Behäbiges Diebesgut mit dickem Panzer
Walter Müller besitzt über 100 Schildkröten. Er erklärt, warum manche von ihnen eine Fußbodenheizung brauchen – und warum die Weibchen früher oft gestohlen wurden
Attenhausen Die riesigen Schildkröten liegen träge in der Nachmittagssonne. Ab und zu schiebt sich eine von ihnen mit ihren schuppigen Beinen ein paar Zentimeter weiter, jede Bewegung scheint so gut überlegt wie der Zug eines Schachspielers. Die Schildkröten zu beobachten, die hinter Walter Müllers Haus im Krumbacher Ortsteil Attenhausen im Landkreis Günzburg leben, ist wie einen Film in Zeitlupe anzusehen.
Müller liebt die bedächtigen Tiere über alles. Der 64-Jährige hält auch Kröten und Leguane, hat ein Pferd und einen Hund. Aber Schildkröten haben es ihm besonders angetan. „Als ich acht Jahre alt war, hat mir mein Onkel zwei Schildkröten geschenkt. Damit hat die Sache angefangen“, sagt er. Heute bietet sein Garten über 100 Wasser- und Landschildkröten verschiedenster Arten ein Zuhause. Die beiden ersten Tiere sind noch immer dabei.
„Schildkröten werden so alt wie Menschen“, erklärt Müller. Seit zwei Jahren sei bei ihm keines der Tiere mehr gestorben. Eine Erleichterung, schließlich kennt er seine geliebten Schützlinge mit Namen, zum Teil seit Jahrzehnten. Inzwischen wolle er aber keine neuen Schildkröten mehr aufnehmen, schließlich bedeute jede einzelne Arbeit bis an sein Lebensende. „Und ich werde nicht jünger.“
Müller hat schon immer Tiere gehabt: „Kröten, Blindschleichen, Molche – ich stehe auf Reptilien.“ So richtig losgegangen sei es mit seiner Schildkrötenfaszination aber erst, als er 1978 sein Haus gebaut habe. Er sei immer wieder in die Schweiz gefahren und habe Kontakte zu dortigen Schildkrötenzüchtern aufgebaut. Es sei nicht leicht gewesen, Tipps von ihnen zu bekommen, viele wollten ihr Wissen für sich behalten. Und in Deutschland sei damals noch kaum gezüchtet worden.
Die Tiere waren entsprechend selten und wertvoll. Den Züchtern seien immer wieder Weibchen gestohlen worden – die Diebe wollten mit ihnen weiterzüchten. Inzwischen könne man fast jede Art für einen fairen Preis aus heimischer Zucht kaufen, Informationen für Züchter sind im Internet frei zugänglich. „Man muss heute wirklich keine Schildkröten mehr aus der Natur fangen“, sagt Müller und kritisiert die Menschen, die Tiere aus dem Urlaub nach Hause schmuggeln wollen. Hauptberuflich hat der Schildkröten-Liebhaber übrigens ein Immobilienbüro. „Was ich mit dem Verkauf von Schildkröten verdiene, geht für die Haltung wieder raus“, sagt er.
Heute achtet Müller darauf, dass seine Tiere keinen Nachwuchs mehr bekommen. Das klappt nicht immer: „Aus Versehen habe ich vor zwei Jahren 40 Jungtiere bekommen. Es war ein warmer Sommer, sie sind von selbst geschlüpft.“Wenn die Bedingungen nicht so optimal sind, ist die Nachzucht aufwendiger. Die Schildkröten verbuddeln ihre Eier nämlich im Boden. Man müsse sie sehr vorsichtig wieder ausgraben, schildert Müller. „Wenn man sie dreht, war’s das.“Sie kommen in einen Brutkasten, je nach Art dauert es zwei bis drei Monate, bis die jungen Schildkröten schlüpfen. Nach etwa zehn Jahren werden sie geschlechtsreif.
Von einigen seiner Schildkröten kennt Müller das Alter nicht. Einmal sei zum Beispiel eine Frau zu ihm gekommen, die ins Altersheim ziehen wollte und ihm ihre Schildkröte überlassen habe. „Sie hat gesagt, ihr Großvater habe das Tier aus dem ersten Weltkrieg mitgebracht. Ob es immer noch dieselbe Schildkröte ist oder ob sie ausgetauscht worden ist, weiß ich natürlich nicht.“
Obwohl die Tiere mit ihrer Behäbigkeit sehr harmlos wirken, ist bei einigen von ihnen Vorsicht angebracht: Schildkröten haben einen sehr kräftigen Biss. Müllers Riesenschildkröten demonstrieren das, als er ihnen ein paar harte Äpfel hinwirft: Sie zerquetschen sie mühelos mit ihren Schnäbeln. Trotzdem läuft Müller ohne Scheu in Sandalen zwischen ihnen herum. „Landschildkröten sind sehr friedlich, die schnappen nicht“, versichert er. Beim Füttern aus der Hand müsse man aber trotzdem gut aufpassen, damit sie einem nicht versehentlich in den Finger beißen. Das könne schnell blutig enden. Wasserschildkröten seien hingegen deutlich aggressiver als ihre Artgenossen auf dem Festland.
Schildkröten sind wechselwarm, produzieren also keine Körperwärme. Sie müssen sich Sonne oder Schatten aussuchen können, um ihre Körpertemperatur zu regulieren. Für seine Afrikanischen Schildkröten hat Müller einen eigenen Raum, in den sie sich in der Nacht zurückziehen können – wie das Außenund Innengehege in einem Zoo. Weil die afrikanischen Arten im Gegensatz zu den europäischen keinen Winterschlaf halten, hat er den Innenraum für die kalte Jahreszeit mit einer Fußboden- und Wandheizung ausgestattet.
Für seine anderen Schildkröten hat er kleine Hütten aufgestellt, die er im Herbst mit Stroh füllt. „In die ziehen sie sich zurück, wenn es kalt wird, das ist im Oktober oder November. Mitte Dezember hole ich sie raus und lege sie in den Keller, der ist dann kalt genug. Im März kommen sie zurück in die Hütten und im April oder Mai werden sie wieder munter.“Es sei zwar schön, wenn er sich im Winter nicht viel um die Tiere kümmern müsse. „Wenn sie dann aber wieder aufwachen, freue ich mich jedes Mal.“
„Man muss heute wirklich keine Schildkröten mehr aus der Natur fangen.“