Donauwoerther Zeitung

Behäbiges Diebesgut mit dickem Panzer

Walter Müller besitzt über 100 Schildkröt­en. Er erklärt, warum manche von ihnen eine Fußbodenhe­izung brauchen – und warum die Weibchen früher oft gestohlen wurden

- VON DANIEL WEBER

Attenhause­n Die riesigen Schildkröt­en liegen träge in der Nachmittag­ssonne. Ab und zu schiebt sich eine von ihnen mit ihren schuppigen Beinen ein paar Zentimeter weiter, jede Bewegung scheint so gut überlegt wie der Zug eines Schachspie­lers. Die Schildkröt­en zu beobachten, die hinter Walter Müllers Haus im Krumbacher Ortsteil Attenhause­n im Landkreis Günzburg leben, ist wie einen Film in Zeitlupe anzusehen.

Müller liebt die bedächtige­n Tiere über alles. Der 64-Jährige hält auch Kröten und Leguane, hat ein Pferd und einen Hund. Aber Schildkröt­en haben es ihm besonders angetan. „Als ich acht Jahre alt war, hat mir mein Onkel zwei Schildkröt­en geschenkt. Damit hat die Sache angefangen“, sagt er. Heute bietet sein Garten über 100 Wasser- und Landschild­kröten verschiede­nster Arten ein Zuhause. Die beiden ersten Tiere sind noch immer dabei.

„Schildkröt­en werden so alt wie Menschen“, erklärt Müller. Seit zwei Jahren sei bei ihm keines der Tiere mehr gestorben. Eine Erleichter­ung, schließlic­h kennt er seine geliebten Schützling­e mit Namen, zum Teil seit Jahrzehnte­n. Inzwischen wolle er aber keine neuen Schildkröt­en mehr aufnehmen, schließlic­h bedeute jede einzelne Arbeit bis an sein Lebensende. „Und ich werde nicht jünger.“

Müller hat schon immer Tiere gehabt: „Kröten, Blindschle­ichen, Molche – ich stehe auf Reptilien.“ So richtig losgegange­n sei es mit seiner Schildkröt­enfaszinat­ion aber erst, als er 1978 sein Haus gebaut habe. Er sei immer wieder in die Schweiz gefahren und habe Kontakte zu dortigen Schildkröt­enzüchtern aufgebaut. Es sei nicht leicht gewesen, Tipps von ihnen zu bekommen, viele wollten ihr Wissen für sich behalten. Und in Deutschlan­d sei damals noch kaum gezüchtet worden.

Die Tiere waren entspreche­nd selten und wertvoll. Den Züchtern seien immer wieder Weibchen gestohlen worden – die Diebe wollten mit ihnen weiterzüch­ten. Inzwischen könne man fast jede Art für einen fairen Preis aus heimischer Zucht kaufen, Informatio­nen für Züchter sind im Internet frei zugänglich. „Man muss heute wirklich keine Schildkröt­en mehr aus der Natur fangen“, sagt Müller und kritisiert die Menschen, die Tiere aus dem Urlaub nach Hause schmuggeln wollen. Hauptberuf­lich hat der Schildkröt­en-Liebhaber übrigens ein Immobilien­büro. „Was ich mit dem Verkauf von Schildkröt­en verdiene, geht für die Haltung wieder raus“, sagt er.

Heute achtet Müller darauf, dass seine Tiere keinen Nachwuchs mehr bekommen. Das klappt nicht immer: „Aus Versehen habe ich vor zwei Jahren 40 Jungtiere bekommen. Es war ein warmer Sommer, sie sind von selbst geschlüpft.“Wenn die Bedingunge­n nicht so optimal sind, ist die Nachzucht aufwendige­r. Die Schildkröt­en verbuddeln ihre Eier nämlich im Boden. Man müsse sie sehr vorsichtig wieder ausgraben, schildert Müller. „Wenn man sie dreht, war’s das.“Sie kommen in einen Brutkasten, je nach Art dauert es zwei bis drei Monate, bis die jungen Schildkröt­en schlüpfen. Nach etwa zehn Jahren werden sie geschlecht­sreif.

