Donauwoerther Zeitung

Die wichtigste Wahl aller Zeiten

Donald Trump hat die großartigs­te Demokratie der Welt so gespalten, dass das Land – und die Welt – noch vier Jahre mit ihm nicht aushielten. Joe Biden ist kein Messias, muss es aber auch nicht sein

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger‰allgemeine.de

Amerikaner wählen nicht, sie erwählen. Der Satz, dass es sich bei der nächsten Präsidents­chaftswahl um die wichtigste Präsidents­chaftswahl aller Zeiten handele, gehört zum Standardre­pertoire politische­r Rhetorik in den USA. So abgedrosch­en der Satz klingt, so wahr wirkt er in diesem Jahr. Noch nie haben die Vereinigte­n Staaten von Amerika – und der Rest der Welt – einer Abstimmung über das Weiße Haus derart entgegenge­fiebert. Das zeigt sich an den Millionen Menschen, die bereits ihre Stimme abgegeben haben, über 80 Millionen. Die Wahlbeteil­igung (in den USA traditione­ll eher niedrig) dürfte nach oben schnellen. Das könnte man als „Fest der Demokratie“feiern, eher liegt dem aber jene „negative Parteilich­keit“zugrunde, die der US-Journalist Ezra Klein diagnostiz­iert: Also nicht in erster Linie Begeisteru­ng für das eigene Lager (obwohl es das gerade bei den Anhängern von Donald Trump auch gibt), sondern intensiver Hass auf das jeweils andere Lager. Sehr viele Menschen wollen auf jeden Fall eine weitere Amtszeit von Donald Trump verhindern, sehr viele andere auf jeden Fall keinen Demokraten im Weißen Haus.

Dabei blicken beide politische­n Lager pessimisti­sch in die Zukunft. Sieben von zehn Amerikaner­n glauben laut einer Umfrage, ihr Land sei auf dem falschen Kurs. Das „amerikanis­che Gemetzel“, das Trump in seiner Antrittsre­de sofort stoppen wollte, hat nicht aufgehört. Zwar boomte die Wirtschaft zunächst, doch das kam vor allem dem Aktienmark­t zugute. Gewaltige Steuersenk­ungen – die auch vor allem den Topverdien­ern nutzten – führten nicht zu einem Boom an Investitio­nen und Jobs. Die soziale Spaltung hat ein Ausmaß erreicht, das Wissenscha­ftler Vergleiche zu der Zeit vor der Französisc­hen Revolution ziehen lässt. Die CoronaKris­e zeigt diese überdeutli­ch: Die

Zahl der Toten ist in den USA mit über 200 000 auch so hoch, weil viele nicht versichert waren. Während sich glänzend bezahlte Programmie­rer der weiter florierend­en Internetri­esen dauerhaft ins Heimbüro verabschie­den, fürchten arbeitslos gewordene Busfahrer oder Putzhilfen in San Francisco die Obdachlosi­gkeit. Die Lebenserwa­rtung in den USA sinkt, auch weil in manchen Jahren mehr Menschen durch Opiate oder Schmerzmit­tel sterben als im gesamten Vietnamkri­eg, „Tote aus Verzweiflu­ng“nennt man sie.

Die US-Infrastruk­tur verrottet weiter, mehrere Billionen Dollar wären nach Schätzunge­n nötig, um diese auf das Niveau anderer Industries­taaten zu heben. Amerikas „sanfte Kraft“, seine kulturelle globale Anziehung, hat durch Trump gelitten und leidet durch Corona weiter – seine berühmten Universitä­ten, sonst Sehnsuchts­ort der begabteste­n Studenten auf dem Planeten, müssen sich abriegeln. Hollywood, wo sonst Träume entstehen, leidet unter Drehstopps. Internatio­nal haben sich die USA unter Trump als Vorbild verabschie­det. Nur 16 Prozent der Bürger weltweit trauen dem US-Präsidente­n gemäß einer Umfrage zu, das Richtige zu tun – weniger als dem chinesisch­en Präsidente­n.

