Donauwoerther Zeitung

Mit Tigerfell und schnellem Soda

So geht Brot auf europäisch: Georg Matthes hat Rezepte aus 28 Ländern gesammelt, ausprobier­t und verfeinert. Wie Eiswürfel und Alufolie zum Erfolg beim Backen beitragen können und was es mit dem Fingertest auf sich hat

- Interview: Claudia Wittke-Gaida, dpa

Brüssel Schon während seines Studiums in London hat er sich über das englische Einerlei an Labberweiß­brot geärgert. Und auch in Belgien fand Georg Matthes kein Brot, das ihn wirklich vom Hocker riss. Das Los eines Deutschen, der im Ausland lebt. Doch damit wollte sich der Europakorr­espondent der Deutschen Welle nicht abfinden – und fing an, selbst zu backen. Keine kleinen Brötchen, sondern ganze Brote. „Wenn man in Brüssel schon an der Quelle sitzt, warum nicht EU-weite Expertise nutzen“, sagt Matthes im Interview. Als „Bakerman“nutzte er Dienstreis­en, studierte Tutorials, löcherte Kollegen und Abgeordnet­e. Er entlockte ihnen geheime Zutaten, Kniffe und Familienre­zepte – und verfeinert­e sie. Heraus kam eine Sammlung der besten Brotrezept­e aus 28 Ländern.

Roggensaue­rteig, Weizensaue­rteig, mal mit Dinkel, Gerste, Rosinen, Mais, Bier oder Sepia-Tinte, als Stange, Pita oder Focaccia: Wie lange hat es gedauert, sich kreuz und quer durch Europa zu backen?

Georg Matthes: Von der Idee bis zum fertigen Buch brauchte es zwei Jahre – und säckeweise Mehl. Fast jedes Wochenende probierte ich neue Rezepte aus. Mal mehr, mal weniger erfolgreic­h. Irgendwann hörte ich, wie die Kinder hinter meinem Rücken stöhnten: „Oh nein, nicht schon wieder.“

Welches Brot kam bei ihren Kindern am besten an?

Matthes: Meine beiden Töchter, acht und zwölf Jahre alt, fliegen auf niederländ­isches Tigerbrot. Das ist ein helles Brot aus Weizenmehl und geschälten Hanfsamen. Keine Sorge: Das ist kein Haschbrot, sondern THC-neutral. Es wird mit einem No-Knead-Teig gebacken, also einem Teig, der nicht geknetet, sondern gefaltet werden muss. Der Clou ist die Kruste, die durch eine Reismehlpa­ste entsteht und über den Teig gegossen wird. Weil sich das Reismehl nicht dehnt, reißt die

Kruste und sieht dann ein bisschen wie ein Tigerfell aus. Der Backtrick rührt aus Kolonialze­iten der Niederländ­er in Indonesien. Damit das Brot innen saftig bleibt, benutze ich übrigens einen Gänsebräte­r aus Emaille mit Deckel. Er muss richtig heiß sein, bevor der Teigling hineingese­tzt wird. Gebacken wird er 20 Minuten mit Deckel und 20 Minuten ohne.

Welches Brot war die härteste Nuss?

Matthes: Portugals Maisbrot hat mir echtes Kopfzerbre­chen bereitet. Eigentlich muss der Teig dreimal aufs Doppelte aufgehen. Doch am Anfang ist mir das Ganze immer nur zerlaufen. Ich dachte: Verdammt, was mache ich nur falsch? Es lag an der Polenta. Ich hatte normalen Maisgrieß genommen, der erst mindestens eine halbe Stunde gekocht wird. Dabei muss man vorgegarte Instant-Polenta nehmen, die es allerdings nicht überall gibt.

belgisches Dinkelbrot, Frankreich­s Stangenbro­t oder Estlands Roggenbrot – viele Brote werden für eine krosse Kruste und einen fluffigen Kern mit Dampf gebacken. Wie gelingt das im heimischen Herd?

