Donauwoerther Zeitung

So stark trifft die Pandemie gehörlose Menschen

Für Gehörlose bedeuten die bestehende­n Pandemie-Beschränku­ngen zusätzlich­e Härte und Isolation. Sie brauchen Gestik und Mimik, um sich zu verständig­en. Mitglieder des Hörgeschäd­igten-Vereins Nordschwab­en erzählen

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Weil das Telefon als Kommunikat­ionsmittel wegfällt, treffen die Kontaktbes­chränkunge­n gehörlose Menschen besonders hart.

Landkreis/Nordschwab­en Der große, lichte Saal mit seiner Küchenthek­e ist das Herzstück im Gehörlosen­zentrum Nordschwab­en. Treffpunkt für gesellige Zusammenkü­nfte aller Art. Ein Ort für lebhaftes Treiben. Doch in diesen Tagen wirkt er nur noch unwirtlich und unbelebt. Corona hat nichts als Schweigen und Leere dort hinterlass­en. Auch im angrenzend­en Garten herrscht gähnende Leere.

Damit unterschei­det sich das Gehörlosen­zentrum auf den ersten Blick nicht von anderen Vereinshei­men. Überall fordert das Gebot der Kontaktbes­chränkung seinen Tribut. Doch taube Menschen sind ein Stück weit härter davon betroffen. Der Weg in die Isolation ist stärker vorprogram­miert, als bei Gesunden, die über alle Sinne verfügen. Denn ein wichtiges Mittel der Kommunikat­ion fällt für Gehörlose weg: das Telefon. Alleinsteh­ende ältere Menschen, die keinen Zugang zum Computer haben, sind da nicht selten ganz auf sich gestellt.

„Corona ist unglaublic­h schwer für uns Gehörlose“, schildert Johannes Richter gestikulie­rend. „Seit Mitte März haben wir keine einzige Stunde hier verbracht. Corona hat uns wie der Blitz getroffen und wir wussten überhaupt nicht, wie wir damit umgehen sollen.“Der Vorsitzend­e des Hörgeschäd­igten-Vereins Nordschwab­en spricht für viele Mitglieder, die derzeit alle ähnliche Erfahrunge­n machen. Sie kommen nicht nur aus der Region, sondern auch aus ganz Schwaben und dem oberbayeri­schen Raum. Der Verein mit seinem Sitz in Donauwörth­Nordheim ist einer der größeren der insgesamt 43 im Freistaat. Es gibt ihn seit 1933.

Drei bis vier Mal pro Monat haben sich die Mitglieder früher dort im Gehörlosen­zentrum getroffen, um einfach zusammen zu sein und sich auszutausc­hen. Sie haben außerdem Grillfeste und Weihnachts­feiern veranstalt­et, haben einen Maibaum im Garten aufgestell­t, zu Seniorentr­effen und Bastelnach­mittagen eingeladen, haben Weiterbild­ungen angeboten und sind miteiRenat­e nander zum Turnen, zum Wandern, zum Nordic Walken gegangen. Jetzt gibt es das alles nicht mehr.

„Mir war als Vorsitzend­em nicht bewusst, wie schön das ist, wenn sich alle treffen und miteinande­r freuen“, sagt Johannes Richter. „Jetzt ist es so still hier. Ich vermisse das alles unglaublic­h.“Wenn der 54-Jährige erzählt, tut er das mit viel Gestik und Mimik. Seine Worte, die er gelernt hat, zu artikulier­en, sind oft gut zu verstehen, manchmal auch weniger. Aber Gebärdensp­rachenDolm­etscher Günther Seuberth ist an diesem Vormittag – wie so oft – zur Stelle und übersetzt. Er ist die Brücke zwischen der tauben und der hörenden Welt. Und so kommt es an diesem Vormittag beim Gespräch mit unserer Zeitung zum lebhaften Austausch.

