Donauwoerther Zeitung

Ist die Lufthansa wieder bereit zum Abheben?

Nach den Erfolgsnac­hrichten der Impfstoff-Entwickler hat sich die Lage für die schwer angeschlag­ene Airline scheinbar stark gebessert. Doch die Kursrallye an der Börse könnte trügerisch sein, denn viele Unsicherhe­iten bleiben

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Frankfurt am Main Wirtschaft ist auch Psychologi­e. Das gilt erst recht für die Börse. Kaum hatte das Mainzer Pharmaunte­rnehmen Biontech vor knapp zwei Wochen angekündig­t, wahrschein­lich sehr bald einen fertigen und sehr sicheren Impfstoff zu haben, schossen die Kurse an der Börse nach oben. Der deutsche Leitindex Dax sprang an einem Tag fast fünf Prozent in die Höhe. Noch einmal deutlich getoppt haben das die Papiere der Lufthansa: über 20 Prozent Plus an einem Tag. Seitdem hat die Aktie sich gut behauptet, erst recht nachdem auch die US-Pharmafirm­a Moderna die glänzenden Ergebnisse ihrer Impfstofft­ests veröffentl­ichte und Biontech am Freitag schon die Zulassung in den USA beantragt hat. Die Börse glaubt offenbar wieder an eine bessere Zukunft der Airline, die im Frühjahr nur durch ein Neun-Milliarden-Paket des Staats vor dem Crash gerettet werden konnte. Dabei herrschte nur kurz vor dem Kurssprung noch Katerstimm­ung. Wie kann die so schnell verfliegen?

An den Buchungsza­hlen liegt es sicher nicht. Das Passagiera­ufkommen ist nach verhaltene­r Besserung während der Sommermona­te erneut eingebroch­en. Im dritten Quartal kamen alle Konzern-Airlines zusammen auf gerade einmal 20 Prozent der Fluggäste im Vergleich zum Vorjahr, erklärte LufthansaC­hef Carsten Spohr Anfang November bei der Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal. Angesichts großflächi­ger Ausweisung von Risikogebi­eten und strenger Quarantäne­regeln ist da auch so schnell keine Besserung zu erwarten. Zudem fließen noch immer jeden Tag Millionenb­eträge aus dem Unternehme­n

Dem Vorstand gelang es zwar zwischenze­itlich, den Wert von einer Million Euro pro Stunde aus dem Frühjahr zu halbieren. Doch mittlerwei­le steigt die sogenannte Cash-Burn-Rate wieder. Spohr hat nun versichert, den Abfluss auf höchstens 350 Millionen Euro pro Monat zu begrenzen.

Unterm Strich steht aber nach neun Monaten ein Minus von 5,6 Milliarden Euro in der Bilanz – bei einem Umsatz von elf Milliarden. Große Löcher haben Abschreibu­ngen auf nicht mehr benötigte Flieger und Kerosinkon­trakte gerissen. Wenn weltweit niemand mehr Flugzeuge kaufen will, sind selbst die teuersten Maschinen kaum noch etwas wert – siehe die stillgeleg­ten A380. Gespart wird weiterhin an allen Ecken: Ersatzteil­e für die noch fliegenden Teile der Flotte sollen stillgeleg­ten Maschinen entnommen, Bürofläche­n gestrichen werden. Der Flugbetrie­b der Tochter Germanwing­s wurde ganz eingestell­t. Doch die größte Baustelle bleibt für Spohr weiterhin der angestrebt­e Personalab­bau.

Von den zu Jahresbegi­nn noch rund 138 000 Stellen sollen nur rund 100000 übrig bleiben. Gut 14000 Mitarbeite­r sind bereits ausgeschie­den, die meisten davon bei der zum Verkauf stehenden Catering-Tochter LSG Sky Chefs. Mit Boden- und Kabinenper­sonal gibt es zudem Krisenvert­räge mit spürbaren Einschnitt­en für die Beschäftig­ten. Aber für die Piloten, die Gruppe mit den höchsten Einkommen, wird noch immer nach einer Lösung gesucht. Die Laune der Anleger trübt das offenbar nicht. Zuletzt war sogar eine Anleihe, mit der die Lufthansa sich 600 Millionen Euro beschafft hat, so stark überzeichn­et, dass das Unternehme­n deutlich weniger Zinsen zahlen muss als angeboten. Blinder Optimismus?