Matthes: Der Dampf entsteht, wenn man zum Backblech noch zusätzlich eine Auflauffor­m mit Wasser in den Herd stellt. Mein absoluter Geheimtipp ist aber, statt dem Wasser fünf bis zehn Eiswürfel zu nehmen. Dadurch verteilt sich der Dampf über längere Zeit.

Welches Brot geht am schnellste­n?

Matthes: Das schnellste Brot Europas kommt eindeutig aus Irland. Das Sodabrot der Iren ist sozusagen der Rennwagen – ohne Hefe, ohne Sauerteig, ohne Warten, ohne Aufgehen. Das Zauberwort heißt Baking Soda, also Backnatron. Das haben sich die Iren von den Amerikaner­n abgeschaut, wo immer alles schnell gehen muss. Unter dem Motto: Die

Gäste kommen gleich? Wir haben ja noch 20 Minuten.

Geteilt und doch eins: Wird Zyperns Fingerbrot durch Gummiharz zusammenge­halten?

Matthes: Die Zyprioten backen ihr Brot in der Tat mit Mastix. Das Gummiharz der Pistazienb­äume ist ein Gewürz, von dem man nicht zu viel nehmen darf, höchstens drei zerstoßene Körner. Man rührt sie mit in den Teig und hat sofort den Duft von Zypern und Griechenla­nd in der Nase. Die Finger entstehen aber dadurch, dass der Teig in längliche Streifen geteilt wird. Sie werden in feuchte Sesam- und Schwarzküm­melsamen gedrückt und jeweils mit einem Zentimeter Abstand nebeneinan­der auf dem Blech arrangiert. Dann lässt man die Stücke gehen. Nach rund einer Stunde Ruhe haben sich die Lücken geschlosse­n.

Wer so tief in die Brotmateri­e eingeOb

taucht ist, kennt doch bestimmt alle Geheimniss­e?

Matthes: Sicher nicht. Aber ich beherzige schon ein paar Grundregel­n, damit man immer was gebacken bekommt.

Können Sie fünf verraten?

Matthes: Beim Teig immer mit dem Wasser anfangen, nicht mit dem Mehl – sonst klebt alles nur am Boden. Sind 300 Milliliter Flüssigkei­t angegeben, immer erst mal mit 250 beginnen und schauen, ob es reicht. Denn zu viel Flüssigkei­t bekommt man nie wieder eingefange­n. Bei sonstigen Mengenanga­ben ist dagegen Genauigkei­t gefragt. Zehn Gramm mehr oder weniger können viel ausmachen – deshalb unbedingt eine Digitalwaa­ge benutzen! Geht es wiederum um Gärzeiten, darf man sich nicht sklavisch an das Rezept halten. Um bei Hefezopf und Co. zu ergründen, ob der Teig fertig gegangen ist, hilft der Fingertest: Bevor man das Brot in den Ofen schiebt, pikst man mit dem Finger in den Teig. Ist der Piks nach zwei Minuten verschwund­en, muss er noch gehen. Ist es aber nach fünf Minuten noch da, ist er fertig zum Reinschieb­en. Ist der Teig allerdings zu lange gegangen, hat man auch ein Problem. Dann entweicht die Luft, der Teig bricht und hat im Ofen keine Kraft mehr. Der Hintergrun­d: Die Milchsäure produziert Gase, die dann platzen. Zum Schluss hat man Fladenbrot. Soll Brot knusprig werden, immer Alufolie bereithalt­en! Sie schützt das Brot, wenn es oben anbrennen will, aber innen noch nicht fertig ist.

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Foto: Lisa Nieschlag, DW, dpa Dieses Brot ist nach Recherchen von Georg Matthes das schnellste in Europa: Irlands Sodabrot kommt ohne Hefe und damit ohne Wartezeit aus.
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Georg Matthes ist Euro‰ pakorrespo­ndent der Deutschen Welle in Brüs‰ sel und hat ein Buch über die verschiede­nen Brote Europas ge‰ schrieben. „Baking Bread“ist im Becker Joest Volk Ver‰ lag erschienen und kostet 22 Euro.

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