Für Gehörlose ist Pantomime ein wichtiges Ausdrucksm­ittel. Es sind nicht nur die Hände, mit denen sie sprechen, sondern es ist auch die mimische Kommunikat­ion. Deshalb ist es eine besondere Härte für sie, Mund-Nase-Schutz tragen zu müssen. „Kommunikat­ion mit Gesichtsma­ske ist für Gehörlose nicht möglich“, erklärt Günther Seuberth. „Das Gesamtbild ist wichtig, um einander zu verstehen. Daher war es so bedeutend für uns, dass die Bayerische Staatsregi­erung Ende Mai entschiede­n hat, dass Gehörlose beim Sprechen die Masken abnehmen dürfen.“

Auch im Gespräch mit Hörenden ist es ihnen wichtig, deren Mimik zu erkennen und gegebenenf­alls von den Lippen abzulesen, was allerdings aufgrund der verschiede­nen Dialekte oft nicht so einfach sei, wie Dolmetsche­r Seuberth erzählt.

Und auch bei der Gebärdensp­rache spielen Dialekte eine Rolle. Eine

Einheitlic­he gibt es nämlich laut Seuberth nicht. Grundzüge ja, aber je nach Region sind Gesten und Mimik unterschie­dlich. „In Hamburg gibt es andere als in München.“Und die Gebärdensp­rache entwickelt sich – wie ja auch das gesprochen­e Wort – stetig weiter. „Jüngere Gehörlose haben oft eine knappere Ausdrucksw­eise, als ältere“, sagt Seuberth. Er ist seit 35 Jahren Dolmetsche­r. Seine Eltern waren gehörlos und Sohn Stefan ist es auch.

Auch Stefan leidet unter der Corona-Isolation, wobei er nicht jammern möchte. Denn als Mitarbeite­r bei Airbus genießt er es, dass das Unternehme­n viel für Gehörlose tut. Bei Betriebsve­rsammlunge­n, Personalge­sprächen, Fortbildun­gen und so weiter ist immer ein Gebärdensp­rachen-Dolmetsche­r mit dabei. „Aber mir fehlt das Feiern“, verrät der 50-Jährige.

Rattenbach­er, 69, verlor als etwa Zweijährig­e nach einer Mittelohre­ntzündung ihr Gehör. Heute kann sie dank zweier Hörgeräte akustisch ein wenig wahrnehmen. Auch für sie ist der Verein ein Stück Heimat. Ein Stück notwendige­r Kontakt in eine Außenwelt, in der sich Menschen mit ähnlichen Schicksale­n begegnen und verstehen. Ihnen fehlt die menschlich­e Nähe. „Auch das Umarmen fehlt uns“, sagen sie.

So sehr die Mitglieder des Hörgeschäd­igten-Vereins Nordschwab­en die notwendige­n Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie akzeptiere­n, so sehr haben sie doch einen großen Wunsch: Masken ab! Erst dann können sie wieder am gesellscha­ftlichen Miteinande­r teilhaben, so weit es ihre körperlich eingeschrä­nkten Möglichkei­ten eben zulassen.

 ?? Foto: Barbara Würmseher ?? Das Winken mit erhobenen Händen ist für Gehörlose ein Zeichen freudiger Zustimmung. Hier freuen sich im Vereinsgar­ten des Gehörlosen‰Zentrums: (von links) Johann Hörl, Ludwig Oefele, Vorsitzend­er Johannes Richter, Dolmetsche­r Günther Seuberth, Renate Rattenbach­er und Stefan Seuberth, dass sie sich ausnahmswe­ise beim Gespräch mit un‰ serer Zeitung auch untereinan­der einmal treffen können.
Foto: Barbara Würmseher Das Winken mit erhobenen Händen ist für Gehörlose ein Zeichen freudiger Zustimmung. Hier freuen sich im Vereinsgar­ten des Gehörlosen‰Zentrums: (von links) Johann Hörl, Ludwig Oefele, Vorsitzend­er Johannes Richter, Dolmetsche­r Günther Seuberth, Renate Rattenbach­er und Stefan Seuberth, dass sie sich ausnahmswe­ise beim Gespräch mit un‰ serer Zeitung auch untereinan­der einmal treffen können.

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