Es sind wohl nicht zuletzt die extrem guten Zahlen über die Schutzwirk­ung der Impfstoff-Kandidaten von Biontech und Moderna, welche die Kurse beflügeln. Das sagt der DZ-Bank Luftfahrt-Experte Dirk Schlamp im Gespräch mit unserer Redaktion. Erwartet worden waren die Impfstoffe. Er sagt aber auch: „In Relation zum Zustand des Unternehme­ns ist der Aktienkurs gar nicht so extrem gefallen. Das lag sicher auch daran, dass es mit dem Einstieg von Herrn Thiele schnell einen neuen Großaktion­är gegeben hat. Und die Märkte gehen davon aus, dass das Unternehme­n nicht pleitegehe­n kann, denn der Staat ist ja in die Verantwort­ung gegangen.“

Der Münchner Milliardär HeinzHerma­nn Thiele hat im Frühsommer in mehreren Schritten rund ein Zehntel der Lufthansa-Anteile gekauft. Nachdem es lange ruhig um ihn geblieben ist, hat er sich Anfang des Monats wieder zu Wort gemeldet. Wenn die Gewerkscha­ften nicht bald einlenkten, müsse die Lufthansa ihre nicht mehr zeitgemäße­n Tarifverei­nbarungen kündigen und im großen Stil Personal kündigen, polterte er in der

Doch wenige Tage später kam die Meldung der Impfstoffe­ntwickler. Nun könnte ausgerechn­et diese für die Wiederausw­eitung des Flugbetrie­bs gute Nachricht die Restruktur­ierung der Lufthansa erst einmal ausbremsen.

Bei der Vorlage ihres jüngsten Verhandlun­gsangebots versäumte es die Pilotengew­erkschaft Vereiniab.

Frankfurte­r Allgemeine­n.

gung Cockpit jedenfalls nicht, darauf hinzuweise­n, dass dieser Erfolg „die Zukunft besser vorhersehb­ar gemacht“habe. Folglich gehe es nun nicht um Personalab­bau, sondern um Zugeständn­isse bei Gehalt und Altersvers­orgung, um „schnell und reibungslo­s aus der Krise zu starten sowie eventuell frei gewordene Märkte zu besetzen“.

Doch so schnell, wie das viele gerne hätten, dürfte das nicht gehen, erklärt Luftfahrt-Analyst Schlamp. Denn zunächst müssten weite Teile der Bevölkerun­g geimpft werden – weltweit. Das dauert und deswegen dürfte auch das Jahr 2021 noch schwierig werden. „Gerade Länder, die auf einem guten Weg sind, werden natürlich sehen, dass sie sich nicht wieder neue Fälle ins Land holen“, sagt Schlamp. Vielleicht braucht man zum Fliegen in Zukunft einen Impfpass oder muss vor dem Abflug einen Corona-Test machen? Die Lufthansa experiment­iert jedenfalls schon auf einer Strecke mit verpflicht­enden Antigentes­ts vor dem Abflug. Viele weitere Fragen sind auch noch offen: Wie lange hält die Immunität an? Wird das Virus mutieren und die Wirksamkei­t der Impfung nachlassen? Abgesehen davon wird die Krise auch in anderen Branchen strukturel­le Veränderun­gen hinterlass­en. Viele Treffen und Konferenze­n dürften auch nach der Krise digital stattfinde­n, weil Unternehme­n sparen müssen oder wollen. Auch bei vielen Arbeitnehm­ern sieht es dann vielleicht finanziell nicht so gut aus, sodass Flugreisen in den Urlaub ausfallen könnten.

Wer jetzt voller Optimismus in Lufthansa-Aktien investiert, könnte also noch eine Bauchlandu­ng hinlegen. Denn ein gewichtige­r Punkt ist noch gar nicht erwähnt: Die Lufthansa verfügt zwar durchaus noch über eine beruhigend­e Liquidität­sreserve. 6,3 Milliarden Euro aus dem Hilfspaket der Bundesregi­erung sowie aus ähnlichen Paketen in der Schweiz, Österreich und Belgien sind noch nicht abgerufen. Insgesamt standen Ende September liquide Mittel in Höhe von 10,1 Milliarden Euro zur Verfügung. Aber die Gelder müssen ja wieder zurückgeza­hlt werden. Das kann dauern, zumal die Gewinnmarg­en eher sinken werden, wenn die vielen stillgeleg­ten Flugzeuge wieder aktiviert werden und das Angebot steigt. Und das schmälert die Investitio­nen, etwa in neue, effiziente­re Flugzeuge.

Der Personalab­bau ist noch längst nicht abgeschlos­sen

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Der Lufthansa‰Konzern muss derzeit an vielen Stellen gleichzeit­ig saniert werden. Doch die Börse zeigt sich optimistis­ch.
Foto: Sven Hoppe, dpa Der Lufthansa‰Konzern muss derzeit an vielen Stellen gleichzeit­ig saniert werden. Doch die Börse zeigt sich optimistis­ch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany