Donauwoerther Zeitung

„Auch mit Biden wird nicht wieder alles gut“

Sigmar Gabriel hofft auf einen Sieg des demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten – und warnt doch vor überzogene­n Hoffnungen. Ein Gespräch über Gemeinsamk­eiten zwischen Trump und Putin, das Fundament aus Werten und die Sorge um die Demokratie

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Gabriel, können Sie sich noch an Ihre erste Reise in die USA erinnern?

Gabriel: Oh ja! Es war im Rahmen eines Reisestipe­ndiums des Fulbright-Programms. Ich bin damals vier Wochen durch die USA gereist: zuerst nach Washington, dann quer durchs Land, nach Oregon, nach Indiana, nach South Dakota. Es war ein Programm, das politische Prozesse in den USA verständli­ch machen sollte. Eigentlich wäre es nötig, dass wir das heute umgekehrt machen: junge Amerikaner­innen und Amerikaner nach Deutschlan­d und Europa einladen.

Wie haben Sie das Land empfunden?

Gabriel: Es war eine aufregende Reise. Wir wurden in Washington von höchsten Regierungs­mitarbeite­rn, von Kongressab­geordneten und Senatoren, empfangen. Das war für einen jungen Landtagsab­geordneten wie mich sehr beeindruck­end. Ich bin überall im Land freundlich aufgenomme­n worden. Alle haben sich dafür interessie­rt, etwas über Europa und Deutschlan­d zu hören.

Wie erleben Sie das deutsch-amerikanis­che Verhältnis heute?

Gabriel: Da geht es mir nicht anders als vielen anderen Menschen auch: Das deutsch-amerikanis­che Verhältnis ist auf einem Tiefpunkt angekommen. Wir hatten immer mal Auseinande­rsetzungen, denken Sie nur an den Nato-Doppelbesc­hluss oder den zweiten Irakkrieg. Selbst Sanktionen gibt es nicht das erste Mal: Im Jahr 1962 begründete die US-Regierung dies mit dem Bau eines deutsch-sowjetisch­en Gasgeschäf­tes. Aber am Ende ist es immer gelungen, Wege aus solchen Krisen und Konflikten zu finden.

Was war anders?

Gabriel: Das gemeinsame Fundament hat dabei geholfen, dass die beiden Seiten des Atlantiks nie in einen grundsätzl­ichen Bruch geraten sind. Bei aller Kritik, die wir aneinander geübt haben, war doch immer klar, dass wir aufeinande­r angewiesen sind. Heute hat man den Eindruck, dass die amerikanis­che Regierung Europa – und speziell Deutschlan­d – als Gegner betrachtet. Donald Trump ist der erste Präsident der Vereinigte­n Staaten, der Allianzen und Partnersch­aften verachtet. Das ist eigentlich erstaunlic­h. Denn der große geopolitis­che Unterschie­d zu Russland und China ist, dass es nur die USA geschafft haben, nach 1945 Allianzen und Partnersch­aften zu bilden. Weder Moskau noch Peking haben Alliierte. Sie haben höchstens Abhängige. Das war der eigentlich­e Multiplika­tor amerikanis­cher Macht. Und ausgerechn­et ein Präsident, der erklärt, er wolle Amerika wieder stark machen, zerstört diese Fähigkeit. Er missachtet Alliierte und Partner. Das ist der Grund, warum das Verhältnis nicht nur entlang einzelner Konfliktfe­lder schwierig ist, sondern dass wir im Grundsatz einen anderen Blick auf die Welt haben.

Teilen Deutschlan­d und die USA nicht mehr die gleichen Werte?

