Donauwoerther Zeitung

Ein halbherzig­es Geständnis

Ein Mann soll gemeinsam mit jemand anderem zwei Brüder verletzt haben. Ob der Angeklagte einen der beiden gewürgt hat, ist für das Gericht am Ende gar nicht so entscheide­nd

- VON JAN‰LUC TREUMANN

Nördlingen/Wallerstei­n Staatsanwä­ltin Irmina Zeitner zeigt sich nach fast zweieinhal­b Stunden Verhandlun­g in ihrem Plädoyer fassungslo­s: „Der Angeklagte war deutlich mehr an der Tat beteiligt, als er uns glauben lassen mag“, sagt sie. Das Geständnis sei so dürftig gewesen, dass sie es kaum berücksich­tigen könne. Zeitner fordert eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Was war passiert?

Zurück in den Januar 2020, Dreikönigs­tag, nachts in Wallerstei­n an der Hauptstraß­e. Zwei Männer werfen zwei Brüdern vor, dass die sie beleidigt hätten. Die Brüder gehen darauf nicht ein, gehen weiter, die Angeschuld­igten laufen ihnen nach, schlagen und treten sie. Die Brüder versuchen abzuhauen, was einem der beiden auch gelingt. Er kann einige Freunde zu Hilfe holen. Der jüngere Bruder wird in dieser Zeit mit einem Schal vier bis fünf Sekunden lang gewürgt – so jedenfalls wird in der Anklagesch­rift der Vorfall geschilder­t. Vor dem Schöffenge­richt in Nördlingen steht an diesem Tag nur einer der beiden Beschuldig­ten, ein heute 26-Jähriger aus Wallerstei­n. Das Verfahren des anderen Mannes ist abgetrennt und wird in Augsburg verhandelt.

So sitzt nur der 26-Jährige vor Richterin Ruth Roser und beteuert, dass er niemanden getreten hätte, auch habe er keinen der Brüder mit einem Schal gewürgt. Nachfragen des Gerichts beantworte­t der Angeklagte nur vage, kann sich an Details häufig nicht mehr erinnern. Er wisse nicht, ob einer der beiden Brüder zu Boden gefallen sei.

Nach dem Würgevorfa­ll – der Mittäter des Angeklagte­n war zwischenze­itlich abgehauen – sei er mit dem jüngeren Bruder wieder zurück zur Hauptstraß­e gelaufen. Richterin Roser fragt nach: „Täter und Geschädigt­er laufen einvernehm­lich nebeneinan­der her?“Naja, einvernehm­lich eher nicht, räumt der Angeklagte ein, man sei hintereina­nder gelaufen. Die Staatsanwä­ltin schaltet sich ein: „Wenn Sie das so schönreden wollen, schaut es düster für Sie aus.“

Eine halbe Flasche Schnaps konsumiert

Der Angeklagte schildert auf Nachfragen der Richterin, dass er und der Mittäter Alkohol getrunken hätten, er selbst habe eine halbe Flasche Schnaps konsumiert. Als mittelmäßi­g betrunken beschreibt er sich, er habe noch geradeaus laufen können. Ob er Alkohol gewöhnt sei, fragte Roser? „Nein“, sagt der Angeklagte.

So ganz schien ihm die Richterin das nicht zu glauben.

Auch die beiden Brüder hatten an diesem Abend ein bisschen was getrunken, waren mit Freunden zusammenge­sessen. Zeugen beschreibe­n die beiden Brüder als schüchtern, sie seien eher zurückhalt­end. Auch auf anderen Feiern seien sie nie aggressiv gewesen. An dem besagten Abend hatte eine Freundin der Brüder bei der Polizei ausgesagt, dass sie sich nicht vorstellen könne, warum die beiden angegriffe­n worden seien. Es hätte auch jeden anderen treffen können. Ihr gegenüber habe der Angeklagte gesagt, dass er wegen einer Sache mit seiner Ex-Freundin verärgert gewesen sei.

Die beiden Brüder sagen vor Gericht ebenfalls aus. Der ältere der beiden schildert die Fußtritte, die er abbekommen habe. Er sagt auch, dass ihm, nachdem er am Boden lag, von einem der beiden Täter hochgeholf­en wurde. Die Richterin fragt nach, ob das freundscha­ftlich gemeint war. Der ältere Bruder verneint. Sei es nicht vielleicht ein Hochzerren gewesen, fragt die Richterin nach? Ja, eher so. Es ist eine der Szenen im Gerichtssa­al, auf die sich die Staatsanwä­ltin in ihrem Plädoyer bezieht, als sie sagt, dass die beiden Zeugen keinerlei „Belastungs­eifer“gezeigt hätten, eher zurückhalt­end seien, wenn sie sich nicht mehr ganz sicher waren, wie sich ein Detail zugetragen hatte. Der jüngere der Brüder berichtet, was aus seiner Sicht passiert ist, als sein Bruder losgerannt war, um Hilfe zu holen. „Sie wollten, dass ich mich auf eine Bank setze. Ich sollte meinen Bruder anrufen, damit er zurückkomm­t“, schildert er. Schließlic­h sei ihm ein Schal mehrmals um den Hals gewickelt worden und er wurde für mehrere Sekunden gewürgt. Wer der beiden das war, könne er nicht sagen.

Einige Tage vor Beginn der Verhandlun­g haben die beiden Brüder eine Entschuldi­gung des Angeklagte­n sowie ein Schmerzens­geld von 250 beziehungs­weise 300 Euro bekommen. Für das Schöffenge­richt spielt das bezüglich des Urteils keine große Rolle mehr. Richterin Ruth Roser lobt hier nur den

Anwalt des Angeklagte­n, der gute Arbeit geleistet hätte.

Zwei Jahre und drei Monate Freiheitss­trafe lautet das Urteil. „Sie haben beschönigt, haben versucht, das Beste für Sie rauszuhole­n“, sagte die Richterin zum Angeklagte­n. Das sei zulässig. Doch ein nachvollzi­ehbares, von Reue geprägtes Verständni­s wäre besser gewesen. Dazu musste sich der Angeklagte erst ein Jahr zuvor wegen einer Körperverl­etzung verantwort­en. Die Tat nun zeuge von einer hohen Rückfallge­schwindigk­eit.

Ob der Angeklagte einen der Brüder tatsächlic­h gewürgt habe, sei nicht entscheide­nd. „Wir sind hier auf dem Land. Jeder möchte unbefangen auf die Straße gehen können. Die Brüder kommen aus einer Kneipe, treffen auf Sie und werden zusammenge­schlagen“, sagt die Richterin und führt aus: „Sie haben sich die schwächste­n Opfer rausgesuch­t, keine muskelbepa­ckten Kerle, vor denen Sie Angst haben müssten.“Auch wenn die äußeren Verletzung­en in diesem Fall nicht so stark ausgefalle­n seien, habe man nicht zuletzt am Beispiel des verstorben­en Feuerwehrm­annes in Augsburg gesehen, was nur ein Schlag für Auswirkung­en haben könne. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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