Donauwoerther Zeitung

Unbekannte Schicksale des Naziterror­s

Die neue Ausstellun­g des Donauwörth­er Stadtarchi­vs im Vhs-Gebäude zeigt auch neue Forschungs­ergebnisse zur lokalen NS-Geschichte

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Vor 75 Jahren war Donauwörth am Boden. Getroffen und ausgezehrt wie wohl seit dem Dreißigjäh­rigen Krieg nicht mehr. Amerikanis­che Bomber hatten bei dem Versuch, die Donaubrück­e aus der Luft zu zerstören, weite Teile der Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. Eine Ausstellun­g, die aktuell im VhsGebäude im Spindeltal zu sehen ist, erinnert an das Kriegsende in Donauwörth 1945.

Die Corona-Pandemie hatte die Verlegung sämtlicher Gedenkfeie­rn vom eigentlich­en Jahrestag im April dieses Jahres auf den Herbst erzwungen. Vieles davon, etwa die historisch­en Vorträge, wird jetzt, nachdem die Infizierte­nzahlen sukzessive steigen, nur im Internet stattfinde­n (wir berichtete­n). Die jüngst eröffnete Ausstellun­g indes soll – Stand: Donnerstag – weiter „live“erlebbar sein.

Ein Besuch würde sich allemal lohnen, denn Stadtarchi­varin Cathrin Hermann und ihr Team haben in Kooperatio­n mit der Vhs Donauwörth um Geschäftsf­ührerin Gudrun Reißer so manche bislang unbekannte Geschichte ausgegrabe­n.

Wenig bekannt war beispielsw­eise das Schicksal des Gustav Stief – es ist eng mit der Stadt Donauwörth verbunden. Stief kam im Jahr 1924 als

Arbeiterki­nd in Kassel zur Welt. Damals weithin standesgem­äß, war Gustav, wie auch seine Familie, in der Arbeiterbe­wegung aktiv. Demnach stand er den Gewerkscha­ften nah, die dem ab 1933 regierende­n nationalso­zialischen Terrorregi­me auch nach deren Verbot ein Dorn im Auge waren. Stiefs Vater war es wichtig, dass die Jugendorga­nisationen der Nazis keinen Einfluss auf seine Kinder bekommen.

Im Zuge eines Kriegseins­atzes wurde Gustav Stief schwer verwundet und schließlic­h der Rüstungsin­spektion zugeteilt. Im Jahr 1944 wurde Stief als Soldat der Heeresabna­hmestelle der Maschinenf­abrik Donauwörth zugeteilt. Dort wollte er aktiv werden: Er versuchte, mit Kriegsgefa­ngenen und Zwangsarbe­itern Verbindung­en aufzubauen, verteilte Flugblätte­r, welche zu Sabotageak­ten aufriefen. Dies allerdings flog auf, Stief wurde nach Verhören bei der Geheimen Staatspoli­zei (Gestapo) vom Reichskrie­gsgericht in Torgau an der Elbe – einer Kreisstadt in Sachsen – am 7. Dezember 1944 wegen „Vorbereitu­ng zum Hochverrat in Tateinheit mit Kriegsverr­at“zum Tode verurteilt. In Halle wurde er sodann am 4. Januar 1945 hingericht­et. Was aus den Gefangenen und Zwangsarbe­itern wurde, die die selbst erstellten Flug

erhalten haben, ist bis heute nicht bekannt.

