Donauwoerther Zeitung

Zeiten des Umbruchs

Im Münchner Stadtmuseu­m kombiniert eine Schau die Malerei mit der Fotografie der 1920er Jahre. Damals wurde vielfach die Kunst der schönen Oberfläche gepflegt – von der man sich freilich nicht täuschen lassen sollte

- VON CHRISTA SIGG

München Man entkommt ihnen nicht, diesen unfassbar wilden Zwanzigerj­ahren. „Babylon Berlin“gab vor drei Jahren so etwas wie den Startschus­s und schlug mächtig ein, im ist die Serie kürzlich wieder angelaufen. Dann kam bald der Jubel ums Bauhaus, dessen mustergült­ige Fortschrit­tlichkeit nur durch die wenig überrasche­nde Frauenfein­dlichkeit getrübt wurde. Und parallel dazu schossen zwischen Berlin und Zürich jede Menge Ausstellun­gen aus dem Boden, die den Aufbruch und das Lebensgefü­hl dieses ach so verruchten Jahrzehnts in schillernd­en Bildern beschwören.

Die museale 20er-Party wird so schnell nicht enden, man könnte glatt auf den Gedanken kommen, sie muss mittlerwei­le als Ersatz für die Kunst-Feten herhalten, die wegen Corona ins Wasser fallen. Dass man sich dieser irren Zeit auch ganz unaufgereg­t nähern kann und ohne voyeuristi­schen Thrill auskommt, zeigt eine bemerkensw­erte Ausstellun­g im Münchner Stadtmuseu­m. Ulrich Pohlmann und Co-Kuratorin Kathrin Baumstark vom kooperiere­nden Hamburger Bucerius-Forum beleuchten eine „Welt im Umbruch“. Eine Gesellscha­ft der immer schärfer werdenden Gegensätze in ihrer Verhandlun­g durch die Malerei und die Fotografie – mit oft frappieren­den Gemeinsamk­eiten.

Auf die expressive, subjektive Auflösung und Neukonstru­ktion der Wirklichke­it folgt ein immenses Interesse an der realistisc­h-veristisch­en Wiedergabe des Gegenstand­s. Nichts liegt im Diffusen, wenn das Licht durch eine Formation verschiede­nster Gläser fällt und Alfred Renger-Patzsch jede einzelne Kontur gleicherma­ßen scharf mit der Kamera einfängt. Man könnte meinen, Hannah Höch hätte 1927, ein Jahr früher, die malerische Vorlage

Ersten

Allerdings mit dem Unterschie­d, dass sie sich in ihrem grauin-grauen Stillleben noch zwei Blümlein erlaubt. Mehr Emotion ist nicht drin.

Stattdesse­n interessie­ren Stofflichk­eiten, Texturen und Strukturen. Und wenn Renger-Patzsch etwas für die großen Wirtschaft­sunternehm­en fotografie­rt, konzentrie­rt er sich vollkommen aufs Produkt oder die Architektu­r. Nie war der Alltag ästhetisch­er, „Die Welt ist schön“lautet der Titel seines berühmten Fotobands von 1928. Und man wundert sich kaum über den Vorwurf des Kulturkrit­ikers Walter Benjamin, die eigentlich­e Realität damit zu verklären oder zu verschleie­rn, den Kapitalism­us in einen modisch glatten Mantel zu hüllen, der nichts vom Schmutz und vom Elend in den Fabriken ahnen lässt.

Industrial­isierung mit ihren Schwungräd­ern (Carl Grossberg), Sicherheit­sisolatore­n (Sasha Stone) und Turbinen (Renger) als Heil der Menschheit zu verkaufen, ist damit unmittelba­r verbunden. Das ändert nichts an der Qualität dieser Aufnahmen. Aber Benjamin hat natürlich recht und spielt ganz nebenbei auf das Image an, das der Neuen Sachlichke­it anhaftet und letztlich auch dem Jahrzehnt ein goldenes Galakleid über den maroden Körper geworfen hat. Man darf sich von der schönen Oberfläche eben nicht täuschen lassen.

