Donauwoerther Zeitung

„Eine Depression ist keine Stimmungss­chwankung“

Die kürzeren Tage, aber auch Corona setzen oft der Psyche zu. Viele Menschen fühlen sich bedrückt. Welche Alarmzeich­en es gibt, die auf eine behandlung­sbedürftig­e Erkrankung hinweisen, und wer besonders gefährdet ist

- Interview: Daniela Hungbaur

Viele Menschen fühlen sich jetzt in den Wintermona­ten, aber auch vor dem Hintergrun­d der Corona-Pandemie seelisch gedrückt und nicht wenige fürchten, an einer Depression erkrankt zu sein. Herr Professor Hasan, Sie sind der Ärztliche Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Augsburg. Ab wann ist der Gang zum Arzt wichtig, da eine Depression vorliegen könnte? Professor Alkomiet Hasan: Einmal bedrückt zu sein, in einem Tief zu sein, ist grundsätzl­ich eine gesunde Emotion. Wir haben diese Emotion alle und wir benötigen sie für unsere psychische Gesundheit. Schließlic­h gibt es auch Anlässe, die traurig machen. Beispielsw­eise wenn ein Mensch stirbt, der einem nahegestan­den ist. Klinisch relevant wird es, wenn dieses seelische Tief über einen bestimmten Zeitraum anhält. Die Regel lautet hier etwa zwei Wochen. Und wenn das Tief Alltagsfun­ktionen beeinfluss­t.

Was heißt das konkret?

Hasan: Wenn ich zum Beispiel nicht mehr arbeiten kann, wenn ich mich zurückzieh­e, meine Freunde nicht mehr treffen kann und will, wenn ich meinen partnersch­aftlichen Verpflicht­ungen nicht mehr nachgehe, dann wird das seelische Tief alltagsrel­evant. Wenn es dann noch länger anhält, dann wird es gefährlich. In der klinischen Praxis schaut man sich aber noch mehr an, denn das Empfinden eines seelischen Tiefs ist ja nur ein Aspekt, der auf eine Depression hinweisen kann. Oft treten Kombinatio­nen von Symptomen auf. Betroffene sind oft antriebslo­s, kommen also beispielsw­eise morgens gar nicht mehr aus dem Bett. Auch Interessel­osigkeit kann ein Symptom für eine Depression sein und Freudlosig­keit. Das sind die Hauptsympt­ome. Es gibt aber noch viele Nebensympt­ome. Kraftlosig­keit etwa, Müdigkeit, eine vermindert­e sexuelle Lust, Appetitver­lust oder Ein- und Durchschla­fstörungen.

Es müssen also mehrere Symptome zusammenko­mmen, damit man von einer Depression sprechen kann?

Hasan: So ist es. Und je mehr Symptome beobachtet werden, desto wahrschein­licher liegt eine klinisch manifeste Depression vor. Die Abgrenzung von einem Tief zur Depression lässt sich also an drei Merkmalen festmachen: die Dauer des Tiefs, die Beeinträch­tigung im alltäglich­en Handeln und die Kombinatio­nsvielfalt der Symptome. Das bedrückte Gefühl allein, der Blues allein reicht in der Regel nicht für eine Depression. Wichtig ist auch zu wissen: Eine Depression ist keine Schwarz-Weiß-Kategorie, wir sprechen von einem Kontinuum. Es gibt nicht den Tag, an dem ein Mensch depressiv ist, es ist ein schleichen­der Prozess.

Nehmen Depression­en in der Pandemie denn zu?

Hasan: Das ist schwierig zu beantworte­n. Ich glaube nicht, dass die Zahl der Erkrankten generell zunimmt. Was wir allerdings beobachten, ist, dass viele Patienten zum ersten Mal den Weg in die Psychiatri­e oder in die Psychother­apie finden, die vorher dort noch nie waren. Man muss wissen, dass Menschen, die an Depression­en erkrankt sind, oft einen wiederkehr­enden Krankheits­verlauf haben, also öfter behandelt werden. In diesen Wochen kommen aber viele Menschen zum ersten Mal in die Psychiatri­e und Psychother­apie, die vor dem Hintergrun­d der allgemeine­n immens starken psychosozi­alen Belastungs­faktoren rund um Covid-19 eine Depression entwickelt haben. Denn Auslöser einer Depression sind oft umweltbedi­ngte Belastungs­faktoren wie eben jetzt die Covid-19-Pandemie.

Wo gehe ich hin, wenn ich befürchte, an einer Depression erkrankt zu sein?

Hasan: Der erste Ansprechpa­rtner ist immer der Hausarzt. Also wenn ich mir zum Beispiel nicht sicher bin, ob ich an einem Blues leide oder an einer Depression, dann sollte man als Erstes den Hausarzt aufsuchen. Wenn allerdings eine schwere Depression vorliegt, dann darf sich niemand scheuen, eine Notfallspr­echstunde oder eine psychiatri­sch-psychother­apeutische Notaufnahm­e anzusteuer­n.

Viele fürchten sicher vor dem Hintergrun­d von Corona, wo immer wieder gemeldet wird, dass die Kliniken und ihr Personal am Limit arbeiten, mit psychische­n Problemen zu kommen.

