Alter Hof, junges Gemüse
Landwirtschaft Seit 250 Jahren gehört der Bauernhof in Oberndorf der Familie Funk. Matthias und Margit Funk bauen heute mit ihren Kindern nur noch Gemüse an. Ihre solidarische Gemüsekiste ist ein einzigartiges Konzept im Landkreis Donau-Ries
Oberndorf Salat, Kürbis, Lauch, Brokkoli, Tomaten, Zucchini und Ingwer stapeln sich in den grünen Kisten. Die letzten Brocken Erde entfernt Margit Funk von dem Gemüse, das sie mit ihrem Mann und ihren Kindern im nasskalten Morgengrauen geerntet hat. Kiste um Kiste schleppen die Töchter in den Stadel des Hofs. Ein Mann steckt seinen Kopf durch das offene Scheunentor und ruft freudig: „Guten Morgen“. Ein ebenso freundliches „Guten Morgen“kommt mehrstimmig zurück. Der Mann schlendert in den Stadel, nimmt sich Gemüse und packt es in seine eigens mitgebrachte Kiste. Hinter dieser Szene steckt ein Konzept, das einzigartig im Landkreis Donau-Ries ist.
Seit 2016 bietet die Familie Funk eine solidarische Gemüsekiste auf ihrem Hof in Oberndorf am Lech an. Mitglieder zahlen einen festen Monatsbetrag, um sich wöchentlich eine Kiste auf dem Biohof selbst zusammenstellen zu können. Die Auswahl an Gemüse ist für die Mitglieder begrenzt. Die kleine Kiste kostet 35 Euro, die größere Kiste 60 Euro im Monat. Durch die Mitgliederbeiträge kann Familie Funk eventuelle Ernteausfälle abfangen. Bei einer üppigen Ernte erhalten die Mitglieder dafür auch mehr für ihre Kiste. Anfänglich gab es 15 Abnehmer für die Gemüsekisten. Mittlerweile haben sich die Mitglieder aus der Region vervielfacht. „Potenzial nach oben“gebe es aber noch, so die Familie.
Trotz Regen und grauem Himmel fahren an diesem Samstag immer wieder Autos auf den Hof, Personen in Regenjacken steigen aus und laufen vereinzelt in den Stadel. Eine Frau aus Auchsesheim stellt sich ihre Kiste zusammen. Weil sie Zucchini diese Woche nicht gebrauchen kann, nimmt sie sich aus den Tauschkisten Paprika mit. Mit dem Korb voller Gemüse in der Hand sagt eine Kundin aus Oberndorf, dass sie sich immer über die nützlichen Tipps für ihren Garten zu Hause freue. Ein Mann aus Mertingen kauft für das abendliche Raclette ein. Zu dem Gemüse aus der kleinen Kiste ersteht er noch ein paar Zutaten im Hofladen, vor dem sich langsam eine Schlange bildet.
Seit knapp 250 Jahren gehört der Bauernhof in Oberndorf der Familie Funk. Übernommen hat Matthias Funk den Hof von seiner Familie vor knapp 40 Jahren. Heute bewirtschaftet der 57-Jährige das Land zusammen mit seiner Frau Margit und seinen Kindern Marieanne, 26, und Leonhard, 23. Die älteren Töchter Antonia, 31, und Charlotte, 28, helfen neben ihrem Job noch auf dem Hof aus. Auf einer Fläche von knapp 8,5 Hektar werden knapp 40 verschiedene Gemüsesorten angebaut. Darunter besondere, wie Blue Kuri, ein blauer Kürbis oder sogar Ingwer. Im vergangenen Jahr pflanzte die Familie zum ersten Mal die scharfe Knolle selber an. Damit war sie eine von zwei Höfen in ganz Bayern. Die Idee kam durch eine ausgetriebene Ingwerwurzel. Nun hat es die Pflanze in das feste Sortiment des Biohofs geschafft.
Kurz nach 9 Uhr steht Margit Funk hinter der kleinen Theke im Hofladen, der sich ein paar Schritte vom Stadel entfernt befindet. Die Auswahl in dem ehemaligen Futterlager ist vielfältig: von Tomaten über Kürbis bis zum selbst gemachten Ajvar. „Oh, was ist das denn?“, fragt ein Kunde. „Das ist ein Mairübchen.“„Ich dachte schon, das wäre Rettich“, sagt der Mann und legt die rundliche Rübe zu seinen Einkäufen. Keine Ausnahme: Ein Großteil der Kunden erkenne nicht mehr alle Gemüsesorten, so Margit Funk, die fast jeden Kunden beim Namen kennt. Ob Spaghettikürbis oder Asiasalat, die 53-Jährige hat zu allem eine Rezeptempfehlung parat. „Tschüss, Frau Funk“, sagt der Kunde im Herausgehen mit seinen braunen Tüten voller Biogemüse in der Hand.