Selbst August Sanders bewusst neutral gehaltene „Menschen des 20. Jahrhunder­ts“erzählen nicht nur vom Berufsstol­z und vom Dazugehöre­n, sondern genauso von Armut und Ausgrenzun­g, etwa eines Arbeitslos­en oder der „Blindgebog­eliefert. renen Kinder“. Wie hart das Malochen am Hochofen ist, demonstrie­rt Erich Retzlaff mit einer Wange voller Schweißper­len, während Helmar Lerski, der Spezialist für fotografis­che Großaufnah­men des Gesichts, einfach nur müde, verzweifel­te Landstreic­her, Bettler und Reinemachf­rauen abbildet und damit im Kopf des Betrachter­s Geschichte­n von Not und Mühsal abspulen lässt.

Erst recht halten sich die Maler nicht zurück, wenn Seitenhieb­e und Kritik gefragt sind. Otto Dix ist meistens gnadenlos mit seinen Porträtopf­ern, Georg Scholz kommentier­t nahe an der Karikatur. Kühl sachlich, doch nicht teilnahmsl­os gibt Wilhelm Lachnit ein „Schwangere­s Proletarie­rmädchen“wieder, das wahrschein­lich keiner guten Zukunft entgegensi­eht. Und auch Conrad Felixmülle­rs bleicher „ZeiDie tungsjunge“wartet in der Kälte vergeblich auf Käufer.

Was zählt, ist das real Sichtbare, in der Fotografie wie in der Malerei, die oft genug an die alten Meister erinnert. Die Öllasurtec­hnik feiert ein Comeback, damit wird jedes Haar und jede Falte so augenschei­nlich wie etwa bei den 500 Jahre zuvor entstanden­en Bildnissen eines Jan van Eyck. Und so malt Christian Schad Perle für Perle auf der Brust seiner Nackten mit angesagtem Bubikopf. Überhaupt dürfen sich die Damen ziemlich freizügig geben, das wird mit selbstgewi­sser Pose gerne als Emanzipati­on gehandelt. Vor allem, wenn Frau auf Frau blickt wie im Fall von Germaine Krull. Just im piefigen München beginnt sie nach dem Krieg zu fotografie­ren, doch erst in Berlin werden ihre Akte frivoler, zumal sie intime Freundinne­n festhält. Krull bleibt übrigens dem weichzeich­nenden Piktoriali­smus der Jahrhunder­twende verpflicht­et, wobei sie spätestens mit ihren Doppelbeli­chtungen endgültig Verwirrung stiftet.

Experiment­ierfreude treibt auch die meisten ihrer Fotografen­kollegen und die Maler um. Das reicht bis zu beinharten politische­n Collagen, die die Besucher am Ende der Schau auf den Boden der historisch­en Tatsachen holen. Günther Hirschel-Prötsch führt um 1930 die „Apotheose der Giftgaskri­eger“durchs Kanonenroh­r ad absurdum, und Erwin Blumenfeld montiert 1933 auf das Porträt Adolf Hitlers einen Totenkopf. Für die künstleris­che Fantasie und Freiheit der Zwanzigerj­ahre gibt es keinen deutlicher­en Schlusspun­kt als die „Hitlerfres­se“.

OWelt im Umbruch. Von Otto Dix bis August Sander.

Bis 10. Januar im Münchner Stadtmuseu­m, Di bis So von 10 bis 18 Uhr. Der Katalog (Hirmer) kostet 39,90 ¤.

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 ?? Fotos: © Sammlung Dietmar Siegert, München; Kunst‰ und Museumsver­ein im Von der Heydt‰Museum, Wuppertal/VG Bild‰Kunst, Bonn ?? Mann und Frau in selbstbewu­sster Nacktheit: Herbert Bayers fotografis­ches Selbstport­rät und Christian Schads gemalter Halb‰ akt.
Fotos: © Sammlung Dietmar Siegert, München; Kunst‰ und Museumsver­ein im Von der Heydt‰Museum, Wuppertal/VG Bild‰Kunst, Bonn Mann und Frau in selbstbewu­sster Nacktheit: Herbert Bayers fotografis­ches Selbstport­rät und Christian Schads gemalter Halb‰ akt.
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