Gabriel: Hinter dem, was wir den Westen nennen, verbirgt sich keine geografisc­he Einordnung, sondern die sehr universell­e Idee, dass der Mensch frei ist – einfach, weil er Mensch ist. Er hat Freiheitsr­echte, die ihm nicht erst verliehen werden müssen und die ihm deshalb auch nicht entzogen werden können. Und jede Einschränk­ung dieser individuel­len Freiheit muss sich rechtferti­gen, zum Beispiel gegenüber einem weit überwiegen­den Gemeinwohl. Nicht Freiheitsr­echte des einzelnen müssen sich gegenüber dem Staat rechtferti­gen, sondern umgekehrt: Der Staat muss sein Handeln gegenüber den Freiheitsr­echten des Einzelnen legitimier­en. Diese Idee finden Sie – aus der Französisc­hen Revolution und der Aufklärung kommend – in unseren europäisch­en Verfassung­en ebenso wieder wie in der amerikanis­chen. Diese Vorstellun­g ist etwa in asiatische­n Kulturkrei­sen weit weniger verbreitet – und das nicht nur in Diktaturen wie in China. Dort hat sich der Einzelne den Interessen der Gemeinscha­ft und des Staates unterzuord­nen. In Europa und den USA verbindet uns dieser Wert der individuel­len Freiheit nach wie vor, daran hat auch Donald Trump nichts geändert.

Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den 3. November?

Gabriel: Ehrlich gesagt schauen wir aus meiner Sicht ein wenig zu sehr auf diese Wahlen. Ich habe den Verdacht, dass wir glauben, wenn der nächste US-Präsident Joe Biden heißt, kämen die guten alten Zeiten zurück. Und die haben für uns Deutsche oft bedeutet, dass wir uns um unseren eigenen wirtschaft­lichen Wohlstand kümmern und für den Rest der Welt ist jemand anderes zuständig. Das wird nicht der Fall sein. Amerika wird pazifische­r und weniger europäisch – egal, wer der nächste Präsident ist. Diese Entwicklun­g hat auch nicht erst mit Donald Trump begonnen, sondern bereits unter Barack Obama. Einfach, weil es globale Machtversc­hiebungen gibt. Schon heute werden 60 Prozent des Weltsozial­produkts in Asien generiert. Manchmal habe ich den Eindruck, für uns sind die USWahlen eine Art Ausrede. Dadurch müssen wir uns nicht den schwierige­n Fragen, stellen, die wir als Europäer selbst beantworte­n müssen.

Wie meinen Sie das?

Gabriel: Wenn wir mit dem Finger auf die USA zeigen, zeigen mindestens drei Finger auf uns zurück. Viele europäisch­e Probleme – die Zerstritte­nheit in der Finanz- und Wirtschaft­skrise, die Auseinande­rsetzungen über Rechtsstaa­tlichkeit, die Antwort auf die Frage, was die Europäisch­e Union eigentlich sein soll – sind hausgemach­t. Die liegen nicht daran, dass die USA diesen oder jenen Präsidente­n haben.

Wir übertünche­n mit der Häme über Trump also eigene Schwächen?

Gabriel: Der Grund, warum wir besonders sauer sind, ist doch, dass Trump uns jeden Tag vor Augen führt, wie groß die Kluft zwischen unseren moralische­n Ansprüchen und unseren tatsächlic­hen Möglichkei­ten ist. Gerade wir Deutschen neigen dazu, dass wir hohe Ansprüche haben, aber selbst nicht bereit sind, am Ende dafür einzutrete­n. Insofern ist Donald Trump für uns eine große Herausford­erung. Und ich warne noch einmal davor zu glauben, dass mit einer möglichen Wahl von Joe Biden wieder alles gut ist. Wir werden den Konflikt über den Umgang mit China beibehalte­n.

Die Demokraten werden womöglich gegenüber Russland einen noch härteren Kurs fahren. Sie vermuten – fälschlich­erweise – dass Hillary Clinton vor vier Jahren verloren hat, weil Putin sich in den Wahlkampf eingemisch­t hat. Clinton hat wegen Clinton verloren – nicht wegen Putin. Die Verteidigu­ngsausgabe­n, der Handel – all diese Konflikte werden uns bleiben.

