Donauwoerther Zeitung

„Das hat der CDU nicht gutgetan“

Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r wirft ihren Nachfolge-Kandidaten einen „ruinösen Wettbewerb“um den Parteivors­itz vor und warnt vor Schaden für die Union im kommenden Superwahlj­ahr. Ein Gespräch über die CDU, Donald Trump und ihre Rolle als Mutter

- Interview: Gregor Peter Schmitz

Frau Kramp-Karrenbaue­r, Corona trifft auch ganz konkret die CDU. Sie mussten Ihren Parteitag verschiebe­n. Einer der Kandidaten für Ihre Nachfolge, Friedrich Merz, vermutet dahinter eine Verschwöru­ng des Establishm­ents. Seinem Konkurrent­en Armin Laschet solle mehr Zeit gegeben werden. Ist das wahr?

Annegret Kramp‰Karrenbaue­r: Die drei Kandidaten haben sich mittlerwei­le auf das geeinigt, was der Bundesvors­tand beschlosse­n hat – nämlich, dass man sich Mitte Dezember noch mal zusammense­tzt, um dann zu sagen, wie man den Parteitag am 16. Januar durchführt. Doch die Partei hat bei dieser Diskussion gespürt, dass aus diesem fairen Rennen ein ruinöser Wettbewerb geworden ist. Und dieser ruinöse Wettbewerb fällt zuallerers­t auf die Kandidaten selbst zurück, aber auch auf die CDU. Deshalb habe ich immer davor gewarnt.

Aber wer ist schuld an diesem ruinösen Wettbewerb? Friedrich Merz, der eine Verschwöru­ng sieht? Oder Armin Laschet, der angeblich hinter den Kulissen für eine Verschiebu­ng sorgt?

Kramp‰Karrenbaue­r: Es war die gesamte Debatte und die gegenseiti­gen Vorwürfe, die im Raum standen. Das hat keinem gutgetan, und das hat vor allem der CDU nicht gutgetan. Ich erwarte von jemandem, der Vorsitzend­er werden will, dass er sein gesamtes Handeln in das Interesse dieser Partei stellt. Auch dann schon, wenn er erst Kandidat ist.

Glauben Sie, dass jemand wie Friedrich Merz sich nach einer Niederlage wieder in den Dienst der Partei stellt?

Kramp‰Karrenbaue­r: Das ist die klare Erwartung der Mitglieder. Wir befinden uns im Januar schon im Wahljahr. Und dabei geht es nicht nur um die Bundestags­wahl, sondern auch um wichtige Landtagswa­hlen etwa in Rheinland-Pfalz und Baden-Württember­g. Die Parteimitg­lieder wissen sehr genau, dass das keine einfachen Wahlkämpfe werden und die CDU geschlosse­n stehen muss. Das heißt, sie erwarten dann von denjenigen, die das Rennen um den Vorsitz nicht für sich entscheide­n, dass sie den Sieger unterstütz­en. Das habe ich den Kandidaten auch genauso deutlich mitgegeben.

In Bayern gibt es einen inoffiziel­len vierten Kandidaten, der zwar nicht CDU-Chef werden wird, aber Kanzlerkan­didat werden könnte.

Kramp‰Karrenbaue­r: Für die CDU ist vollkommen klar: Derjenige, der sich jetzt um den Parteivors­itz bewirbt, ist der potenziell­e Kanzlerkan­didat. Es war schon immer so, dass CDU und CSU sich abgestimmt haben, ob der Kandidat der CDU auch der gemeinsame Kandidat der Unionspart­eien ist – das muss dann zwischen dem neuen CDU-Vorsitzend­en und dem CSU-Chef geklärt werden, und es wird einvernehm­lich geklärt werden.

Wie schnell muss die Entscheidu­ng fallen?

Kramp‰Karrenbaue­r: Da gibt es in der Tat sehr unterschie­dliche Meinungen. Sowohl in der CSU als auch in der CDU. Das müssen der neue CDU-Vorsitzend­e und Markus Söder besprechen. Ich bin mir ganz sicher, sie werden zu einem guten Vorschlag kommen.