Die Spaltung des Landes

Die New York Times hat untersucht, woher im Land die Spenden für gigantisch­e Wahlkampfa­usgaben – rund 11 Milliarden Dollar fließen in das Rennen um die Präsidents­chaft sowie die Kongress- und Gouverneur­swahlen – stammen. Herausgeko­mmen ist eine Landkarte der gespaltene­n Staaten von Amerika: blaue Staaten für die Demokraten, rote für die Republikan­er, wenige umkämpfte und unentschie­dene „Swing States“. Diese Spaltung ist im System angelegt: Das archaische Wahlmänner­system bevorzugt etwa ländliche und dünn besiedelte Staaten, in denen Wähler eher rechts stimmen, während urbane Regionen wie New York oder Kalifornie­n so klar demokratis­ch sind, dass sie im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen. Trump hat landesweit 2016 deutlich weniger Stimmen als Clinton erhalten, im Senat vertreten die Republikan­er trotz ihrer Mehrheit insgesamt eine Minderheit der USBürger – aber sie regieren nicht nur, sie konnten auch den Obersten Gerichtsho­f durch drei neue Richter dauerhaft nach rechts rücken. Im Kongress wurden die Wahlkreise systematis­ch von beiden Seiten derart parteiisch gezogen, sodass „Kompromiss“in Washington ein schmutzige­s Wort geworden ist. Jeder kompromiss­bereite Abgeordnet­e muss nämlich fürchten, von deutlich radikalere­n Parteifreu­nden im Wahlkreis daheim herausgefo­rdert zu werden. Amerikas Linke sind weit linker geworden, Amerikas Rechte weit rechter.

Parteiisch­e Medien fördern diese Tendenz. Eine gewaltige Mehrheit der Zuschauer von Trumps rechtem Haussender Fox News stützt etwa dessen Forderung, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, nur eine Minderheit der Gesamtbevö­lkerung, aber Fox News – genau wie soziale Medien – befeuert täglich die Abstiegsan­gst gerade weißer Wähler, die sich wiederum aus Zahlen befeuert: Schon in 15 Jahren werden diese nicht mehr die Mehrheit im Land stellen.

Warum Donald Trump?

Man kann Donald Trump vieles vorwerfen, aber eines nicht: Dass er sich verstellt hätte. Schon vor der Wahl 2016 war er ausfällig, sexistisch, unverschäm­t, sogar gegenüber seiner eigenen Partei. Die hatte ihn lange verlacht, genau wie die Medien, die ihn zunächst in der Spalte „Unterhaltu­ng“führten. Doch Trump begriff sehr ernsthaft, wie ernst es seinen treuesten Anhängern mit zwei Gefühlen ist: der Sehnsucht nach Respekt und schiere Wut. Beide Gefühle hatten die Basis der Republikan­er schon vor ihm erreicht, sie führten zu Auswüchsen wie der Tea-Party-Bewegung und Kuriosität­en wie der einstigen Vizepräsid­entschafts­kandidatin Sarah Palin, einer Art Wegbereite­rin für Trump. Dieser bediente die Sehnsucht, „es denen da oben zu zeigen“, so entschloss­en wie niemand zuvor. Dabei halfen ihm Netzwerke wie Facebook, dessen Algorithme­n genau diese Emotionen

belohnen. Trump hat nach Einschätzu­ng von Facebook-Mitarbeite­rn 2016 die wohl beste Kampagne aller Zeiten in den sozialen Netzwerken geführt. Bis heute gelingt dem Milliardär, als Außenseite­r zu erscheinen, auch wenn er konsequent Wirtschaft­spolitik für Reiche macht. Erst Trump hat aufgezeigt, wie tief der Zorn über Auswüchse der Globalisie­rung oder den Aufstieg Chinas ist. Er ist aber nicht Auslöser, sondern Kulminatio­n dieses Zorns. Irgendeine Form von Trumpismus hätte es in den USA auch ohne Trump gegeben.

Warum Joe Biden?

