Unbekannte Schicksale des Naziterrors
Die neue Ausstellung des Donauwörther Stadtarchivs im Vhs-Gebäude zeigt auch neue Forschungsergebnisse zur lokalen NS-Geschichte
Donauwörth Vor 75 Jahren war Donauwörth am Boden. Getroffen und ausgezehrt wie wohl seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Amerikanische Bomber hatten bei dem Versuch, die Donaubrücke aus der Luft zu zerstören, weite Teile der Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. Eine Ausstellung, die aktuell im VhsGebäude im Spindeltal zu sehen ist, erinnert an das Kriegsende in Donauwörth 1945.
Die Corona-Pandemie hatte die Verlegung sämtlicher Gedenkfeiern vom eigentlichen Jahrestag im April dieses Jahres auf den Herbst erzwungen. Vieles davon, etwa die historischen Vorträge, wird jetzt, nachdem die Infiziertenzahlen sukzessive steigen, nur im Internet stattfinden (wir berichteten). Die jüngst eröffnete Ausstellung indes soll – Stand: Donnerstag – weiter „live“erlebbar sein.
Ein Besuch würde sich allemal lohnen, denn Stadtarchivarin Cathrin Hermann und ihr Team haben in Kooperation mit der Vhs Donauwörth um Geschäftsführerin Gudrun Reißer so manche bislang unbekannte Geschichte ausgegraben.
Wenig bekannt war beispielsweise das Schicksal des Gustav Stief – es ist eng mit der Stadt Donauwörth verbunden. Stief kam im Jahr 1924 als
Arbeiterkind in Kassel zur Welt. Damals weithin standesgemäß, war Gustav, wie auch seine Familie, in der Arbeiterbewegung aktiv. Demnach stand er den Gewerkschaften nah, die dem ab 1933 regierenden nationalsozialischen Terrorregime auch nach deren Verbot ein Dorn im Auge waren. Stiefs Vater war es wichtig, dass die Jugendorganisationen der Nazis keinen Einfluss auf seine Kinder bekommen.
Im Zuge eines Kriegseinsatzes wurde Gustav Stief schwer verwundet und schließlich der Rüstungsinspektion zugeteilt. Im Jahr 1944 wurde Stief als Soldat der Heeresabnahmestelle der Maschinenfabrik Donauwörth zugeteilt. Dort wollte er aktiv werden: Er versuchte, mit Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern Verbindungen aufzubauen, verteilte Flugblätter, welche zu Sabotageakten aufriefen. Dies allerdings flog auf, Stief wurde nach Verhören bei der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) vom Reichskriegsgericht in Torgau an der Elbe – einer Kreisstadt in Sachsen – am 7. Dezember 1944 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Kriegsverrat“zum Tode verurteilt. In Halle wurde er sodann am 4. Januar 1945 hingerichtet. Was aus den Gefangenen und Zwangsarbeitern wurde, die die selbst erstellten Flug
erhalten haben, ist bis heute nicht bekannt.
Ebenfalls weithin unbekannt dürfte das Schicksal des polnischen Zwangsarbeiters Vinzenz Podlewski sein. Es liegen außer einer nach dem Krieg angelegten Akte der Generalstaatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht München und seinem Sterbeschein keine Dokumente vor. Als Landarbeiter lebte der 1923 in Mniwo, Polen, geborene Podlewski in Riedlingen auf einem Bauernhof. Die Mitarbeiter des Donauwörther Stadtarchivs fassen das tragische Schicksal des Polen wie folgt zusammen: „Nach einem angeblichen tätlichen Angriff auf seinen Arbeitgeber wurde er zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde wahrscheinlich nicht durch ein Gericht ausgesprochen, sondern durch das Reichssicherheitshauptamt in Berlin veranlasst. Die Hinrichtung durch Erhängen fand am 12. Mai 1943 statt und wurde in das Sterbebuch der Gemeinde Riedlingen auf Anzeige der Gestapo eingetragen.“Mühsam nähert man sich den in Akten eingetragenen Namen und Daten – noch immer finden sich Geschichten über Menschen, die mahnen, die erzählt werden wollen, ja, müssen. Ein Grund mehr für Archivarin Hermann, die Ausstellung im Vhs-Gebäude eben nicht zu eng auf die zwei tragischen Bombardements zu fokussieren. Diese geschahen „nicht aus heiterem Himmel, einfach so“, betont die Historikerin – „die Vor- und Nachgeschichte gehören dazu“. Deswegen werden an den Schautafeln auch die Weimarer Reblätter publik, das NS-System und der Widerstand gegen die Naziherrschaft dokumentiert. Derweil ist sich Hermann sicher, dass die in den letzten Kriegstagen geschehenen alliierten Angriffe auf Donauwörth dem Donauübergang sowie der Zerstörung der Bahnlinie beziehungsweise der strategisch wichtigen Verkehrswege am Knotenpunkt Donauwörth gelten sollten: „Die Brücke war das Hauptmotiv.“Die Angriffe verliefen indessen alles andere als „chirurgisch“genau – 282 Menschen wurden nach den zwei Bombardements vom April 1945 tot aufgefunden, 70 Prozent der Stadt galten als zerstört. In Bayern war Donauwörth neben Würzburg die wohl am meisten zerstörte Stadt, so Hermann.
Deswegen sei es ihr wichtig gewesen, dass in der Ausstellung auch eine Reihe von Vorher-/Nachher-Bilder zu sehen sind; allein auch, um sich das Ausmaß des Schreckens eines Krieges wieder bewusst zu machen. Und so lässt sich aus der Vergangenheit immer noch etwas Neues lernen für eine hoffentlich friedlichere Zukunft.
Die Ausstellung
des Stadtarchivs ist noch bis zum 28. November im Erdge schoss der Vhs Donauwörth im Spindeltal zu sehen (montags bis donnerstags, 8 bis 16 Uhr, freitags 15 bis 17 Uhr).