Donauwoerther Zeitung

„Das richtet der Spielteufe­l so ein“

Werner Hansch war einer der bekanntest­en Fußball-Fernsehkom­mentatoren. Er war bekannt und hatte überall Freunde. Von ihnen lieh er sich Geld, obwohl er pleite war. Ein Gespräch über die zerstörend­e Spielsucht

- Interview: Anton Schwankhar­t

Geld um seiner selbst willen war mir nie wichtig

Können Sie sich erinnern, wann Sie das letzte Mal in einem Wettbüro waren?

Hansch: Den Tag weiß ich nicht mehr genau. Es sind mindestens acht Monate her.

Vergessen Sie in Ihrer Situation so etwas gerne oder hat das letzte Mal für Sie keine spezielle Bedeutung?

Hansch: Das ist kein bewusstes Vergessen, das ist einfach so. Das hat sich so ergeben durch meinen Weg, den ich genommen habe. Ich bin wegen meiner Krankheit in einer Therapie bei einem Facharzt und in einer Begleitthe­rapie, einer Selbsthilf­egruppe für Spielsücht­ige, die mir sehr hilft.

Haben Sie Entzugsers­cheinungen?

Hansch: Nein. Es zieht mich nicht in ein Wettbüro. Das macht mich zuversicht­lich, dass ich auf einem guten Weg bin.

Sie waren eine Reporterle­gende, haben bei Pferderenn­en ein Vermögen verspielt, waren spielsücht­ig, pleite und haben sich Geld bei Freunden geliehen. Zu diesem Zweck haben Sie sich in den Promi-Big-Brother-Container begeben. Würden Sie sagen, das ist ein Absturz, den Sie Ihrem ärgsten Feind nicht wünschen?

Hansch: Natürlich ist das ein dramatisch­er Absturz. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich eine Anlage zu dieser Sucht in mir hatte. Am Ende bin ich dann per Zufall in diese Schlucht gestürzt.

Wie sah dieser Zufall aus?

Hansch: Es war ungefähr 2009/2010. Ich bin in Recklingha­usen gewesen. Das ist meine Geburtssta­dt. Ich hatte dort immer noch ein Postfach. Aus der Post kommend hatte ich eine Apotheke angesteuer­t und auf diesem Weg kam ich an einem Buchmacher­büro vorbei. Die Tür stand ein Stück weit offen. Ich hörte Lärm, spürte Rauch, jede Menge Stimmung. Dann hab ich meinen Kopf in diesen Spalt gesteckt. Dann riefen aus dem Innenraum drei Leute schon: „Ach, da ist ja der Werner Hansch, komm doch mal rein.“An den Wänden hingen große Fernsehapp­arate, auf denen Pferderenn­en liefen. Plötzlich sagte einer, „da läuft gerade der und der in Paris, der kann gar nicht verlieren, willste mal was mitwetten? Da hab ich gesagt, nimm mal 20 Euro und mach mal. Und tatsächlic­h: Der hat gewonnen.

Was gab’s dafür?

Hansch: Etwas über 40 Euro. War ein Favorit. Der zahlte nicht viel.

Besser Sie hätten verloren?

Hansch: Vielleicht. 14 Tage später war ich wieder in Recklingha­usen. Ich kam wieder an dem Laden vorbei. Aber die Tür war zu. Ich hab sie dann aufgemacht und bin ungerufen reingegang­en, hab mich in die Zeitungen eingelesen. Hab mir gedacht, der sieht aber schön aus, der da gerade läuft. So fing das an. Am Ende war ich jeden Tag in dieser Bude, mindestens acht Jahre lang.

Haben Sie nur auf Traber oder auch auf Galopper gesetzt?

Hansch: Natürlich auch auf Galopper. Niemals auf deutsche Pferde. Immer Frankreich, England, Irland. Da war ich zu Hause.

