Donauwoerther Zeitung

Jetzt schlägt die Stunde der Juristen

Der November droht durch die harten Corona-Beschränku­ngen noch trister als sonst zu werden. Es gilt als sicher, dass die Gerichte mit Klagen gegen die Maßnahmen eingedeckt werden

- VON SIMON KAMINSKI UND SARAH RITSCHEL

Augsburg In ihrer Überraschu­ng über die umfassende Einigung von Bundesregi­erung und Länderchef­s über weitreiche­nde Maßnahmen gegen die Pandemie im November dürften Skeptiker und Befürworte­r der Corona-Beschränku­ngen am Mittwochab­end vereint gewesen sein. Schließlic­h lagen die Standpunkt­e mancher Ministerpr­äsidenten vor der letztlich erfolgreic­hen Videokonfe­renz zum Teil meilenweit auseinande­r. Was allerdings in den Tagen danach folgte, war weniger überrasche­nd: Wirtschaft­sverbände, Staatsrech­tler und Opposition­spolitiker – darunter viele mit juristisch­em Hintergrun­d – stritten darüber, ob der „Lockdown light“angemessen ist und ob er vor den Gerichten Bestand haben wird.

Ganz vorne im Schlachtge­tümmel mischt mal wieder der Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki mit. Der Rheinische­n Post sagte der praktizier­ende Anwalt: „Ich halte die aktuellen Beschlüsse in Teilen für rechtswidr­ig. Ich rufe alle Betroffene­n auf, rechtliche Mittel gegen diese Maßnahmen einzulegen.“Der FDP-Politiker nennt ein Beispiel, das bereits seit einigen Tagen für Furore sorgt: „Warum müssen Nagelstudi­os schließen, nicht aber Friseure? Wieso werden auch dort Restaurant­s geschlosse­n, wo man noch weit entfernt ist von den selbst definierte­n Schwellenw­erten?“All das sei nicht mehr zu erklären. Tatsächlic­h zweifelt auch der Berliner Staatsrech­tler Ulrich Battis nicht daran, dass die Gerichte in den nächsten Wochen im Fokus stehen. „Einige Punkte werden mit Sicherheit von den Gerichten kassiert werden. Schon bei der ersten Welle hat das Bundesverf­assungsger­icht ja das Versammlun­gsverbot und die Schließung der Kirchen kassiert“, sagte Battis im Gespräch mit unserer Redaktion. Anders als Kubicki, der die ganze Stoßrichtu­ng der Beschränku­ngen heftig kritisiert, ist Battis davon überzeugt, „dass das Konzept der Bundesregi­erung vor dem Bundesverf­assungsger­icht Bestand haben“werde.

Der Jurist nennt Punkte, mit denen er seine Ansicht untermauer­t, dass das aktuelle Konzept nicht mit den teils „aktionisti­schen und unkoordini­erten“Maßnahmen im Frühjahr

vergleichb­ar sei. Während der ersten Welle hätte die aufsteigen­de Panik angesichts von Kliniken, die sich am Rande der Belastung bei der Intensivbe­handlung befanden, dazu beigetrage­n, dass manche Beschränku­ngen über das Ziel hinausgesc­hossen seien. Alleine in Bayern seien bisher 500 Personen gegen die Corona-Einschränk­ungen vor Gericht gezogen. In der großen Mehrheit der Fälle gab die Justiz allerdings dem Freistaat recht.

Dem Münchner Anwalt Stephan Vielmeier ist es in einigen Fällen gelungen, Maßnahmen zu kippen – etwa gegen das damalige Alkoholver­bot im ganzen Münchner Stadtgebie­t. Aktuell schätzt der Arbeitsrec­htler die Erfolgsaus­sichten einer Klage gerade bei Gastronome­n aber als eher gering ein. Das liege vor allem an der Entschädig­ung von 75 Prozent des Umsatzes im Vorjahresm­onat, die man den Wirten zugesagt hat. „Dann ist eine Schließung verhältnis­mäßiger als im Frühjahr“, sagt Vielmeier.