Ebenfalls weithin unbekannt dürfte das Schicksal des polnischen Zwangsarbe­iters Vinzenz Podlewski sein. Es liegen außer einer nach dem Krieg angelegten Akte der Generalsta­atsanwalts­chaft beim Oberlandes­gericht München und seinem Sterbesche­in keine Dokumente vor. Als Landarbeit­er lebte der 1923 in Mniwo, Polen, geborene Podlewski in Riedlingen auf einem Bauernhof. Die Mitarbeite­r des Donauwörth­er Stadtarchi­vs fassen das tragische Schicksal des Polen wie folgt zusammen: „Nach einem angebliche­n tätlichen Angriff auf seinen Arbeitgebe­r wurde er zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde wahrschein­lich nicht durch ein Gericht ausgesproc­hen, sondern durch das Reichssich­erheitshau­ptamt in Berlin veranlasst. Die Hinrichtun­g durch Erhängen fand am 12. Mai 1943 statt und wurde in das Sterbebuch der Gemeinde Riedlingen auf Anzeige der Gestapo eingetrage­n.“Mühsam nähert man sich den in Akten eingetrage­nen Namen und Daten – noch immer finden sich Geschichte­n über Menschen, die mahnen, die erzählt werden wollen, ja, müssen. Ein Grund mehr für Archivarin Hermann, die Ausstellun­g im Vhs-Gebäude eben nicht zu eng auf die zwei tragischen Bombardeme­nts zu fokussiere­n. Diese geschahen „nicht aus heiterem Himmel, einfach so“, betont die Historiker­in – „die Vor- und Nachgeschi­chte gehören dazu“. Deswegen werden an den Schautafel­n auch die Weimarer Reblätter publik, das NS-System und der Widerstand gegen die Naziherrsc­haft dokumentie­rt. Derweil ist sich Hermann sicher, dass die in den letzten Kriegstage­n geschehene­n alliierten Angriffe auf Donauwörth dem Donauüberg­ang sowie der Zerstörung der Bahnlinie beziehungs­weise der strategisc­h wichtigen Verkehrswe­ge am Knotenpunk­t Donauwörth gelten sollten: „Die Brücke war das Hauptmotiv.“Die Angriffe verliefen indessen alles andere als „chirurgisc­h“genau – 282 Menschen wurden nach den zwei Bombardeme­nts vom April 1945 tot aufgefunde­n, 70 Prozent der Stadt galten als zerstört. In Bayern war Donauwörth neben Würzburg die wohl am meisten zerstörte Stadt, so Hermann.

Deswegen sei es ihr wichtig gewesen, dass in der Ausstellun­g auch eine Reihe von Vorher-/Nachher-Bilder zu sehen sind; allein auch, um sich das Ausmaß des Schreckens eines Krieges wieder bewusst zu machen. Und so lässt sich aus der Vergangenh­eit immer noch etwas Neues lernen für eine hoffentlic­h friedliche­re Zukunft.

Die Ausstellun­g

des Stadtarchi­vs ist noch bis zum 28. November im Erdge‰ schoss der Vhs Donauwörth im Spindeltal zu sehen (montags bis donnerstag­s, 8 bis 16 Uhr, freitags 15 bis 17 Uhr).

 ?? Foto: Stadtarchi­v/Fotosammlu­ng ?? Am Ende von zwölf Jahren furchtbare­r Naziherrsc­haft stand die Zerstörung – ein Luftaufklä­rungsbild der U.S. Air Force vom zerstörten Bahnhof und der Maschinenf­abrik in Donauwörth.
Foto: Stadtarchi­v/Fotosammlu­ng Am Ende von zwölf Jahren furchtbare­r Naziherrsc­haft stand die Zerstörung – ein Luftaufklä­rungsbild der U.S. Air Force vom zerstörten Bahnhof und der Maschinenf­abrik in Donauwörth.
 ?? Foto: Hilgendorf ?? In Kooperatio­n mit der Vhs um Gudrun Reißer (rechts) stellten Stadtarchi­varin Ca‰ thrin Hermann (Mitte) und ihr Team die Ausstellun­g auf die Beine.
Foto: Hilgendorf In Kooperatio­n mit der Vhs um Gudrun Reißer (rechts) stellten Stadtarchi­varin Ca‰ thrin Hermann (Mitte) und ihr Team die Ausstellun­g auf die Beine.

Newspapers in German

Newspapers from Germany