei weitere ehemalige Schüler, welche Erfahrungen sie bezüglich ihres Körperschmucks an der Einrichtung gemacht haben. Die Schulleitung bezieht dazu Stellung.
Einer dieser Schüler ist Thomas Zeller. Von 2015 bis Februar dieses Jahres war er mit Unterbrechungen an der Nördlinger Fachakademie. „Die Schule“, sagt Zeller, „und vor allem das Kollegium leisten an sich super Arbeit.“Die Einrichtung stehe sich mit so einer Voreingenommenheit teilweise jedoch selbst im Weg.
Zeller trägt mehrere GesichtsPiercings und hatte während seiner Zeit an der Einrichtung sogenannte Dreadlocks, also als Frisur getragene, durch Kämmen gegen den Strich verfilzte Haarsträhnen. „Ich wurde zum Teil wöchentlich ins Büro der Schulleiterin bestellt“, sagt er. Dort habe er sich jedes Mal eine „Standpauke“wegen seines Äußeren abgeholt. Er sei außerdem mehrmals dazu aufgefordert worden, seine Piercings während des Unterrichts zu entfernen. Zeller sagt: „Systematisch werden Schüler und Schülerinnen, die nicht der gewünschten Norm entsprechen, aussortiert, stigmatisiert und letztendlich in ihrer freien Persönlichkeitsentfaltung eingeschränkt.“Dann stünden sie vor der Wahl: beugen oder gehen.
Zeller entschied sich letztlich, zu gehen. Seine Ausbildung zum Erzieher führt er seit Februar an einer Fachschule in Gunzenhausen fort.
Die Aussagen von Thomas Zeller, sagt die Schulleiterin der Nördlinger Akademie, Sigrid Christeiner, seien unzutreffend. „Da er sich uneinsichtig verhielt, fanden mehrere Gespräche statt, keinesfalls wie behauptet wöchentlich.“Das Problem der Piercings um und im Mund hätte sich erst in den letzten Jahren seiner Ausbildung gestellt. Zeller habe sich in dieser Zeit diverse Piercings und Tunnels zugelegt, sei barfuß durchs Schulhaus gelaufen. Damit, sagt Christeiner, habe er Lehrkräfte und die Schulleitung provoziert. Es sei vielfach besprochen worden, dass er sich an die Vorgaben zu halten habe.
Eine weitere ehemalige Schülerin der Fachakademie berichtet ebenfalls davon, Probleme aufgrund ihres Körperschmucks bekommen zu haben. Sie möchte ungenannt bleiben, ihr Name ist unserer Redaktion jedoch bekannt. Als sie und drei Mitschülerinnen ihres Jahrgangs vor mehr als zehn Jahren an der Schule anfingen, hätten sie mit ihren Nasenpiercings und Tattoos anfangs keine Probleme bekommen. Gegenwind, sagt sie, habe es erst später gegeben: Gespräche mit der Schulleitung und daraufhin eine „missmutige Duldung“ihres Körperschmucks.
Der Fall Lang, sagt sie, sei nur einer von mehreren. Die katholisch getragene Fachakademie Maria Stern qualifiziert angehende Erzieherinnen und Erzieher für ihr Berufsleben. Was aber halten spätere Arbeitgeber von Bewerbern mit Piercings und sichtbaren Tattoos? Eine Nachfrage bei Rieser Kindergärten.
Ingrid Ganzenmüller ist Leiterin des katholischen Kindergartens St. Franziskus in Oettingen. Vom Fall der 23-jährigen Lisa Lang erfuhr sie aus der Zeitung. Sie sagt: „Für mich und alle meine Mitarbeiter ist das Vorgehen der Schule am Rande einer Unverschämtheit.“Man dürfe keinen Menschen an seinem Äußeren festmachen. „Piercings haben damit nichts zu tun.“Ganzenmüller erinnert sich an eine Schulpraktikantin ihres Kindergartens, die sowohl stark tätowiert und gepierct gewesen sei, als auch „beinahe jede Woche eine andere Haarfarbe“gehabt habe. Ganzenmüller sagt: „Alle Kinder haben die junge Frau geliebt.“Eine ähnliche Meinung vertritt auch Corinna Raml. Sie leitet die katholische Kindertagesstätte St. Josef in Nördlingen. Ob ein Erzieher Piercings trage oder nicht, sagt sie, habe für sie rein praktische Gründe. „Gerade Kleinkinder greifen nach allem, was sie finden können. Zum Beispiel auch nach Nasenpiercings.“Ob jemand seinen Körperschmuck abdecke oder nicht, müsse im Zweifelsfall aber jeder selbst entscheiden. Bei einer Bewerbung in ihrer Einrichtung würden Piercings und Tattoos keine große Rolle spielen, wie Raml betont. „Mittlerweile gehört das doch dazu.“
Die Nördlinger Fachakademie für Sozialpädagogik vertritt eine andere Ansicht. In einer Pressemitteilung schreibt Schulleiterin Sigrid Christeiner: „Zur Professionalität der Erzieherinnen und Erzieher gehört auch ein gepflegtes und angemessenes äußeres Erscheinungsbild.“Die Auffassung der Akademie sei es, dass dem Gesicht dabei besondere Bedeutung zukomme. „Mimik, die gerade für Kleinkinder wichtig ist, ist Teil der menschlichen Kommunikation und Kleinkinder können auffällige Nasenringe, Lippen- und Zungenpiercings durchaus als irritierend empfinden.“Nicht immer sei ein auffallendes Äußeres kompatibel zur Vorbildfunktion, die gerade Erzieherinnen und Erzieher ihrer Ansicht nach zu erfüllen hätten.