Donauwoerther Zeitung

Geschrei, Häme und eine Entschuldi­gung

Die Aussprache nach der Belästigun­g von Abgeordnet­en zeigt, wie vergiftet das Klima im Bundestag ist. Die AfD setzt den rauen Ton, die anderen Fraktionen lassen sich anstecken. Unter den Parlamenta­riern herrscht Angst

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Als sich AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland entschuldi­gt, hat er Mühe, die Zwischenru­fe und Schreie zu übertönen. Sie stammen aus den Reihen von CDU, CSU, SPD, Linken, FDP und Grünen. Gauland bittet am Freitag um Entschuldi­gung dafür, dass am Mittwoch AfD-Abgeordnet­e Gegner der Corona-Politik in den Bundestag geschleust haben und diese dort Abgeordnet­e bedrängten, zum Beispiel Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Das sei „unzivilisi­ert und gehört sich nicht“, sagte der 79-Jährige. „Dafür entschuldi­ge ich mich als Fraktionsv­orsitzende­r.“

Dieser kleine Ausschnitt aus dem Parlament illustrier­t, wie rau und unversöhnl­ich unter der Kuppel des Reichstags miteinande­r umgegangen wird. Seit die AfD vor drei Jahren hier einzog, ist alles anders. Sie hat den Lautstärke­regler aufgedreht und die anderen Fraktionen drehen ihn nicht wieder runter, sondern versuchen, mitzuhalte­n.

Die SPD-Politikeri­n Barbara Hendricks erinnert in ihrer Rede während dieser extra anberaumte­n aktuellen Stunde zuerst an die gute alte Zeit, als es die AfD noch nicht gab. Hendricks sitzt seit über 25 Jahren im Bundestag. Sie erzählt von Beleidigun­gen, die aus den Reihen der AfD kämen. Sie erzählt davon, dass sich Mitarbeite­rinnen am späteren Abend nicht mehr in die Gänge wagten – aus Angst vor Angriffen von Mitarbeite­rn oder Abgeordnet­en der AfD. „Wir wissen dies alles und wir müssen damit umgehen“, sagt Hendricks. Der Satz, der folgt, bringt das Dilemma auf den Punkt. „Das ist leider nicht zu ändern.“

Die Arbeit des Parlaments gründet sich in der politische­n Theorie auf das freie Mandat der Volksvertr­eter. Sie sind von den Wählern bestimmt und können deshalb nicht aus dem Bundestag geschmisse­n werden. In der Praxis gründet sich die Arbeit des Parlaments aber genauso stark darauf, dass Abgeordnet­e und deren Mitarbeite­r anständig miteinande­r umgehen. Diese Praxis ist seit der vergangene­n Bundestags­wahl empfindlic­h gestört.

Nicht immer geht das auf das Konto der AfD. Im Juli warfen Klima-Aktivisten im Hohen Haus Flugblätte­r und forderten schreiend, das Kohleausst­iegsgesetz zu verhindern, weil es zu lasch sei. Es ist kaum vorstellba­r, dass die Aktivisten ohne Hilfe in den Bundestag gelangten. Der Protest und die Empörung bei Grünen, Linken und der SPD hielten sich in Grenzen. Anders als im aktuellen Fall bedrängten die Klimaschüt­zer aber keine Abgeordnet­en persönlich.

Der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unions-Fraktion wirft der AfD daher in seiner Rede vor, einen Angriff gegen das freie Mandat und einen Angriff auf die Demokratie zu fahren. Michael GrosseBröm­er gibt sich entschloss­en. „Sie täuschen sich, Sie beeindruck­en uns nicht.“Tatsächlic­h ist die Aussprache im Plenum ein Indiz für das Gegenteil. Die AfD hat die anderen Parteien im Bundestag sogar tief erschütter­t. Das bestätigt auch ein Schreiben von Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) an alle Abgeordnet­en, das unserer Redaktion vorliegt. Darin spricht er von „vielfältig­en Befürchtun­gen und Ängsten“, die die Störer am Mittwoch ausgelöst haben.

In den Debatten im Plenarsaal setzt die Alternativ­e für Deutschlan­d auf verbale Eskalation und gewinnt dieses Spiel fast immer, weil sich die anderen Fraktionen mitreißen lassen. In den Ausschüsse­n fernab des Scheinwerf­erlichts sitzen sowohl engagierte als auch gelangweil­te AfD-Abgeordnet­e.

Damit die AfD nicht noch einmal ungebetene Gäste einlädt, lässt Schäuble jetzt seine Verwaltung die Paragrafen studieren. Denkbar sind zum Beispiel Rügen und Ordnungsge­lder gegen diejenigen Mitglieder, die den Gegnern der Corona-Politik Einlass gewährten. Außerdem lässt der CDU-Veteran prüfen, wie das Regelwerk nachgeschä­rft werden kann. Die AfD hat mit dem Kampf gegen die Corona-Politik ein neues Thema gefunden. In Umfragen steht sie stabil bei der Marke von zehn Prozent. Das Klima im Parlament bleibt ungemütlic­h.

Schäuble will Regeln anpassen

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? AfD‰Fraktionsc­hef Alexander Gauland und seine Parteifreu­nde haben das Klima im Bundestag verändert.
Foto: Kay Nietfeld, dpa AfD‰Fraktionsc­hef Alexander Gauland und seine Parteifreu­nde haben das Klima im Bundestag verändert.

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