Getrocknet sind die Regenjacken und Hosen von Matthias Funk und seiner Tochter Marieanne noch nicht, da geht es für sie schon wieder zurück zu ihren Gewächshäusern, Feldern und dem Schuppen. Ein paar Minuten später sind sie mit dem Auto angekommen. „Das erste und zweite Gewächshaus haben wir geschenkt bekommen“, sagt Marieanne Uhl. Damals für die Familie eine
Gelegenheit, sich im Anbau von Gemüse auszuprobieren. In den heute sieben Gewächshäusern und umliegenden Gemüsebeeten gedeiht eine Vielfalt an Pflanzen. Zu jedem Gewächshaus und jedem Gemüse hat die Tochter Marieanne Uhl, die Landwirtschaft studiert hat, etwas zu erzählen. In einem der Gewächshäuser türmen sich Papiertüten an Saatgut: Dort zieht Matthias Funk eigene Jungpflanzen heran, die er später anpflanzt und zum Teil auch verkauft.
Das Gemüse für den Tag haben die drei Töchter und ihre Eltern bereits um 6.30 Uhr angefangen zu ernten. Sohn Leonhard ist heute nicht dabei. Bücken, knien, schneiden, graben, zupfen. Die Familie muss auch ernten, wenn das Wetter kalt, nass und regnerisch ist. Seit 1991 ist der Hof bio. Die Inspiration kam von ihrem Nachbarn, der bereits nach den Demeter-Standards arbeitete. „Oft sucht man immer etwas, das zu einem richtig passt. Und das hat es“, sagt Matthias Funk.
Vater und Tochter müssen nun das Saatgut verladen. Die Saatkörner trocknet und lagert die Familie Funk auf ihrem Dachboden und verkauft sie dann für ein geringes Geld an eine Saatgutfirma. „Sautag heute“, schimpft der Landwirt, als Samen auf den Boden bröseln. Er hat trotzdem ein müdes Lächeln auf den Lippen, als er mit der Kehrschaufel die Körner zusammenfegt. 120 Kilogramm Sonnenblumenkerne zeigt die Waage an. Noch ein paar Stunden arbeiten sie weiter, bis sie die heiß ersehnte Mittagspause machen werden.
Übernommen hat Matthias Funk den Hof von seinen Eltern. Diese rieten ihm, „etwas Ordentliches zu lernen, weil von der kleinen Landwirtschaft kann man nicht leben“. Doch Matthias Funk sagt: „Ich wollte schon immer Bauer sein.“Sein Grund: „Freiheit“. Also ging er auf die Landwirtschaftsschule und machte seine Gärtnerprüfung. Seine zwei Brüder hingegen sind Arzt sowie Rechtsanwalt und „irgendwas mit BWL“geworden. Matthias Funk fände es schön, wenn eines seiner Kinder den Hof übernehmen würde: „Der Hof hat sein eigenes Leben. Irgendwie ist man den Leuten von früher ja auch verpflichtet.“
Endlich Mittagessen! Matthias Funk und Marieanne Uhl kehren in die Stube zurück, die vom grünen Kachelofen wohlig vorgeheizt ist. Zusammen mit den anderen beiden Töchtern nehmen sie am langen Holztisch Platz. Auberginen mit Käse und Tomaten überbacken, ein Topf mit gekochten Kartoffeln, Salat und Reste vom Vorabend. Natürlich kommt das Gemüse vom eigenen Grund und Boden. Das Gespräch dreht sich um eine Geburtstagsfeier und die Hochzeit von Marieanne.
Margit Funk nimmt am freien Platz am Kopf des Tisches Platz. Sie war noch im Hofladen und kommt nun auch dazu, etwas zu essen. Auf dem Hof gehen Personen im Stadel ein und aus und stellen sich selbst ihre Kiste zusammen.
Für den Nachmittag war die Apfelernte angedacht. Doch das Wetter ist einfach zu mies. Ein Vorteil als selbstständiger Betrieb: Was und wie lange man arbeitet, bestimme man selbst. Dafür müsse die Arbeit aber an einem anderen Tag nachgeholt werden, sagt Marieanne Uhl. Also Apfelernte dann am Sonntag? Die älteste Tochter verneint: „Ich mag auch mal einen Sonntag frei haben.“„Ach, Toni“, kommt es ringsherum von den Familienmitgliedern, die noch mit Kuchen am Tisch sitzen.
Der Hof funktioniert durch die Hilfe der ganzen Familie und eben auch durch die Unterstützung der Mitglieder der solidarischen Gemüsekiste. „Früher haben uns die größeren Bauern in der Region nicht mal beachtet“, sagt Matthias Funk. Mit der eigenen Anzucht von Jungpflanzen, dem Anbau von Biogemüse und der solidarischen Kiste habe sich das verändert. Nun interessierten sich die Menschen für ihre Arbeit, sagt Funk weiter.
Doch kann Landwirtschaft heute nur noch solidarisch funktionieren, wie es auch die Familie Funk macht? Matthias Funk sagt dazu: „Es wäre etwas für die Zukunft, alles wird nur noch im großen Stil angebaut.“So gehe das Wissen über Anbau und Zubereitung von Gemüse verloren, fügt seine Frau hinzu. Marieanne Uhl meint: „Die solidarische Landwirtschaft wäre zumindest ein Ansatz für eine gute Zukunft.“