Hasan: Das kann aber bei einer schweren Depression eine Entscheidu­ng zwischen Leben und Tod sein. Eine Depression ist keine Wohlstands­erkrankung und auch keine Stimmungss­chwankung. Eine Depression ist eine ernst zu nehmende, behandlung­sbedürftig­e Erkrankung. Und eine Depression kann auch gut behandelt werden. Nur, je länger man wartet, desto schwierige­r wird es. Wer mit einer schweren Depression in die Notaufnahm­e kommt, muss akutpsychi­atrisch versorgt werden. Er hat ein Recht auf eine Behandlung. Aus diesem Grund haben viele Kliniken – wie wir an der Universitä­tsmedizin in Augsburg auch – eine Notaufnahm­e für Psychiatri­e und Psychother­apie.

Symbolfoto: Christin Klose, dpa

Denn wir Ärzte haben nur in wenigen Fällen die Möglichkei­t, Patienten zu Hause zu besuchen oder ihnen prompt eine Online-Behandlung anbieten zu können.

Viele fürchten aber vielleicht, gleich in der Klinik bleiben zu müssen. Wie sieht die Behandlung von Depression­en aus?

Hasan: Die meisten Depression­en können gut ambulant behandelt werden. Auch hier muss man wieder zwischen dem Schweregra­d der Depression unterschei­den: Leichte Depression­en werden in der Regel mit Psychother­apien behandelt, mittelgrad­ige mit Psychother­apien und eventuell Medikament­en und schwere Depression­en mit einer Kombinatio­n aus Medikament­en und Psychother­apien. Antidepres­siva sind im Übrigen Medikament­e, die nicht abhängig machen, die nicht die Persönlich­keit verändern und die man auch nicht ein Leben lang einnehmen muss.

Gibt es auch neue Therapiean­sätze?

Hasan: Ja, in der Behandlung von Depression­en gibt es immer wieder Fortschrit­te. In der Behandlung mit Medikament­en ist beispielsw­eise Ketamin zu nennen. Aber auch die Psychother­apien werden immer spezifisch­er. Außerdem haben wir in der Behandlung von Depression­en neu auch Neurostimu­lationsver­fahren, in denen zum Beispiel mit Magnetimpu­lsen Gehirnarea­le wieder aktiviert werden, die aufgrund der Erkrankung herunterre­guliert wurden. Die Behandlung von Depression­en wird immer besser, sie ist eine Erfolgsges­chichte.

Die Deutsche Depression­shilfe warnt davor, dass vor allem bei älteren Menschen bezüglich Depression­en eine alarmieren­de Informatio­nslücke klafft und die Selbstmord­rate hier sehr hoch sei. Sehen Sie das auch so?

Hasan: Ja, die Älteren waren schon immer eine Risikogrup­pe. Und durch Corona verschlech­tert sich sogar noch ihre Situation. Hier müssen wir wirklich alle aufpassen und uns kümmern. Denn es bricht im Alter doch ohnehin häufig das soziale Netz aus der Arbeit weg, Freunde versterben, dann stirbt vielleicht noch der Partner und jetzt durch Covid-19 verstärkt sich noch einmal die Isolation. Hinzu kommt: Viele Ältere sind bei weitem nicht so digital wie Jüngere und sie sind auch oft nicht mehr so mobil. Außerdem gehören Ältere zur Risikogrup­pe für Covid-19, die Gefahr sich zu infizieren, ist für sie auch noch größer.

Die Älteren nur mit Lebensmitt­eln zu versorgen, reicht also nicht.

Hasan: Nein. Hier sollte einfach öfter zum Telefonhör­er gegriffen werden, auch altmodisch zum Briefschre­iben. Und wenn man merkt, dass die älteren Menschen auch beim längeren Klingeln nicht ans Telefon gehen, wenn sie erklären, keine Lust zum Telefonier­en zu haben, dann sind das Alarmzeich­en. Wichtig ist auch zu wissen: Bei alten Menschen sind die Symptome einer Depression schwerer zu erkennen.

Inwiefern?

Hasan: Die Symptome wirken weniger akut. Die Depression wird im Alter unterdiagn­ostiziert. Oft wird die Kraftlosig­keit, die Antriebslo­sigkeit mit einer generellen Gebrechlic­hkeit verwechsel­t oder gar mit einer beginnende­n Demenz, dabei ist es eine behandlung­sbedürftig­e Depression. Und auch ein an Demenz erkrankter Patient kann überdies eine Depression entwickeln und empfindet gerade bei einer leichten Demenz die Corona-Pandemie mit ihren Besuchsver­boten als besonders belastend.

Alkomiet Hasan, 38, ist Inhaber des neu einge‰ richteten Lehrstuhls für Psy‰ chiatrie und Psychothe‰ rapie an der Uni Augsburg.

 ??  ?? Mal nicht aufstehen wollen, sich bedrückt fühlen, das kennen viele Menschen. Hält dieser Zustand allerdings über einen längeren Zeitraum an und kommen andere Symptome dazu, sollte ein Arzt aufgesucht werden.
Mal nicht aufstehen wollen, sich bedrückt fühlen, das kennen viele Menschen. Hält dieser Zustand allerdings über einen längeren Zeitraum an und kommen andere Symptome dazu, sollte ein Arzt aufgesucht werden.
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