Wenn man sich die Aussagen von Friedrich Merz anschaut, bekommt man den Eindruck, die CDU möchte zurück in die Zeit vor Angela Merkel – man könnte auch sagen: zurück zu den konservati­ven Wurzeln. Wie altmodisch kann ein neuer Vorsitzend­er sein? Kramp‰Karrenbaue­r: Die CDU ist eine Partei, die ein ganz breites Spektrum unter ihrem Dach vereint. Das ist notwendig, weil sie Volksparte­i ist und Volksparte­i bleiben will. Das alles zusammenzu­halten, ist eine große Herausford­erung. Die CDU hat sich in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n sehr stark weiterentw­ickelt. Sie ist heute eine andere Partei, als sie das vor zehn oder 20 Jahren war. Auch, weil wir heute eine andere Gesellscha­ft haben. Wichtig ist, dass sich unsere Werte und Überzeugun­gen in der Politik widerspieg­eln. Und wir müssen Antworten geben auf die Fragen aus dem Jahr 2021 und nicht auf die aus den 80er Jahren. Wir haben in der CDU viele Verantwort­liche, die das sicherstel­len – auch in Zukunft.

Während der Bundestag vergangene Woche über die Neuregelun­g des Infektions­schutzgese­tzes beraten hat, mussten draußen Wasserwerf­er gegen Demonstran­ten eingesetzt werden. Das Gesetz wurde mit dem Ermächtigu­ngsgesetz der Nationalso­zialisten gleichgese­tzt. Verstehen Sie die Kritik, die damit zum Ausdruck gebracht wird? Kramp‰Karrenbaue­r: Sie bestürzt mich vor allem. Bei aller berechtigt­en Debatte, die man ja führen kann, muss ich doch sagen: Der Begriff Ermächtigu­ngsgesetz hat in Deutschlan­d einen ganz besonderen Klang. Das war das Gesetz, das es ermöglicht hat, dass die Nationalso­zialisten die Demokratie außer Kraft gesetzt haben. Heute geht es um eine Grundlage, die klärt, wo das Parlament eingreift und wo die Regierung schnell handeln kann. Das ist eine vollkommen andere Situation. Wenn es dann Kräfte im Bundestag gibt, die den Parlamenta­rismus, wie wir ihn kennen, außer Kraft setzen wollen, dann ist das etwas Ungeheuerl­iches. Das hat mit berechtigt­er Auseinande­rsetzung in der Sache nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.

Kann sich jemand, der sachliche Kritik an den Corona-Maßnahmen übt, an diesen Demonstrat­ionen überhaupt noch beteiligen?

Kramp‰Karrenbaue­r:

Jeder kann sein

Recht auf freie Meinungsäu­ßerung und sein Demonstrat­ionsrecht wahrnehmen – unter den Bedingunge­n, die gerade herrschen. Dazu gehören das Tragen einer Maske und der Abstand zu anderen. Das entbindet aber nicht davon, sich selbst der Frage zu stellen, ob es das Anliegen wert ist, in einer Demonstrat­ion mitzulaufe­n, in der auch Neonazis zu finden sind. Die nutzen den Protest für ihre ganz eigene Agenda. Das ist etwas, das jeder für sich selbst in eigener Verantwort­ung entscheide­n muss. Aus meiner Sicht kann diese Entscheidu­ng immer auch so ausfallen, dass man sich nicht leichtfert­ig zum Instrument von Neonazis oder anderen extremen und gewaltbere­iten Kräften in dieser Republik machen lässt.

Die Gewalt ist die eine Sache, die Rhetorik die andere. Entgleitet uns die Debatte über die Corona-Maßnahmen?

Kramp‰Karrenbaue­r: Dass diese Diskussion schwerer wird, war zu erwarten. Im Frühjahr hatten wir eine andere Situation. Damals haben viele Menschen den Lockdown als einen Akt von Solidaritä­t erlebt. Sie haben sich virtuell gegenseiti­g gestützt, weil man die Hoffnung hatte, mit dem Sommer klingt Corona ab. Jetzt sind wir in der zweiten Welle, die zum Teil härter ist als das, was wir im Frühjahr erlebt haben. Aber man muss sich auch immer wieder vor Augen führen, dass es in allererste­r Linie um Menschenle­ben und um Gesundheit geht. Ich frage jetzt einmal umgekehrt: Was verlangen wir den Menschen eigentlich ab? Wir verlangen, dass sie eine Maske tragen, dass sie Abstand halten, dass sie sich an die Hygienereg­eln halten. Und wir erwarten, dass sie auch in eigener Verantwort­ung die sozialen Kontakte beschränke­n. Ich weiß, wie hart das ist. Ich habe drei Kinder, eines wohnt noch zu Hause. Dass wir uns nicht mehr alle an den Wochenende­n treffen können, schmerzt mich sehr. Aber wenn ich mir überlege, dass eines meiner Kinder schwer an Corona erkrankt und ich mit schuld bin, weil ich nicht disziplini­ert war, dann ertrage ich das nicht. Es sind harte Maßnahmen, aber wir müssen sie ergreifen.

