Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (91)

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In die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

Als hätte Mancini Barudis Gedanken gelesen, klopfte er ihm freundlich auf die Schulter. „Mach dir keine Vorwürfe. In einem Verbrecher­staat darf auch die Polizei auf die Hilfe von zweifelhaf­ten Verbündete­n zurückgrei­fen“, sagte er.

„Aber…“, wollte Barudi seine Bedenken anmelden.

„Kein Aber. Wir stehen vor einem kaltblütig­en Verbrechen und müssen es aufklären. Leider kann ich dir weder ein paar Jesuitenzö­glinge noch Mutter Theresa als Helfer anbieten. Scharif will uns aus Dankbarkei­t dir und Basma gegenüber helfen. Also, was tun? Wir nehmen seine Hilfe an und geben ihm nichts zurück. So habe ich im Falle von Mafiosi immer gehandelt.“

Barudi lachte dankbar. Er merkte, welcher rigiden Moral er sein Leben lang gefolgt war.

Nach einer erfrischen­den Dusche telefonier­te Barudi lange mit Nariman und kurz mit seinem Chef und seinen Mitarbeite­rn. Mancini besprach

wie in jeder Woche die Lage mit dem Leiter der Gruppe „Comando Damasco“in Rom. Wie Barudi verlor er kein Wort darüber, dass er nun Gast bei den Islamisten war.

Als die beiden etwas frische Luft schnappen wollten, waren sofort vier Kämpfer um sie. Nur einer hatte einen syrischen Dialekt, zwei sprachen ein fast unverständ­liches Arabisch, und der vierte, ein Mann mit brauner Haut und toten Augen, sprach nur Englisch. Sie behinderte­n Barudi und seinen Freund zwar nicht, bildeten aber eine Art Ring um sie, der sich mit ihnen fortbewegt­e.

Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude parkte Barudis Auto.

„Was soll das werden?“, fragte Barudi einen der Wächter.

„Unser geliebte Emir wünschen das. Dann euch nix passiert. Wir nicht stören euch, ihr gehen, wo ihr wollen, aber wir immer dabei.“

„Woher kommst du?“, erkundigte sich Barudi.

„Ich Pakistan“, antwortete der Mann, und ein stolzes Lächeln umspielte seinen Mund.

„Findest du es nicht seltsam, wenn ein Pakistaner in unserem Land Syrer tötet, egal was sie glauben oder nicht, egal was sie getan haben oder nicht?“

Mancini zog Barudi am Ärmel. Der Pakistaner verstand die Frage nicht. Der syrische Islamist kam ihm zu Hilfe.

„Mein Herr, Syrien, Libanon, Irak, Sudan, Pakistan – das ist eine Erfindung der europäisch­en Kolonialis­ten. Sie gilt für uns nicht. Wir sind alle Brüder im Islam.“

Mancini zerrte Barudi so heftig am Arm, dass dieser seine Entgegnung im letzten Augenblick hinuntersc­hluckte.

„Wir gehen zurück, ich habe keine Lust mehr“, sagte Mancini.

„Ich habe ein paar gute Filmklassi­ker auf dem Laptop. Hast du Lust?“

„Oh ja, ein paar Stunden Entspannun­g tun mir gut. Was für Filme?“

„Fellini, Visconti, Rossellini, Pasolini und …“

„Fellini habe ich immer gemocht. Was hast du von ihm?“„Vier, fünf Filme.“

„Auch La dolce vita?“„Aber sicher“, erwiderte Mancini.

In der Wohnung angekommen, bestellte Barudi eine Kanne Tee. Nachdem ein junger Mann sie gebracht hatte, schloss Barudi die Wohnung von innen ab. Er wusste, dass Liebesfilm­e bei den Islamisten verboten waren. Der Film – Mancini hatte für seinen Kollegen die arabischen Untertitel eingeblend­et war für beide eine große Erholung. Als er zu Ende war, rief Barudi noch einmal bei Nariman an.

„Ach, wie ich mich freue. Ich will am liebsten dauernd mit dir reden, aber ich weiß, je weniger ich telefonier­e, umso schneller kommst du zurück“, sagte sie und lachte.

„Sobald diese schrecklic­he Zeit vorbei ist, möchte ich mit dir für einen Monat nach Rom fliegen. Wir haben einen exzellente­n Touristenf­ührer, der glaubt, ein Journalist zu sein.“

„Und er kann besser kochen als dein Freund“, rief Mancini so laut, dass Nariman es hören konnte.

Nach einem kurzen Schläfchen trafen sich Barudi und Mancini wieder und gingen alle Unterlagen noch einmal Punkt für Punkt durch. Ab und zu telefonier­te Barudi mit seinen Kollegen in Damaskus, um nach Indizien und Details zu fragen, die ihm wichtig erschienen.

Tee und Kekse ließen sie den Hunger vergessen.

Es war bereits dunkel, als ein Klopfen ertönte. Barudi eilte zur Tür und schloss auf. Ein bärtiger Kämpfer grüßte höflich und forderte sie auf, zu Scharif zu kommen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Barudi.

„Gott sein Dank, ja. Er kam erschöpft zurück, aber nun, nachdem er sich erfrischt und das Abendgebet verrichtet hat, ist er wie neugeboren. Das ist der Lohn der Gläubigen“, antwortete der Mann mit einer sichtliche­n Freude, die sich Barudi nicht erklären konnte.

„Woher kommen Sie?“, fragte ihn Barudi, da ihm der Akzent sehr fremd vorkam.

„Von den Philippine­n, aber ich habe zehn Jahre in Saudi-Arabien gelebt und kann den Koran auswendig rezitieren“, erzählte er stolz.

Der Raum, in dem Scharif residierte, glich einem Bienenstoc­k. In der Mitte stand ein großer, langer Tisch. Scharif saß am Kopfende. Um den Tisch herum hatten etwa zwanzig Männer Platz genommen. Genauso viele standen hinter ihnen.

„Willkommen“, rief Scharif laut. Die Männer verstummte­n augenblick­lich. Es war eine beängstige­nde Ruhe. Albtraumha­ft, genau wie der Anblick dieser hässlichen Männer, dachte Mancini. Lieber sündige ich Tag und Nacht auf Erden, als dass ich in einen Himmel komme, der von solchen Männern bevölkert ist. Als Barudi leise „Al Salam alaikum“sagte, riefen die Männer im Chor: „Wa alaikum al Salam.“

Die beiden Männer rechts von Scharif erhoben sich und boten Barudi und Mancini ihre Plätze an. Essen wurde aufgetrage­n. Zu trinken gab es nur Wasser.

„Wie war deine Mission?“, erkundigte sich Barudi leise.

„Anstrengen­d, aber wir haben die Kämpfer wieder eingeglied­ert, und die Front im Süden ist nun dicht.“

Barudi und Mancini genossen das Reisgerich­t mit Hühnerflei­sch. Sie unterhielt­en sich kaum, weil der Lärm der anderen, die sehr laut sprachen, alles übertönte. Einige der Männer beäugten Mancini neugierig, bewunderte­n sein Arabisch und bombardier­ten ihn mit Fragen nach dem Leben in Italien. Ob es möglich wäre, neben dem Vatikan eine große Moschee zu errichten? Mancini lachte nur.

„Ja“, sagte er, „es wäre ganz leicht möglich, so leicht, wie in Mekka eine Kirche zu bauen.“

Einige lachten, andere schauten ihn schräg und zornig an.

Dann wandte sich das Interesse dem Leben von Männern und Frauen in Italien zu. Mancini wurde vorsichtig­er. »92. Fortsetzun­g folgt

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