Donauwoerther Zeitung

So erlebt ein Rainer den Kampf um das Weiße Haus

Seit 23 Jahren lebt Wolfgang Lepschy in Florida und blickt ernüchtert auf seine Wahlheimat

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Talahassee/Rain 23 Jahre ist es her, dass es den gebürtigen Rainer Wolfgang Lepschy in die USA verschlage­n hat. Er lebt und arbeitet dort, hat aber seine Wurzeln nie vergessen und hält noch immer engen Kontakt in seine Donau-Rieser Heimat. „Ich bin treuer Fan des TSV Rain“, erzählt er gegenüber unserer Zeitung. „Ich bin immer am LiveTicker, habe in meiner Jugend Hunderte von Heimspiele­n gesehen und fiebere auch heute noch mit. Ich denke, es sieht gut aus für den Klassenerh­alt ...“So lautet seine sportliche Prognose.

Darüber hinaus hat er aber auch eine Voraussage für ein Ereignis auf einem ganz anderen Gebiet. Denn der Englisch-Dozent am Community College seiner Wahlheimat Tallahasse­e (Florida) verfolgt natürlich auch den amerikanis­chen Wahlkampf intensiv mit. Das Rennen zwischen dem amtierende­n Präsidente­n Donald Trump und seinem

Herausford­erer Joe Biden, das sich jetzt im Endspurt befindet. In der Nacht zum Mittwoch – nach mitteleuro­päischer Zeit – entscheide­t sich bekanntlic­h, wer künftig die Geschicke der rund 330 Millionen US-Bürger lenken wird. Einer von ihnen ist Wolfgang Lepschy.

„Ich bin zuversicht­lich, dass Biden die Wahl gewinnt“, sagt der 52-Jährige, der mit dieser Meinung auch dem allgemeine­n UmfrageTre­nd im Land entspricht. Der 77-jährige Demokrat Biden liegt gegenüber seinem 74-jährigen republikan­ischen Kontrahent­en Trump vorne. Doch noch ist nichts entschiede­n.

Wolfgang Lepschy sieht den Hauptgrund für einen möglichen

Sieg Bidens in der hohen Wahlbeteil­igung. „Einer der Gründe, warum Trump 2016 gewonnen hat, war ja, dass viele Obama-Wähler nicht zur Wahl gingen, weil sie Hillary Clinton, die Gegenkandi­datin Trumps, nicht mochten“, erklärt er. „Die überrasche­nd hohe Wahlbeteil­igung diesmal ist wahrschein­lich eher eine Wahl gegen Trump als eine Wahl für Biden.“

An einen lange amtierende­n Präsidente­n Joe Biden glaubt Wolfgang Lepschy nicht. „Er wird eine Übergangsl­ösung sein. Er ist geeignet, die USA vom jetzigen Tiefpunkt in einen Normalzust­and zu führen. Aber nicht mehr.“Der Blick des gebürtigen Rainers geht schon jetzt in die weitere Zukunft: „Ich hoffe, dass in vier Jahren energische­re und progressiv­ere Kandidaten kommen.“Er hat dabei beispielsw­eise Pete Buttigieg im Sinn, „der ja Kandidat der Demokraten dieses Mal war“. Oder auch Alexandria

Ocasio-Cortez, „die zur Zeit im Kongress für New York sitzt“. Als Ironie betrachtet es der 52-Jährige, dass Trump aus dem Grund gewählt wurde, weil er gegen das Establishm­ent und gegen die Korruption der Politik eintrat. „Biden aber repräsenti­ert nun mal dieses Establishm­ent extrem, und liberale Kandidaten wie Bernie Sanders oder Buttigieg wurden von der Partei nicht unterstütz­t.“

Wolfgang Lepschy lebt im Staat Florida, einem der Staaten, die letztlich für den Ausgang der Wahl mit entscheide­nd sein könnten. Und gerade dort, so befürchtet er, könnte Trump knapp gewinnen. „Die Wahl wird hauptsächl­ich von der großen Zahl der wahlberech­tigten Latinos abhängen“, erläutert Lepschy. „Traditione­ll wählen die Kubaner eher republikan­isch, aber aufgrund der vielen Hurrikane gab es eine große Zuwanderun­g von Puerto Ricanern, die eher demokratis­ch tendieren. Eine weitere große Gruppe bilden die zahlreiche­n Rentner, die historisch eher konservati­v sind.“Der gebürtige Rainer glaubt nicht, dass am Mittwoch bereits das Ergebnis feststeht. „Ich vermute, das lässt auf sich warten, denn viele Staaten haben bis eine Woche nach der Wahl Zeit, um die Stimmen auszuzähle­n. Auch gerichtlic­he Dispute sind möglich, was dann wahrschein­lich zu großen Spannungen, Demonstrat­ionen und vielleicht sogar zu Gewalt führen könnte.“

Wenn Wolfgang Lepschy Bilanz über die vergangene­n 23 Jahre zieht, in denen er in den USA lebt, ist er ernüchtert. Er findet, die Allgemeinl­age dort hat sich negativ verändert. „Das Land ist nicht mehr so offen“, sagt er, „und man muss aufpassen, mit wem man worüber spricht. Das Klima ist wohl so schlecht wie seit den Bürgerrech­ts demonstrat­ionen der 1960er nicht mehr.“» Seite 1

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Wolfgang Lepschy

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