Kommen in den nächsten Wochen noch einmal härtere Maßnahmen auf die Deutschen zu?

Kramp‰Karrenbaue­r: Wir müssen schauen, wie die Maßnahmen bis jetzt gewirkt haben. Aber eines ist klar: Wir alle haben gesagt, dass wir möchten, dass die Menschen ein gemeinsame­s Weihnachts­fest feiern können. Und deshalb müssen wir uns überlegen, was wir vor Weihnachte­n an Maßnahmen ergreifen müssen, damit dies möglich ist. Wir werden es nächste Woche gemeinsam besprechen müssen. Je disziplini­erter jeder Einzelne ist, desto schneller gehen die Zahlen runter und desto weniger hart müssen wir eingreifen.

Glauben Sie denn, dass wir wirklich Weihnachte­n feiern werden?

Kramp‰Karrenbaue­r:

Es ist der

Wunsch. Ich weiß, wie wichtig persönlich­e Nähe ist. Und es gibt keine andere Zeit im Jahr, zu der der Wunsch danach so groß ist. Deshalb ist Weihnachte­n ein Ziel, für das es sich lohnt, vorher auch Maßnahmen zu ergreifen. Aber wie gesagt: Es hängt davon ab, wie sich die Zahlen entwickeln.

Sie sind mit dem französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron aneinander­geraten. Sie setzen auf eine Sicherheit­spolitik unter Führung der USA, er hält das für einen Fehler. Man musste den Eindruck gewinnen, dass Sie Macron für ziemlich naiv halten. Stimmt der Eindruck? Kramp‰Karrenbaue­r: Nein, er stimmt natürlich nicht. Als Saarländer­in bin ich eine sehr frankophil­e und frankofone Person. Ich kenne Frankreich sehr gut, liebe es auch heiß und innig. Zu großen Teilen sind Emmanuel Macron und ich uns auch einig darin, dass wir Europäer mehr tun müssen für unsere eigene Sicherheit und Verteidigu­ng. Aber tun wir das, damit wir ein besseres Verhältnis auf Augenhöhe in der Nato mit den Vereinigte­n Staaten haben? Oder tun wir das, damit wir am Ende ohne Amerika und ohne die Nato zurechtkom­men? Ich bin der tiefen Überzeugun­g: Wir werden auch in der Zukunft die Nato und gute amerikanis­che Verbündete brauchen.

Hat Europa nicht immer große Visionen gebraucht? Die offenen Grenzen, der Euro... Warum entwickeln wir nicht die Vision einer europäisch­en Armee und unterstütz­en damit Präsident Macron?

Kramp‰Karrenbaue­r: Das ist eine Vision, die wir teilen. Ob das am Ende eine europäisch­e Armee ist oder eine

Armee der Europäer, darüber kann man streiten. Aber dass wir gemeinsam als Europäer in den Einsatz gehen wollen, dass wir gemeinsam als Europäer auch Verteidigu­ngssysteme für die Zukunft entwickeln wollen, das ist vollkommen unbestritt­en. An dieser Vision halten wir fest, und an dieser Vision arbeiten wir. Und ich finde, in der Debatte kommt auch zum Ausdruck, was Frankreich und was Deutschlan­d immer schon verbunden hat: visionäres Denken, aber auch der Pragmatism­us, der in der Umsetzung dazugehört. Für eine gute Politik braucht man beides.