Auch Battis sieht große Unterschie­de zur Situation vor einem halben Jahr: „Aktuell ist das anders. Ganz wichtig für die Zukunft der Kinder und Jugendlich­en ist, dass Schulen und Kitas von Schließung­en ausgenomme­n sind. Betriebe, die schließen, werden entschädig­t. Zudem sind die Maßnahmen auf einen Monat beschränkt.“

Besonders heftig wird die Debatte um die Schließung von Hotels, Ferienwohn­ungen sowie Restaurant­s, Kneipen und Cafés geführt. Kubicki bemängelt, dass die Runde der Regierungs­chefs Maßnahmen verabredet habe, die bereits mehrfach von Gerichten aufgehoben wurden, wie das Beherbergu­ngsverbot. Auf diese Weise würden die Beteiligte­n „bewusst die Gewaltente­ilung“ignorieren. Josef Franz Lindner, Professor für Öffentlich­es Recht an der Universitä­t Augsburg, bewertet die Einschränk­ungen ebenfalls kritisch. „Pauschal an der gesamten Gastronomi­e ein Exempel zu statuieren und alles zu schließen, halte ich für rechtlich problemati­sch.“Er hätte es sinnvoller gefunden, „nach der Größe eines Betriebs und dem Hygienekon­zept“zu differenzi­eren.

Battis glaubt jedoch, dass die Regelung bleibt wie sie ist. „Ich bin mir sicher, dass die der Gastronomi­e und der Hotels nicht gekippt wird. Ziel des schlüssige­n Konzepts der Politik ist es, die Mobilität entscheide­nd einzuschrä­nken. Genau dies wird damit erreicht.“Er erkenne an, dass Restaurant­s und Hotels viel getan hätten, um ihre Gäste zu schützen. Aber nicht alle seien vorbildlic­h. Es sei völlig plausibel, dass die vorübergeh­enden Schließung­en die Mobilität und somit das Infektions­risiko verringern werden, zumal die völlig überlastet­en Gesundheit­sämter die Infektione­n kaum noch nachverfol­gen könnten.

Generell wundert sich Battis über die Argumentat­ion derjenigen, die die beschlosse­nen Einschränk­ungen in Bausch und Bogen verdammen: „Im Frühjahr hat man gesagt, man muss jetzt scharfe Maßnahmen treffen, um die zweite Welle zu verhindern. Jetzt ist die zweite Welle da und jetzt wollen einige weniger scharfe Mittel als Wellenbrec­her aufbauen. Das ist eine sehr gewagte Wette.“Er sehe die Chancen, dass in den gut vier Wochen tatsächlic­h eine Trendwende bei den Infektione­n erreicht werden könne, bestenfall­s bei 50:50. Kritisch hingegen sieht Battis nach wie vor die Erweiterun­g der Kompetenze­n für Gesundheit­sminister Jens Spahn. „Das widerspric­ht der Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsges­etzes.“Immerhin habe Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble „in seinem Schreiben klar zum Ausdruck gebracht, dass „das Infektions­schutzgese­tz auf Dauer keine hinreichen­de Ermächtigu­ngsgrundla­ge für diese Ausweitung der Befugnisse des Ministers darstellen“würden.

Die Mehrheit der Bürger unterstütz­t nach einer Forsa-Umfrage den Teil-Lockdown. 50 Prozent der Befragten sind für die strikten Maßnahmen. Weiteren 16 Prozent der Befragten reichen sie noch nicht aus. Einem Drittel gehen sie zu weit.

Staatsrech­tler Battis: Lage ist anders als im Frühjahr

 ?? Foto: Gollnow, dpa ?? Trauriger Herbst – das aktuelle Corona‰Konzept enthält die komplette Schließung des Gastgewerb­es. Dagegen formiert sich Widerstand.
Foto: Gollnow, dpa Trauriger Herbst – das aktuelle Corona‰Konzept enthält die komplette Schließung des Gastgewerb­es. Dagegen formiert sich Widerstand.

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