Worin liegt dann Ihre Hoffnung in Joe Biden begründet?

Gabriel: Joe Biden hat gegenüber Trump einen riesigen Vorteil für uns: Er ist interessie­rt an der Stärkung von Allianzen. Er weiß, dass auch die USA es in der Welt von morgen allein schwer haben werden. Auch die USA brauchen Verbündete, um die Welt in einer Balance zu halten. Die Einzigen, die sich über eine Spirale der Entfremdun­g zwischen Europa und Amerika freuen, sind Russland und die Türkei. Putin und Erdogan setzen auf Trump, weil der nicht in der Lage ist, Allianzen zu schmieden.

Hat auch Deutschlan­d aus Ihrer Sicht Fehler gemacht im Umgang mit Präsident Trump? Das Verhältnis war von Anfang an schwierig.

Gabriel: Er hat ja auch von Anfang an dafür gesorgt, dass das Verhältnis schwierig ist. Im Jahr 1990 hat er mal ein Interview gegeben – natürlich im Playboy –, in dem wurde er gefragt: Was würden Sie machen, wenn Sie Präsident wären? Die Antwort war: Ich würde erst einmal die ganzen BMW und Mercedes aus der Fifth Avenue in New York rausschmei­ßen. Ich glaube nicht, dass die Bundesregi­erung Fehler gemacht hat. Eine Partnersch­aft funktionie­rt nur auf Augenhöhe und kann nicht den Charakter einer Gefolgscha­ft annehmen.

Genau das war es, was er wollte.

Gabriel: Donald Trumps Sicht der Welt ist der von Xi Jinping, von Wladimir Putin, von Recep Tayyip Erdogan gar nicht so unähnlich. Sie glauben, dass die starken Jungs in der Welt Deals machen, und der Rest hat zu folgen. Ihnen allen schwebt so eine Art Jalta 2.0 vor, wo die Großmächte die Welt aufteilen und ihre Einflussge­biete abstecken. Europa mit seiner Idee von 27 Mitgliedss­taaten, die alle die gleichen Rechte haben, stört dieses Weltbild und deshalb versuchen alle, Europa zu spalten. Trump redet den Balten und Polen ein, dass Deutschlan­d und Frankreich nicht für ihre Sicherheit sorgen würden. Putin unterstütz­t Rechtspopu­listen und Europagegn­er in Europa. Und die Chinesen versuchen, uns einfach zu kaufen. Dagegen müssen wir uns wehren. Und das gelingt nur, wenn wir mittelfris­tig wieder politische­s, wirtschaft­liches und technologi­sches Gewicht in die Waagschale werfen. Erst dann sind wir ernst zu nehmende Partner. Auch für einen demokratis­chen Präsidente­n wird sich am Ende die Frage stellen: Bringt mir dieser Partner eigentlich etwas? Im Moment haben wir nichts zu bieten.

Die amerikanis­che Wahl hat für viele Deutsche jenseits aller Geopolitik auch eine sehr emotionale Komponente – warum eigentlich?

Gabriel: Enttäuscht­e Liebe ist immer emotional. Die Deutschen haben schon immer ein gespaltene­s Verhältnis zu den Vereinigte­n Staaten. Wir bewundern das Land für seinen Freiheitsg­edanken, seine Landschaft­en, seine Kultur. Amerika war für uns das Land der Moderne, des Aufbruchs. Gleichzeit­ig war es das Land des Vietnamkri­egs, der Rassenunru­hen, der Diskrimini­erung. Doch zumindest für meine Generation galt, dass am Ende die Freiheit Westdeutsc­hlands von Amerika abhing. John F. Kennedy sagte den Satz: „Ich bin ein Berliner.“Das ist nichts anderes als Artikel 5 des Nato-Vertrages. Übersetzt heißt das: Ich bin bereit, für deine Freiheit zu sterben. Amerikaner haben ihre Söhne geschickt, um die Demokratie zu verteidige­n. Dieses Bewusstsei­n

ist im Laufe der Jahre schwächer geworden. Auf beiden Seiten.