US-Präsident Donald Trump hat angekündig­t, den Abzug der US-Truppen aus dem Irak und Afghanista­n zu beschleuni­gen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Kramp‰Karrenbaue­r: Wir haben beim Einsatz in Afghanista­n immer ganz klar gesagt: Wir sind im Verbund der Nato gemeinsam in diesen Einsatz gegangen, um dafür zu sorgen, dass Afghanista­n nie mehr ein sicherer Hafen für Terroriste­n sein kann. Wir haben in diesem Einsatz einen hohen Zoll bezahlt, viele Bundeswehr­soldaten sind gestorben. Wir haben aber auch gesagt: Wir wollen aus diesem Einsatz wieder gemeinsam herausgehe­n. Grundlage dafür ist eine verbessert­e Situation. Dafür laufen gerade Friedensve­rhandlunge­n – die aber brauchen noch Zeit. Und für diese Zeit brauchen wir auch eine gemeinsame militärisc­he Präsenz. Deshalb sind wir auf die gute Zusammenar­beit mit den Amerikaner­n angewiesen. Es kann nicht ohne Auswirkung­en bleiben, wenn Amerika seine Truppen reduziert. Die Reduzierun­g, die jetzt vorgenomme­n werden soll, hat in den Planungen der Nato aber schon länger eine Rolle gespielt. Wir können immer dafür sorgen, dass unsere Soldaten ihren Dienst sicher verrichten – aber im Notfall das Land auch sicher verlassen können.

Nato-Generalsek­retär Stoltenber­g – sonst ein eher kühler Mensch – wirkte sehr angespannt, als die Nachricht vom beschleuni­gten Abzug der USTruppen bekannt wurde. Er warnt vor einem möglichen Terror-Kalifat in Afghanista­n. Teilen Sie die Befürchtun­g?

Kramp‰Karrenbaue­r: Ja, ich teile diese Einschätzu­ng. Und deshalb hat die Nato auch mit den Amerikaner­n festgelegt, dass ein Abzug aus Afghanista­n an Konditione­n geknüpft ist. Die Erfolge, die wir erreicht haben, müssen abgesicher­t werden. Die Friedensve­rhandlunge­n laufen gerade, sie sind sehr schwierig, sie kommen auch nicht so voran, wie wir uns das gewünscht hätten. Deshalb sind aus unserer Sicht und aus Sicht der Nato-Partner die Bedingunge­n für einen Abzug noch nicht erfüllt. Ich weiß, dass auch in den Vereinigte­n Staaten nicht nur viele führende Militärs, sondern auch führende Republikan­er Präsident Donald Trump vor diesen Problemen gewarnt haben.

Im Weißen Haus wurde noch über etwas anderes nachgedach­t, nämlich einen militärisc­hen Schlag gegen den Iran. Wie groß ist diese Gefahr?

Kramp‰Karrenbaue­r: Wir müssen bis zum Rest der Amtszeit von Donald Trump damit leben, dass noch Entscheidu­ngen getroffen werden, die sich nicht von selbst erklären und die in unseren Augen an der einen oder anderen Stelle irrational sind. Man muss sich da auch selbst ein wenig schützen und sich nicht verrückt machen lassen. Alle, die in den USA Verantwort­ung tragen, wissen sicherlich sehr genau, welche hohen Risiken mit einer militärisc­hen Auseinande­rsetzung mit dem Iran verbunden wären.

Annegret Kramp‰Karrenbaue­r, 58, CDU, war sieben Jahre saarländi‰ sche Ministerpr­äsidentin, ehe sie in die Bundesregi­erung wechselte. Sie ist verheirate­t, hat drei Kinder.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Annegret Kramp‰Karrenbaue­r ist CDU‰Vorsitzend­e und Bundesvert­eidigungsm­inisterin. Sie war Gast bei einem Diskussion­sabend unserer Redaktion. Aufgrund der Corona‰ Pandemie fand dieser digital statt. Die Parteichef­in war deshalb aus ihrem Büro zugeschalt­et.
Foto: Ulrich Wagner Annegret Kramp‰Karrenbaue­r ist CDU‰Vorsitzend­e und Bundesvert­eidigungsm­inisterin. Sie war Gast bei einem Diskussion­sabend unserer Redaktion. Aufgrund der Corona‰ Pandemie fand dieser digital statt. Die Parteichef­in war deshalb aus ihrem Büro zugeschalt­et.

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