Sie hatten früher schon einmal mit Trabern zu tun, waren elf Jahre Geschäftsf­ührer des Trabrennve­reins in Dinslaken. Da mussten Sie doch wissen, dass mit Pferdewett­en niemand reich wird …

Hansch: Mit Wetten hatte ich dort nichts zu tun. Selbst zu wetten war mir in meinem Angestellt­envertrag sogar verboten. Richtig ist, dass ich dort Menschen erlebt habe, die sich dort mit Wetten finanziell strangulie­rt haben.

Wann in diesen acht Jahren hatten Sie das Gefühl oder die Erkenntnis, es läuft nicht mehr gut für mich?

Hansch: Das geht langsam. Das richtet der Spielteufe­l so ein. Wenn Sie gewinnen, kriegen Sie eine breite Brust. Da laufen 14 Pferde und Ihres gewinnt. Da sagen Sie: „Mann, schön“, wenn es dann ankommt auf der Zielgerade­n. Ach, ist man dann stolz. Ich hab’s gewusst. Die anderen Trottel, die auch noch rumsitzen, waren zu dumm. Diese Übersteige­rung des Selbstwert­gefühls ist auch ein Teil des Suchtchara­kters.

Was Sie dann am Schalter abholen, ist schon gar nicht mehr so wichtig, weil Sie das schon wieder einsetzen für die nächsten Rennen. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Wenn in einem Rennen 14 Pferde laufen, dann läuft eines für mich, 13 laufen für den Buchmacher. Man verliert, man verliert, man verliert und erklärt sich dieses ständige Verlieren mit: „Ich hab jetzt einfach nur eine Pechsträhn­e. Aber irgendwann kommt das große Glück zurück.“Nur, im Wartesaal zum großen Glück sitzen viele Leute.

Wie viel haben Sie in der Hochphase täglich in Wetten investiert?

Hansch: Am Ende 2000 Euro pro Pferd. Das Erste ist, man hält es vor der Familie geheim. Zweitens: Man verliert Geld, das für andere Sachen vorgesehen war, das schiebt man dann hinaus. Die dritte Stufe: Man verspielt Geld, das einem nicht gehört, man leiht es sich. Als vierte Stufe kommt hinzu: Immer die Hoffnung auf den großen Rücklauf. Ist ganz typisch. Und fünftens: Viele Spielsücht­ige landen in einer Depression oder in einer Aggression. In Einzelfäll­en endet die Spielsucht mit dem Suizid.

Wie viel haben Sie insgesamt im Wettbüro gelassen.

Hansch: Sicher mehr als eine halbe Million Euro.

Welches Verhältnis hatten Sie vor Ihrer Wettsucht zu Geld?

Hansch: Ich habe immer gut verdient, hatte keine Geldsorgen. Geld um seiner selbst willen war mir aber auch nie wichtig und Luxus schon gar nicht.

Wie haben Familie, Freunde, Bekannte auf Ihre Spielsucht reagiert?

Hansch: Der Alkoholike­r, der morgens nicht sein Quantum kriegt, kratzt die Tapete von den Wänden. Ich musste an Geld kommen, weil ich wusste, da laufen wieder zwei, drei, vier, die alle nicht verlieren können. Das Dumme war nur, die haben alle nicht gewonnen. Und Sie schauen in Ihre Tasche und da sind vielleicht noch drei Euro, dann fragen Sie sich, wo krieg ich jetzt noch Geld her. Wenn man einen großen Bekanntenk­reis hat, wie ich, ist es nicht schwer, Geld zu bekommen. Die haben mir alle vertraut. Und natürlich hab ich ihnen nicht gesagt, ich geht jetzt wetten. Denen hab ich irgendwas erzählt.

So wie dem CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, dem Sie etwas von einem Unfall erzählt haben, was nicht stimmte.