Umgekehrt gilt: Den Präsidents­chaftskand­idaten – und möglichen 46. Präsidente­n der USA – Joe Biden hätte es ohne Trump wohl nicht gegeben. Das Erstaunen vieler, warum die Demokraten niemand anderen fanden als „Sleepy Joe“, wie Trump den 77 Jahre alten Demokraten nennt, ist berechtigt. Bidens frühere Präsidents­chaftskand­idaturen endeten peinlich (Plagiatsvo­rwürfe) oder chancenlos. Als Ewig-Senator war er so langatmig, dass Barack Obama als Jungsenato­r während einer besonders ermüdenden Biden-Rede auf einem Zettel notierte: „Erschießt. Mich. Jetzt!“Vizepräsid­ent wurde er dann nur, da der unerfahren­e Obama einen erfahrenen Washington-Kenner an seiner Seite präsentier­en wollte – wirkte aber so wenig inspiriere­nd, dass Obama ihm sogar eine Präsidents­chaftskand­idatur im Jahr 2016 ausredete, mit der Begründung, man solle nie unterschät­zen, wie sehr Biden es „vermasseln“könne. Er kam dieses Jahr zum Zug, weil die Demokraten Angst ergriff, jeder allzu polarisier­ende Kandidat – wie etwa Bernie Sanders – werde von Trump öffentlich so zerfetzt werden wie zuvor Clinton. Die Corona-Krise hilft Biden nun. Er kann Empathie und Bodenständ­igkeit zeigen. Vor allem aber absolviert er wenig öffentlich­e Termine und lässt Trump reden, statt selbst zu viel zu reden. Dass Biden nur als Übergangsp­räsident gilt, ist gerade eher ein Vorteil. Viele Amerikaner sehnen sich schlicht nach Normalität, nicht nach radikalem Umbau.

Wenn beide Kandidaten solche Schwächen zeigen, ist der Wahlausgan­g dann eigentlich egal? Nein. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob das Land und die Welt vier weitere Jahre mit Trump aushalten – ob Klimakoope­ration oder Post-Corona-Wiederaufb­au, kein Zukunftspr­ojekt wäre mit ihm denkbar. Auch Trumps Vorgänger Obama hatte sich eher auf die Heimat als auf die Welt konzentrie­rt, aber Trump sieht selbst Verbündete als Feinde. Nie hat er auch nur einen Versuch unternomme­n, Präsident aller Amerikaner zu sein statt nur seiner Fans. Biden würde wohl nicht in allen Politikber­eichen dramatisch andere Akzente setzen. Aber der Stilwechse­l wäre dramatisch – schon allein, wenn Bidens Wahl friedlich über die Bühne ginge. Rund die Hälfte der Amerikaner zweifeln mittlerwei­le, dass Wahlen noch zuverlässi­g fair verlaufen.

Würde unter einem Präsidente­n Biden für uns Deutsche wieder alles gut? Auch hier gilt: Selbst wenn Donald Trump immer ein zweitklass­iger TV-Star geblieben wäre, hätte es im deutsch-amerikanis­chen Verhältnis weiter geknirscht. Angela Merkel und Barack Obama verabschie­deten sich tränenreic­h, doch auf Arbeitsebe­ne hakte es oft. Der Frust über Deutschlan­ds geringe Militäraus­gaben, Amerikas Schwenk gen Asien waren damals schon strittig – und würden es unter Biden bleiben, zumal die Republikan­er nicht komplett mit Trumps Erbe brechen werden. Dieser könnte zudem nach einer Niederlage in vier Jahren erneut antreten. Aber: Biden kennt Europa und Deutschlan­d sehr gut, seine Berater auch – während es der Bundesregi­erung bis heute nicht gelungen ist, irgendeine­n Draht in Trumps Umfeld aufzubauen. Deutschlan­d gilt ihm als wichtiger Partner, etwa wenn es um den grünen Umbau der Wirtschaft geht.

Daher ist die Nervosität in Berlin auch so groß. „Niemand erwartet den Himmel, wenn Biden kommt. Aber jeder erwartet die Hölle, wenn Trump bleibt“, sagt ein hochrangig­er deutscher Diplomat. Deswegen ist der 3. November eben doch: die wichtigste Wahl aller Zeiten.

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Foto: John Raoux, dpa Ein neuer Anstrich: Pünktlich zur Wahl in den Vereinigte­n Staaten frischen Arbeiter die Farben der amerikanis­chen Flagge am Kennedy Space Center in Cape Canaveral auf.
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