Ein Augsburger lebt den NHLTraum
Nico Sturm war nie das Jahrhunderttalent am Puck. Aber mit eisernem Willen und harter Arbeit hat er es bis in die beste Liga der Welt geschafft. Jetzt lautet sein Ziel Olympia
Augsburg Die National Hockey League (NHL) ist das gelobte Land des Eishockeys. In der nordamerikanischen Liga spielen die besten Profis der Welt. Die meisten kommen aus Kanada. Dort ist Eishockey das, was bei uns Fußball ist. 81,6 Millionen Dollar darf jeder Klub maximal für seine Spieler ausgeben, mindestens 60,2 Millionen müssen es sein. Dieser sogenannte Salary Cap sorgt für eine gewisse Chancengleichheit.
Ganz anders zum Beispiel ist die Lage in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Dort gibt es keinen Salary Cap. Wer von Sponsoren viel Geld bekommt, darf es auch ausgeben. Die Budgets sind trotzdem bescheiden, wenn man die NHL als Maßstab nimmt, und werden auf rund 16 Millionen Euro geschätzt.
Ein Vertrag mit einem NHLKlub beschert dem Glücklichen ein Brutto-Mindestgehalt von 750000 Dollar. Anders als hierzulande sind die Gehälter der NHL-Profis für jeden einsehbar. Top-Verdiener in der DEL dürften bei etwa 300000 Euro liegen. Das allerdings netto, dazu kommen meist auch noch eine Wohnung und ein Auto.
Kein Wunder, dass es auch jeden talentierten deutschen Eishockeyspieler nach Nordamerika zieht. und finanziell gibt es nichts Besseres. Die meisten „Auswanderer“landen allerdings in der unterklassigen AHL, die sich als eine Art Ausbildungsliga versteht, und kehren meist früher als später zurück in die DEL. Vergangene Saison standen neun Deutsche in der NHL auf dem Eis. Allen voran Leon Draisaitl. Der Kölner wurde zum wertvollsten Spieler der Hauptrunde gewählt und brachte es in 71 Partien auf 43 Tore und 67 Vorlagen. Nicht wenige sagen, Draisaitl sei derzeit der beste Eishockeyspieler der Welt.
Das würde vermutlich niemand über Nico Sturm sagen. Und doch hat sich der 25-jährige Augsburger, der in der Jugend für den AEV und Kaufbeuren auflief, in der NHL durchgesetzt. Weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung unterschrieb er vor kurzem einen Zweijahresvertrag bei den Minnesota Wild. Acht Spiele hat er in der vergangenen Saison in der NHL absolviert und dabei ein Tor erzielt. Die meiste Zeit verbrachte er in der AHL für die Iowa Wild. Offensichtlich gefiel den Verantwortlichen aus Saint Paul, was sie dort sahen, denn mit dem neuen Einwegevertrag dürften die Zeiten in der AHL vorbei sein.
Momentan ist Sturm auf Heimatbesuch bei seinen Eltern in Neubergheim am südlichen Stadtrand von Augsburg. Trainiert wird auch dort mindestens einmal am Tag. Vorwiegend im Kraftraum, dreimal die Woche geht er im Curt-FrenzelStadion aufs Eis. „Mein ganzes Spiel ist sehr energiefordernd. Die Grundlage dafür muss ich im Sommer legen. Alles, was ich erreicht habe, verdanke ich der Arbeit außerhalb des Eises. Das ist meine Basis“, sagt der Augsburger.
Sturm hat sich nach oben gekämpft. Er war kein Erstrundenpick wie Tim Stützle (Adler Mannheim) und Lukas Reichel (Eisbären Berlin). Sie waren in der ersten Runde des NHL-Draft 2020 gezogen worden, bei der sich die 31 NHL-Teams die Rechte an den weltweit größten Nachwuchstalenten sichern. „Das ist heftig, was die mit 18 schon können. Wenn ich mir überlege, wo ich mit 18 war – das ist eine andere Welt und sehr beeindruckend. Als Erstrundenpick bekommst du ganz andere Chancen.“
Der Augsburger ging den harten Weg durch die Niederungen des nordamerikanischen Eishockeys. Oder anders formuliert: „Ich musste viel Dreck fressen.“An kleinen Erfolgen habe er sich festgehalten und motiviert, weiterzumachen. „Dazwischen liegen viele Tiefs, und daSportlich ran scheitert der ein oder andere dann. Es ist physisch belastend, aber mental noch viel mehr. Wenn du in der NHL kein Superstar bist, hast du keine Jobsicherheit. Du hast immer einen, der dir im Nacken sitzt. Ich würde das Eishockeyspielen gerne mehr genießen. Aber das ist schwer, denn der Grat zwischen Genießen und Selbstzufriedenheit ist sehr schmal. Wenn du zu oft und zu lang auf der falschen Seite bist, ist irgendwann der, der dir im Nacken sitzt, vorbei.“
Mitte November will Sturm in die USA zurückkehren. Mitte Januar soll die Liga wieder starten. Trotz üppiger TV-Verträge leidet auch die NHL unter fehlenden Zuschauereinnahmen. „Es wird Einsparungen geben. Wir haben zum Beispiel 18000 Zuschauer bei Heimspielen und sind eigentlich immer ausverkauft“, sagt Sturm. Er geht von einer verkürzten Saison aus, denn bis zum Beginn der Olympischen Sommerspiele im Juli soll sie beendet sein. Und dann zeichnet sich am Horizont auch schon das Fernziel von Nico Sturm ab. In Peking stehen die Olympischen Winterspiele an.
Mit Bundestrainer Toni Söderholm steht der Augsburger im regen Austausch, „er hat mich auf dem Radar. Peking ist auf jeden Fall mein großes Ziel.“