Kontroverser Körperschmuck
Eine junge Frau darf keine Ausbildung zur Erzieherin machen, weil ihre Piercings und Tattoos gegen die Hausordnung verstoßen. Jetzt signalisiert die Schule Gesprächsbereitschaft
Nördlingen Was haben ein Traumfänger, eine Libelle und das Wort „Ohana“, hawaiianisch für Familie, gemeinsam? Diese drei Tattoomotive sorgen mit dafür, dass Lisa Lang, 23, in Nördlingen keine Ausbildung zur Erzieherin machen darf. Unter Ziffer 3 ihrer Hausordnung regelt die Fachakademie für Sozialpädagogik Maria Stern das Verbot von Piercings im Gesicht – mit Ausnahme eines Nasensteckers – sowie großflächigen, sichtbaren Tattoos. Lang, sowohl gepierct als auch tätowiert, soll von der Schulleitung vor ein Ultimatum gestellt worden sein: den Körperschmuck verdecken oder die Schule verlassen. Die 23-Jährige ging. Erst von der Einrichtung, später an die Öffentlichkeit.
Eine seit längerem brodelnde Debatte kocht damit erneut hoch. Tätowierte und gepiercte Polizisten, Flugbegleiter oder eben Erzieher: Ist offen sichtbarer Körperschmuck in der Mitte der Gesellschaft angekommen oder hat ein Arbeitgeber Mitspracherecht beim Äußeren seiner Mitarbeiter und Auszubildenden?
Die Schulleiterin der Nördlinger Fachakademie, Sigrid Christeiner, verweist in einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung auf die Vorbildfunktion eines Erziehers. Sie schreibt: „Zur Professionalität (...) gehört auch ein gepflegtes und angemessenes äußeres Erscheinungsbild.“Die Auffassung der Fachakademie sei es, dass dem Gesicht dabei besondere Bedeutung zukomme. „Mimik, die gerade für Kleinkinder wichtig ist, ist Teil der menschlichen Kommunikation und Kleinkinder können auffällige Nasenringe, Lippen- und Zungenpiercings durchaus als irritierend empfinden.“Nicht immer sei ein auffallendes Äußeres kompatibel zur Vorbildfunktion, die es in diesem Beruf gebe. Es gehe nicht darum, die Individualität von Personen einzuschränken. Lisa Lang, sagt Christeiner, habe im Zuge ihrer Bewerbung außerdem ein Foto ohne Nasen- und Lippenpiercings eingereicht.
Weitere Berichte von ehemaligen Schülern der Nördlinger Fachakademie zeigen: Der Fall ist nur einer von mehreren. Ein weiterer Betroffener ist Thomas Zeller. Von 2015 bis Februar dieses Jahres war er mit
Unterbrechungen an der Schule. Auch er trägt mehrere Gesichtspiercings. Er sei regelmäßig zur Schulleitung bestellt worden und habe sich eine „Standpauke“wegen seines Äußeren abgeholt, erzählt er. „Wegen meiner angespitzten Lippenpiercings hat Frau Christeiner einmal zu mir gesagt, ich sehe aus wie der Teufel.“Die Schulleiterin sagt auf Nachfrage unserer Zeitung, sie könne sich nicht vorstellen, eine solche Aussage getätigt zu haben. Zeller verließ die Fachakademie im Frühjahr freiwillig und vorzeitig. Seine Ausbildung zum Erzieher führt er nun in Gunzenhausen fort.
Die Fachakademie Maria Stern qualifiziert angehende Erzieherinnen und Erzieher für ihr Berufsleben. Was halten spätere Arbeitgeber von Bewerbern mit Piercings und sichtbaren Tattoos? Ingrid Ganzenmüller ist Leiterin der katholischen
Kindertagesstätte St. Franziskus in Oettingen. Zum Fall von Lisa Lang sagt sie: „Für mich und alle meine Mitarbeiter ist das Vorgehen der Schule am Rande einer Unverschämtheit.“Man dürfe keinen Menschen an seinem Äußeren festmachen. Eine ähnliche Meinung vertritt Corinna Raml. Sie leitet die katholische Kindertagesstätte St. Josef in Nördlingen. Piercings oder nicht, das habe für sie rein praktische Gründe. „Gerade Kleinkinder greifen nach allem, was sie finden können. Zum Beispiel auch nach Nasenpiercings.“Ob jemand seinen Körperschmuck abdecke, müsse im Zweifelsfall jeder selbst entscheiden. Bei einer Bewerbung in ihrer Einrichtung würden Piercings und Tattoos keine große Rolle spielen. Raml sagt: „Das gehört mittlerweile doch dazu.“
Träger der Fachakademie ist das katholische Schulwerk der Diözese Augsburg, dem auch dutzende weitere Grund-, weiterführende und berufliche Schulen angehören. Auf die Vorfälle in Nördlingen angesprochen, signalisiert Peter Kosak, Leiter des Schulwerks, Diskussionsbereitschaft. Um eventuelle Missverständnisse auszuräumen, werde man noch einmal das Gespräch mit Lisa Lang und Thomas Zeller suchen, heißt es in einer Stellungnahme. Kosak schreibt weiter: „Auch werden wir vor dem Hintergrund des Leitbildes der Fachakademie die aktuell gültige Hausordnung diskutieren.“