Von einigen seiner Schildkröt­en kennt Müller das Alter nicht. Einmal sei zum Beispiel eine Frau zu ihm gekommen, die ins Altersheim ziehen wollte und ihm ihre Schildkröt­e überlassen habe. „Sie hat gesagt, ihr Großvater habe das Tier aus dem ersten Weltkrieg mitgebrach­t. Ob es immer noch dieselbe Schildkröt­e ist oder ob sie ausgetausc­ht worden ist, weiß ich natürlich nicht.“

Obwohl die Tiere mit ihrer Behäbigkei­t sehr harmlos wirken, ist bei einigen von ihnen Vorsicht angebracht: Schildkröt­en haben einen sehr kräftigen Biss. Müllers Riesenschi­ldkröten demonstrie­ren das, als er ihnen ein paar harte Äpfel hinwirft: Sie zerquetsch­en sie mühelos mit ihren Schnäbeln. Trotzdem läuft Müller ohne Scheu in Sandalen zwischen ihnen herum. „Landschild­kröten sind sehr friedlich, die schnappen nicht“, versichert er. Beim Füttern aus der Hand müsse man aber trotzdem gut aufpassen, damit sie einem nicht versehentl­ich in den Finger beißen. Das könne schnell blutig enden. Wasserschi­ldkröten seien hingegen deutlich aggressive­r als ihre Artgenosse­n auf dem Festland.

Schildkröt­en sind wechselwar­m, produziere­n also keine Körperwärm­e. Sie müssen sich Sonne oder Schatten aussuchen können, um ihre Körpertemp­eratur zu regulieren. Für seine Afrikanisc­hen Schildkröt­en hat Müller einen eigenen Raum, in den sie sich in der Nacht zurückzieh­en können – wie das Außenund Innengeheg­e in einem Zoo. Weil die afrikanisc­hen Arten im Gegensatz zu den europäisch­en keinen Winterschl­af halten, hat er den Innenraum für die kalte Jahreszeit mit einer Fußboden- und Wandheizun­g ausgestatt­et.

Für seine anderen Schildkröt­en hat er kleine Hütten aufgestell­t, die er im Herbst mit Stroh füllt. „In die ziehen sie sich zurück, wenn es kalt wird, das ist im Oktober oder November. Mitte Dezember hole ich sie raus und lege sie in den Keller, der ist dann kalt genug. Im März kommen sie zurück in die Hütten und im April oder Mai werden sie wieder munter.“Es sei zwar schön, wenn er sich im Winter nicht viel um die Tiere kümmern müsse. „Wenn sie dann aber wieder aufwachen, freue ich mich jedes Mal.“

„Man muss heute wirklich keine Schildkröt­en mehr aus der Natur fangen.“

 ?? Fotos: Daniel Weber ?? Walter Müllers Afrikanisc­he Riesenschi­ldkröten sind zwar die größten der über 100 Schildkröt­en auf seinem Hof, aber mit ihren 35 Jahren bei Weitem nicht die ältesten. Äpfel fressen sie sehr gerne, sie sollten aber nicht zu viel Obst und Gemüse bekommen, sagt er.
Fotos: Daniel Weber Walter Müllers Afrikanisc­he Riesenschi­ldkröten sind zwar die größten der über 100 Schildkröt­en auf seinem Hof, aber mit ihren 35 Jahren bei Weitem nicht die ältesten. Äpfel fressen sie sehr gerne, sie sollten aber nicht zu viel Obst und Gemüse bekommen, sagt er.
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Schildkröt­en von riesig bis winzig: Mül‰ ler hat sie alle. Dieses Tier ist erst vor Kurzem geschlüpft.
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Müller zeigt eine seiner beiden ersten Schildkröt­en, die er im Alter von acht Jahren geschenkt bekommen hat.

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