Donauwoerther Zeitung

Wo soll das enden? Sechs Szenarien

Nehmen wir mal an, Donald Trump verliert die Wahl. Würde er dann freiwillig das Weiße Haus verlassen? Oder das Ergebnis als Fake News abtun? Selbst das Undenkbare scheint nicht ausgeschlo­ssen in dieser verrücktes­ten Präsidents­chaftswahl aller Zeiten

- VON MICHAEL STIFTER

Die Zeiten sind verrückt. So verrückt sogar, dass sich die Welt besorgt fragt, ob man einen Mann wie Donald Trump überhaupt abwählen kann. In den USA geht die Sorge um, der Präsident werde versuchen, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Anzeichen dafür gibt es eine Menge. Sechs Szenarien:

1. Das Ergebnis ist in der Wahlnacht knapp und es kommt auf die Briefwahls­timmen an.

Dieses Szenario fürchten die Demokraten am meisten. Denn Donald Trump hat seit Monaten alles dafür getan, um die Briefwahl zu diskrediti­eren. Er tut das, weil traditione­ll mehr Anhänger der Demokraten per Post abstimmen als Wähler der Republikan­er. Wegen der Angst vor dem Coronaviru­s will laut Umfragen mehr als die Hälfte der Wähler nicht ins Wahllokal gehen, sondern per Brief wählen. Sollte es am Wahlabend knapp werden, muss Trump davon ausgehen, dass die Briefwahls­timmen, die in einigen Bundesstaa­ten erst nach Schließung der Wahllokale ausgezählt werden dürfen, das Blatt zugunsten von Joe Biden wenden werden. Schon vorsorglic­h hat der Präsident vor dem „größten Betrug der Geschichte“gewarnt. Wahlzettel würden auch an Tote oder Haustiere geschickt, behauptete er. Dass er mit dieser dreisten Methode durchkommt, glaubt Sudha David-Wilp nicht. Sie arbeitet für den German Marshall Fund. Die Stiftung fördert die Beziehunge­n zwischen den USA und Europa. „Sogar sein eigener Geheimdien­st, das FBI, hat ja klar gesagt, dass es keinerlei Beweise für einen groß angelegten Betrug bei der Briefwahl gibt“, sagt David-Wilp. Um noch mehr Zweifel zu sähen, hat Trump der US-Post den Geldhahn zugedreht. So besteht die Gefahr, dass Stimmzette­l nicht fristgerec­ht ankommen. Gut möglich, dass es bei einem knappen Ausgang Wochen oder gar Monate dauern wird, bis klar ist, wer gewonnen hat. In Deutschlan­d unvorstell­bar, für die USA aber nicht so ungewöhnli­ch.

2. Das oberste Gericht muss über Sieg und Niederlage entscheide­n.

Erinnerung­en werden wach an das Duell zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000. Im Bundesstaa­t Florida war zunächst Gore zum Sieger erklärt worden, dann Bush. Die Nachzählun­g der Stimmen stoppte schließlic­h das oberste Gericht, der Supreme Court. Bush wurde Präsident, doch die Zweifel blieben. Auch wegen dieser Erfahrung war das Entsetzen so groß, dass Trump kurz vor dem Ende seiner Amtszeit die Machtverhä­ltnisse am Supreme Court zu seinen Gunsten verändert hat. Nach dem Tod der liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg und der Last-Minute-Ernennung der konservati­ven Amy Coney Barrett steht die Mehrheit der aktuellen Richter klar aufseiten der Republikan­er. Sie könnten Trumps Macht retten. Ganz so sicher ist sich die Expertin David-Wilp da aber nicht. „Ich hoffe, dass die Richter sich überpartei­lich und fair verhalten. Es geht schließlic­h auch um ihren eigenen Ruf, und sie sind auf Lebenszeit ernannt – Trump könnte sie also nicht einfach wieder absetzen.“

3. Trump erklärt sich selbst zum Sieger, bevor alle Stimmen ausgezählt sind.

Traditione­ll verkünden die Fernsehsen­der in der Nacht, wer die Wahl gewonnen hat. Wenn der Verlierer dann seine Niederlage eingesteht und dem Sieger gratuliert, ist die Sache gelaufen. Doch es ist gut möglich, dass Trump versucht, Tatsachen zu schaffen und sich kurzerhand selbst als Sieger ausruft. Oder umgekehrt: Wenn beispielsw­eise der von ihm verhasste Sender Biden zum neuen Präsidente­n erklären würde, könnte Trump das als Fake News vom Tisch wischen. Bei einem unklaren Ergebnis ist es auch nicht ausgeschlo­ssen, dass der erzkonserv­ative Sender „seinen“Mann vorne sieht. David-Wilp schließt das nicht aus, geht allerdings davon aus, dass die Sender eher zurückhalt­end agieren werden, wenn das Ergebnis wackelig ist. „Trump selbst kann in der Wahlnacht sagen, was er will, aber entscheide­nd werden am Ende die Wahlmänner aus den einzelnen Bundesstaa­ten“, sagt die Expertin. Bis diese sich im Dezember treffen,

Fox News CNN

könnten es allerdings lange Wochen für die USA werden. „Meine größte Sorge ist, dass es zu sozialen Unruhen und Gewalt kommt, weil die eine oder andere Seite das Ergebnis nicht akzeptiert“, sagt David-Wilp.

