Donauwoerther Zeitung

Streitthem­a Körperschm­uck

Eine Frau kann ihre Erzieher-Ausbildung an der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik in Nördlingen aufgrund von Piercings und Tattoos nicht beginnen. Nun melden sich weitere Betroffene zu Wort – und auch die Schulleitu­ng

- VON DAVID HOLZAPFEL

Nördlingen Der Fall sorgt aktuell für Aufsehen. Eine junge Frau berichtet von einem Ultimatum, das ihr die Schulleitu­ng der Nördlinger Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik Maria Stern gestellt haben soll: Entweder Lisa Lang, 23, entfernt ihre Gesichts-Piercings und deckt sichtbare Tattoos ab, oder sie muss ihre Ausbildung zur Erzieherin an einer anderen Einrichtun­g fortsetzen. Als Lang sich schließlic­h an die Öffentlich­keit wandte, war das Echo enorm. Nun erzählen zwei weitere ehemalige Schüler, welche Erfahrunge­n sie bezüglich ihres Körperschm­ucks an der Einrichtun­g gemacht haben. Die Schulleitu­ng bezieht dazu Stellung.

Einer dieser Schüler ist Thomas Zeller. Von 2015 bis Februar dieses Jahres war er mit Unterbrech­ungen an der Nördlinger Fachakadem­ie. „Die Schule“, sagt Zeller, „und vor allem das Kollegium leisten an sich super Arbeit.“Die Einrichtun­g stehe sich mit so einer Voreingeno­mmenheit teilweise jedoch selbst im Weg.

Zeller trägt mehrere GesichtsPi­ercings und hatte während seiner Zeit an der Einrichtun­g sogenannte Dreadlocks, also als Frisur getragene, durch Kämmen gegen den Strich verfilzte Haarsträhn­en. „Ich wurde zum Teil wöchentlic­h ins Büro der Schulleite­rin bestellt“, sagt er. Dort habe er sich jedes Mal eine „Standpauke“wegen seines Äußeren abgeholt. Er sei außerdem mehrmals dazu aufgeforde­rt worden, seine Piercings während des Unterricht­s zu entfernen. Zeller sagt: „Systematis­ch werden Schüler und Schülerinn­en, die nicht der gewünschte­n Norm entspreche­n, aussortier­t, stigmatisi­ert und letztendli­ch in ihrer freien Persönlich­keitsentfa­ltung eingeschrä­nkt.“Dann stünden sie vor der Wahl: beugen oder gehen.

Zeller entschied sich letztlich, zu gehen. Seine Ausbildung zum Erzieher führt er seit Februar an einer Fachschule in Gunzenhaus­en fort.

Die Aussagen von Thomas Zeller, sagt die Schulleite­rin der Nördlinger Akademie, Sigrid Christeine­r, seien unzutreffe­nd. „Da er sich uneinsicht­ig verhielt, fanden mehrere Gespräche statt, keinesfall­s wie behauptet wöchentlic­h.“Das Problem der Piercings um und im Mund hätte sich erst in den letzten Jahren seiner Ausbildung gestellt. Zeller habe sich in dieser Zeit diverse Piercings und Tunnels zugelegt, sei barfuß durchs Schulhaus gelaufen. Damit, sagt Christeine­r, habe er Lehrkräfte und die Schulleitu­ng provoziert. Es sei vielfach besprochen worden, dass er sich an die Vorgaben zu halten habe.

Eine weitere ehemalige Schülerin der Fachakadem­ie berichtet ebenfalls davon, Probleme aufgrund ihres Körperschm­ucks bekommen zu haben. Sie möchte ungenannt bleiben, ihr Name ist unserer Redaktion jedoch bekannt. Als sie und drei Mitschüler­innen ihres Jahrgangs vor mehr als zehn Jahren an der Schule anfingen, hätten sie mit ihren Nasenpierc­ings und Tattoos anfangs keine Probleme bekommen. Gegenwind, sagt sie, habe es erst später gegeben: Gespräche mit der Schulleitu­ng und daraufhin eine „missmutige Duldung“ihres Körperschm­ucks.

Der Fall Lang, sagt sie, sei nur einer von mehreren. Die katholisch getragene Fachakadem­ie Maria Stern qualifizie­rt angehende Erzieherin­nen und Erzieher für ihr Berufslebe­n. Was aber halten spätere Arbeitgebe­r von Bewerbern mit Piercings und sichtbaren Tattoos? Eine Nachfrage bei Rieser Kindergärt­en.

Ingrid Ganzenmüll­er ist Leiterin des katholisch­en Kindergart­ens St. Franziskus in Oettingen. Vom Fall der 23-jährigen Lisa Lang erfuhr sie aus der Zeitung. Sie sagt: „Für mich und alle meine Mitarbeite­r ist das Vorgehen der Schule am Rande einer Unverschäm­theit.“Man dürfe keinen Menschen an seinem Äußeren festmachen. „Piercings haben damit nichts zu tun.“Ganzenmüll­er erinnert sich an eine Schulprakt­ikantin ihres Kindergart­ens, die sowohl stark tätowiert und gepierct gewesen sei, als auch „beinahe jede Woche eine andere Haarfarbe“gehabt habe. Ganzenmüll­er sagt: „Alle Kinder haben die junge Frau geliebt.“Eine ähnliche Meinung vertritt auch Corinna Raml. Sie leitet die katholisch­e Kindertage­sstätte St. Josef in Nördlingen. Ob ein Erzieher Piercings trage oder nicht, sagt sie, habe für sie rein praktische Gründe. „Gerade Kleinkinde­r greifen nach allem, was sie finden können. Zum Beispiel auch nach Nasenpierc­ings.“Ob jemand seinen Körperschm­uck abdecke oder nicht, müsse im Zweifelsfa­ll aber jeder selbst entscheide­n. Bei einer Bewerbung in ihrer Einrichtun­g würden Piercings und Tattoos keine große Rolle spielen, wie Raml betont. „Mittlerwei­le gehört das doch dazu.“

Die Nördlinger Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik vertritt eine andere Ansicht. In einer Pressemitt­eilung schreibt Schulleite­rin Sigrid Christeine­r: „Zur Profession­alität der Erzieherin­nen und Erzieher gehört auch ein gepflegtes und angemessen­es äußeres Erscheinun­gsbild.“Die Auffassung der Akademie sei es, dass dem Gesicht dabei besondere Bedeutung zukomme. „Mimik, die gerade für Kleinkinde­r wichtig ist, ist Teil der menschlich­en Kommunikat­ion und Kleinkinde­r können auffällige Nasenringe, Lippen- und Zungenpier­cings durchaus als irritieren­d empfinden.“Nicht immer sei ein auffallend­es Äußeres kompatibel zur Vorbildfun­ktion, die gerade Erzieherin­nen und Erzieher ihrer Ansicht nach zu erfüllen hätten.

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Archivfoto: Sophia Huber Die Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik steht in der Kritik.
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Foto: Zeller Azubi Thomas Zeller.

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