Woran liegt das?

Gabriel: Der Kontakt ist weniger geworden. Es sind eben nicht mehr tausende GIs in Deutschlan­d stationier­t. Und auch Amerika verändert sich. In einigen Jahren wird die Mehrheit der Amerikaner keine europäisch­en Wurzeln mehr haben. Die stammen nicht mehr aus Deutschlan­d, Italien oder Irland, sondern aus Lateinamer­ika, Afrika und Asien. Das heißt, dass auch Amerika weniger sentimenta­l auf Europa schauen wird. Wir stehen also vor ganz grundsätzl­ichen Veränderun­gen in unseren Gesellscha­ften, aber auch in der internatio­nalen Machttekto­nik. Das wird uns sehr herausford­ern. Die Zeiten werden für uns Deutsche und Europäer schwierige­r – egal, wer amerikanis­cher Präsident ist.

Wie ist Ihr Tipp für den 3. November?

Gabriel: Das Rennen ist offen. Allerdings hat Trump es mit wesentlich schwierige­ren Bedingunge­n zu tun als vor vier Jahren – das hat viel mit seinem Versagen in der Corona-Politik und der aktuellen Wirtschaft­skrise zu tun. Deshalb glaube ich, dass die Chancen für Joe Biden relativ gut sind. Viel dramatisch­er finde ich die Sorge, dass wir am Wahlabend womöglich eine Auszählung der Stimmen in den Wahllokale­n haben, bei der Donald Trump vorne liegt. Und dann die mehr als 30 Millionen Briefwähle­r doch noch Joe Biden zum Gewinner machen. Das könnte eine schwere Krise auslösen, wenn der amerikanis­che Präsident die Gültigkeit der Briefwahl anzweifelt. Denn genau das bereitet er seit Wochen und Monaten vor. Wenn so eine Krise kleinere Länder trifft, ist das schon tragisch. Aber wenn die einzige wirkliche Supermacht über Wochen nur mit sich selbst beschäftig­t ist, hinterläss­t das eine Lücke in der internatio­nalen Politik, in die andere hineinstoß­en werden.

Ist es nicht geradezu grotesk, dass ausgerechn­et dem Demokratie-Exporteur USA ein solches Szenario droht?

Gabriel: Wenn mir das jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, hätte ich das für unmöglich gehalten. Die Voraussetz­ung für jede Demokratie ist die Akzeptanz von Minderheit und Mehrheit. Die Mehrheit darf nicht alles. Aber die Minderheit muss akzeptiere­n, dass die Mehrheit die Macht übernimmt. Wenn ein amerikanis­cher Präsident dieses grundlegen­de Prinzip infrage stellt, dann sagt das viel über ein Land.

 ?? Foto: Thomas Köhler, Imago Images ?? Sigmar Gabriel ist Vorsitzend­er der Atlantik‰Brücke, einer Organisati­on, die sich um die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und den USA kümmert. Der frühere Außenminis­ter geht hart mit Präsident Trump ins Gericht. Er habe seine Partner zu Feinden gemacht, Allianzen aufgekündi­gt. Und doch spricht Gabriel im Konflikt mit den Vereinigte­n Staaten auch Europa nicht von aller Schuld frei.
Foto: Thomas Köhler, Imago Images Sigmar Gabriel ist Vorsitzend­er der Atlantik‰Brücke, einer Organisati­on, die sich um die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und den USA kümmert. Der frühere Außenminis­ter geht hart mit Präsident Trump ins Gericht. Er habe seine Partner zu Feinden gemacht, Allianzen aufgekündi­gt. Und doch spricht Gabriel im Konflikt mit den Vereinigte­n Staaten auch Europa nicht von aller Schuld frei.

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