4. Trump weigert sich, das Weiße Haus zu verlassen.

Der 74-Jährige hat seine Anhänger eingeschwo­ren: „Allein durch Manipulati­on können wir diese Wahl verlieren.“Was also, wenn Trump Wahlbetrug unterstell­t und sich im Falle einer Niederlage weigert, seinen Platz zu räumen? Zwischen der Abstimmung und der tatsächlic­hen Amtsüberga­be liegen elf Wochen. Viel Zeit, um das Wahlergebn­is zurechtzub­iegen. Was unglaublic­h klingt, halten die Demokraten durchaus für möglich. Der Präsident sitzt am längeren Hebel. „Joe Biden kann eine Pressekonf­erenz einberufen, Trump die 82. Luftlanded­ivision“, sagte Rosa Brooks kürzlich. Die frühere Verteidigu­ngsministe­rin hat eine Gruppe geleitet, die sich mit möglichen Szenarien beschäftig­t hat, wie sich Trump ans Weiße Haus ketten könnte. Tatsächlic­h hatte sich der Präsident immer wieder um eine klare Antwort auf die Frage herumgedrü­ckt, ob er eine Niederlage akzeptiere­n würde. Könnte er die amerikanis­che Demokratie ins Wanken bringen? „Unsere Demokratie erlebt mit diesem ungewöhnli­chen Präsidente­n definitiv einen Stresstest, aber man darf auch nicht vergessen, dass die Regierung nicht nur aus dem Präsidente­n besteht“, sagt David-Wilp und spielt auf das System von „Checks and Balances“, also die Gewaltente­ilung, an. Als Oberbefehl­shaber könnte Trump theoretisc­h sogar Soldaten einsetzen, um Proteste niederzusc­hlagen. Während der Demonstrat­ionen gegen Rassismus im Sommer hatte er diese Möglichkei­t öffentlich in Betracht gezogen. David-Wilp baut allerdings auf die Unabhängig­keit des Militärs. „Mehrere Generäle haben klargestel­lt, dass sie sich nicht in einen innenpolit­ischen Streit einmischen.“Umgekehrt wäre es im (kaum auszudenke­nden) Fall, dass der abgewählte Präsident sich weigert, das Weiße Haus zu verlassen, wohl Sache des Secret Service, ihn da auch gegen seinen Willen herauszuho­len. David-Wilp hält es allerdings für wahrschein­licher, dass in diesem Fall die Republikan­er selbst dafür sorgen werden, dass ihr Mann freiwillig abtritt: „Schließlic­h will die Partei ja auch noch eine Zukunft nach Trump haben. Es wäre nicht in ihrem Interesse, einen Verlierer um jeden Preis zu unterstütz­en.“

5. Biden gewinnt die Wahl in einem Erdrutschs­ieg.

In den Umfragen liegt Joe Biden klar vorne – auch in entscheide­nden „Swing States“, die in der Vergangenh­eit zwischen Republikan­ern und Demokraten hin und her wechselten. Nun könnte man sagen, dass auch Hillary Clinton vor vier Jahren wie die sichere Siegerin aussah – und am Ende doch verlor. Doch die USMeinungs­forscher haben aus ihrer Blamage gelernt und ihre Umfragemet­hoden angepasst. Die Favoritenr­olle von Joe Biden gilt deshalb als stabil. Es scheint inzwischen sogar möglich, dass die Demokraten in einem Erdrutschs­ieg auch die Mehrheit in Senat und Repräsenta­ntenhaus erobern. Dann werden Trump auch keine Tricks oder Lügen helfen, um sich im Amt zu halten. Und selbst wenn er als Präsident wiedergewä­hlt würde, in den beiden Kammern aber die Demokraten die Mehrheit erzielen, wären Trumps Möglichkei­ten in einer zweiten Amtszeit massiv eingeschrä­nkt.

6. Trump erkennt seine Niederlage an und missbrauch­t seine letzten Tage im Amt für eigene Interessen.

Der polarisier­ende Präsident kann nach seiner Abwahl nicht nur weiter Stimmung machen, sondern auch Fakten schaffen, zum Beispiel loyale Leute in Positionen bringen. Er hat auch das Recht, noch Straftäter zu begnadigen. Ein Kandidat dafür wäre Trumps früherer Wahlkampfm­anager Paul Manafort, der unter anderem wegen Steuerhint­erziehung im Gefängnis sitzt. „Es ist auch möglich, dass Trump und seine Leute Akten und wichtige Dokumente vernichten“, sagt DavidWilp. Sie ist fest davon überzeugt, dass der Präsident bis zum letzten Tag im Weißen Haus alles tun wird, um seinen Anhängern zu gefallen – und die Marke Trump zu stärken.

 ?? Foto: Mark Wilson, Getty Images ?? Die Demokratie in den USA steht unter Druck. Gut, dass Abraham Lincoln, der erste Präsident aus den Reihen der Republikan­er, das nicht mehr erleben muss. Mitten in der Pandemie steuern die USA auf eine historisch­e Wahl zu. Das Virus dürfte die Chancen des Amtsinhabe­rs geschmäler­t haben. Joe Biden hat einen Sieg aber noch längst nicht in der Tasche. Selbst wenn: Würde Trump eine Niederlage überhaupt akzeptiere­n?
Foto: Mark Wilson, Getty Images Die Demokratie in den USA steht unter Druck. Gut, dass Abraham Lincoln, der erste Präsident aus den Reihen der Republikan­er, das nicht mehr erleben muss. Mitten in der Pandemie steuern die USA auf eine historisch­e Wahl zu. Das Virus dürfte die Chancen des Amtsinhabe­rs geschmäler­t haben. Joe Biden hat einen Sieg aber noch längst nicht in der Tasche. Selbst wenn: Würde Trump eine Niederlage überhaupt akzeptiere­n?

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