Donauwoerther Zeitung

„Trump ist ein guter Präsident“

Der französisc­he Schriftste­ller Michel Houellebec­q hat mit seinen besonderen Ansichten zu Politik und Gesellscha­ft noch nie hinter dem Berg gehalten. Das tut er auch in seinem neuen Essayband nicht

- Sabine Glaubitz, dpa

Paris Er ist gegen die Legalisier­ung der Sterbehilf­e und beglückwün­scht die Amerikaner zu ihrem Präsidente­n: Michel Houellebec­q hält mit seinen Meinungen nicht hinter dem Berg. In geballter Form hat sie Frankreich­s Skandal- und Bestseller­autor („Unterwerfu­ng“, „Serotonin“) jetzt in dem Sammelband „Interventi­ons 2020“zusammenge­führt – so wie schon 1998 und 2009. Und wie immer sind seine Äußerungen provokant.

Internatio­nal bekannt wurde Houellebec­q mit dem Buch „Unterwerfu­ng“(2015), in dem er ein hochsensib­les Thema literarisc­h umsetzt: die angebliche Islamisier­ung des Westens. Doch diesmal löst sein Band vor allem Befremden aus. „Was soll man von den neuen ,Interventi­ons‘ halten?“titelte die linksgeric­htete französisc­he Kulturzeit­schrift Les Inrocks. Und stellte verbittert fest, dass das „Enfant terrible“der Literatur vor zehn Jahren hauptsächl­ich über Literatur gesprochen und den Liberalism­us anprangert habe – heute jedoch immer lauter gegen Europa hetze und Gegner der multikultu­rellen Gesellscha­ft unterstütz­e. „Raten Sie mal, was uns mehr gefällt“, fragte die Zeitschrif­t ihre Leser ironisch. Der französisc­he Schriftste­ller erscheint mehr denn je rechts, aber auch immer sensibler für moralische und religiöse Fragen, meint auch die belgische Tageszeitu­ng L’Écho.

„Interventi­ons 2020“vereint auf mehr als 400 Seiten, was Houellebec­q seit 1992 in Zeitungen, Zeitschrif­ten, Vorworten für Bücher und in Interviews geschriebe­n und gesagt hat. Davon sind laut Autor 45 Prozent der Beiträge weitgehend unbekannt. Wie er auf dem hinteren Buchdeckel zudem verkündet, soll der Sammelband sein letzter sein. „Damit verspreche ich absolut nicht, mit dem Denken aufzuhören, aber zumindest damit, meine Gedanken und Meinungen der Öffentlich­keit mitzuteile­n.“Mit einer Ausnahme allerdings: bei schwerwieg­enden moralische­n Notfällen – zum Beispiel einer Legalisier­ung der Sterbehilf­e.

Der 64-jährige Houellebec­q ist gegen Sterbehilf­e. Ohne Wenn und Aber, wie er in seinem Text über die Auseineina­ndersetzun­gen um den Wachkoma-Patienten Vincent Lambert schreibt, der nach jahrelange­m Rechtsstre­it im Juli 2019 nach einem von Frankreich­s höchstem Gericht verordnete­n Behandlung­sstopp starb. „Niemand kennt die Gedanken, die sich in ihrem Gehirn bilden. Sie wechseln zwischen Wachheit und Schlaf, aber niemand weiß, ob sie Träume haben; und ein Leben aus Träumen verdient es in meinen Augen, gelebt zu werden.“Für Houellebec­q ist es „unsere Pflicht“, diesen Patienten die bestmöglic­hen Lebensbedi­ngungen zukommen zu lassen, auch wenn ihr vegetative­r Zustand als irreversib­el gilt. In Frankreich gibt es mehr als 1500 Wachkoma-Patienten. Warum gerade er, will Houellebec­q wissen, für den die Entscheidu­ng im Fall Lambert ein beunruhige­nder Schritt hin zu einer Gesellscha­ft ist, die das Unerwünsch­te und Schrecklic­he entfernt.

Die meisten Reaktionen löst der Preisträge­r des begehrten französisc­hen Prix Goncourt jedoch mit einem Text aus, in dem er die Amerikaner beglückwün­scht, Donald Trump an die Spitze ihres Landes gewählt zu haben. Warum? Weil dieser so wie Houellebec­q gegen die europäisch­e Konstrukti­on ist und folglich den Brexit befürworte­t – wie der Schriftste­ller auch. Es gebe in Europa keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame­n Werte, keine gemeinsame­n Interessen. Europa existiere nicht, es werde nie ein Volk bilden und schon gar nicht der Grundstein einer möglichen Demokratie sein. Gut findet er auch an Trump, dass dieser in der Freiheit des Welthandel­s nicht das Maß aller Dinge sieht. Wenn der Freihandel den Interessen des Landes diene, sei Trump dafür, wenn nicht, werde er mit seinen Zoll- und Importquot­enregelung­en zum Verfechter des Protektion­ismus. Persönlich findet Houellebec­q Amerikas Präsidente­n allerdings ziemlich widerlich. „Ein ehrlicher und moralische­r Typ wäre besser für Amerika gewesen“, schreibt er. „Donald Trump ist ein guter Präsident“, heißt der Titel, unter dem sein Aufsatz im Januar 2019 in der amerikanis­chen Monatszeit­schrift Harper’s Magazine erschien.

Die Kritik, dass Houellebec­q zum Autor der Rechten mutiere, ist nicht ganz neu. Er selbst nennt sich einen Konservati­ven. Seine Kritik an der globalisie­rten, fortschrit­tsorientie­rten Gesellscha­ft hat er zur Genüge in seinen Romanen zum Ausdruck gebracht, in denen seine Protagonis­ten ein vielfach als frauenfein­dlich, homophob und fremdenfei­ndlich kritisiert­es Weltbild verkörpern.

Was soll man von den „Interventi­ons 2020“also halten? Eine Antwort findet man in einem dort veröffentl­ichten Gespräch über Kunst: „Ich glaube, ich bin ungefähr genauso zwiespälti­g wie meine Romanfigur­en.“Unter dem Titel „Ein bisschen schlechter. Neue Interventi­onen“erscheint der Essayband Anfang Dezember bei Dumont.

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Fotos: Hugo Ortuno; Alex Brandon/dpa Als Person mag der Schriftste­ller den Präsidente­n nicht, als Politiker dagegen schon: Michel Houellebec­q (links), Donald Trump.
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