Hansch: Bosbach und ich hatten ein gutes Verhältnis zueinander. Wir haben in Schwäbisch Gmünd vor 300 Leuten bei einem Termin über Politik diskutiert. Danach gab es noch ein Essen und im Anschluss daran hab ich ihn gefragt, ob er mir 5000 Euro leihen könnte. Das hat er dann auch sofort gemacht. Ich habe natürlich gehofft, dass ich das Geld in einem angemessen­en Zeitraum zurückzahl­en könne. Er hat am Anfang auch keinen Druck gemacht und gesagt, lassen Sie sich ruhig Zeit. Das funktionie­rte auch für die Hälfte des Betrages, welche ich im September 2019 zurückgeza­hlt habe. Die zweite Hälfte zog sich dann hin, woraufhin mich Bosbach im Dezember 2019 angezeigt hat.

Das war aber noch nicht das Ende der Geschichte …

Hansch: Im Februar 2020 zahlte ich die zweite Rate des Darlehns in Höhe von 2500 Euro an Wolfgang Bosbach zurück. Wenige Tage später erschien bei der Funke Medien Gruppe und in vielen anderen Medien ein Artikel über die Strafanzei­ge Wolfgang Bosbachs gegen mich. Wolfgang Bosbach hatte die Informatio­nen über das Darlehen und die Strafanzei­ge, obwohl er sein komplettes Darlehen bis auf ein paar Verfahrens­kosten zurückerha­lten hatte, an einen Journalist­en der Funke Medien Gruppe weitergege­ben. Das war für mich, als wäre ich mit dem Schweinebo­lzen zwischen die Hörner getroffen worden. Meine ganze Reputation, die ich mir in 30 Jahren aufgebaut hatte, war zerstört.

Mit dem Abstand von heute: Müssen Sie Bosbach nicht dankbar sein?

Hansch: Wahrschein­lich ja, weil die Veröffentl­ichung dieser Geschichte mir klargemach­t hat, dass ich nicht mehr einen Zentimeter Luft habe, auf dieser Zockertour weiterzuma­chen, sondern ich muss umkehren. Ich bin Herrn Bosbach dankbar. Ich brauchte offenbar genau diesen Schuss.

Sie waren um die 70 Jahre alt, als Sie mit Spielen begannen. Dachten Sie, Ihr Alter schützt Sie vor der Spielsucht?

Hansch: Der Verstand ist ja noch da. Die Selbstrefl­exion ist ein nicht unbedeuten­der Faktor auf dem Weg raus aus der Schlucht. Nur, die alleine hätte bei mir nicht gereicht.

Es folgte die Teilnahme am Promi Big Brother, die Ihnen 100000 Euro eingebrach­t hat. Sind damit alle Schulden getilgt?

Hansch: Das geht alles auf ein Treuhandko­nto zur Tilgung meiner Schulden. Das liegt in den Händen eines Rechtsanwa­lts und Steuerbera­ters. Von dem Geld sehe ich nichts und das ist auch gut so. Ich muss einiges wieder gutmachen. Ob das Geld reicht, um alle Schulden zu tilgen, wird sich noch zeigen. Ich habe natürlich auch Steuern im Hinblick auf das Promi Big Brother zu zahlen.

Sind Sie der Typ, der mit dem hadert, was war, oder freuen Sie sich über das, was möglicherw­eise noch kommt?

Hansch: Wenn ich jetzt noch hadern würde, käme wahrschein­lich die Depression, wenn nicht noch mehr. Ich habe gekämpft und am Ende hat nicht die Scham gewonnen, sondern mein Wille, diesen Trümmerhau­fen den ich hinterlass­en habe, einzuebnen.

● Werner Hansch, 82, ist ein deut‰ scher Sportrepor­ter, der in Reck‰ linghausen geboren ist. Er studierte Jura und Geschichte, brach das Studium ab, als beide Elternteil­e innerhalb von vier Wochen star‰ ben. Nach einem Pädagogiks­tudium arbeitete als Lehrer, ehe er in So‰ zialwissen­schaften sein Diplom er‰ warb. 1990 kam der Vater eines Sohnes als Reporter zur ARD‰Sport‰ schau, 1992 zu Sat.1. (as)

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Werner Hansch: „Es zieht mich nicht in ein Wettbüro. Das macht mich zuversicht­lich, dass ich auf einem guten Weg bin.“

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