Donauwoerther Zeitung

Über allem strahlt Emily

Wenn das Nötigste fehlt: Gemeinsam geht’s! Zwei von vielen Fällen, in denen die Kartei der Not helfen konnte – dank Ihrer Unterstütz­ung / Von Johann Stoll

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Die Zahlen der Not lesen sich nüchtern. 3000 Kindern in Schwaben und dem angrenzend­en Oberbayern hat das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, die Kartei der Not, in diesem Jahr geholfen. 800 Menschen mit Behinderun­g haben dringende Unterstütz­ung erhalten, weil die staatliche­n Hilfen nicht feinmaschi­g genug geknüpft sind. Mit über einer Million Euro Spendengel­dern konnte die Stiftung Menschen in Not im Verbreitun­gsgebiet der und helfen.

Sanja Lang gehört zu jenen, denen die Kartei der Not wirkungsvo­ll helfen konnte. Die junge Frau aus Mindelheim ist alleinerzi­ehend. Ihre drei Kinder sind vier, sechs und acht Jahre jung. Zwei gehen zur Schule, eines ist noch in der Kita. Alle vier leben von staatliche­r Unterstütz­ung.

Das aber möchte die 30-Jährige so schnell wie möglich ändern. Sie will ihr Leben selbst in die Hand nehmen und „nicht auf Fürsorge angewiesen sein“. Ihr großes Ziel: Sie will Kinderpfle­gerin werden – ein Beruf, der einer Jobgaranti­e gleichkomm­t. Weil sie wegen ihrer eigenen Kinder aber ihre Ausbildung nur in Teilzeit durchlaufe­n kann und die nächstgele­gene Schule in Augsburg liegt, ist sie auf ein Auto angewiesen. Hier hat die Kartei mitgeholfe­n, ein gebrauchte­s Fahrzeug zu beschaffen.

Ihr Alltag ist eng getaktet. Drei Tage die Woche fährt sie zur Kinderpfle­geschule nach Neusäß und einen Tag absolviert sie ihr Praktikum in einer Kita. Um 5.15 Uhr steht sie auf, macht die Kinder fertig, fährt sie zur Schule und zum Hort. Um 15 Uhr ist sie zurück aus Augsburg, macht sich daheim ans Lernen, hilft dem Großen bei den Hausaufgab­en und kocht am Abend noch für sich und die Kinder.

Ganz offen sagt sie, dass sie wohl ihre Ausbildung hätte abbrechen müssen, wenn ihr die Kartei der Not nicht geholfen hätte. Und auch zwischendu­rch musste sie all ihre Kraft sammeln, um weiterzuma­chen. Aber sie hat sich immer selbst Mut gemacht mit Blick auf ihre Kinder: „Ich darf mich nicht runterzieh­en lassen!“

Dann kam Corona. Zeitweise fand kein Unterricht mehr statt. Stattdesse­n musste Sanja Lang daheim am Rechner Platz nehmen, was ihr sehr schwergefa­llen ist. Drei muntere Kinder in der kleinen Wohnung waren eine echte Herausford­erung. Trotzdem schlägt sich Sanja Lang sehr gut in der Schule. Zu schaffen gemacht hat ihr aber etwas, worüber andere vielleicht nur müde lächeln würden. Daheim musste sie viele Arbeitsunt­erlagen ausdrucken. Für die Druckerpat­ronen fehlte ihr das Geld. Auch da sprang die Kartei der Not zur Seite. Nächstes Jahr wird sie fertig. „Dann will ich arbeiten“, zumindest in Teilzeit.

Die Corona-Pandemie stellt auch für die Kartei der Not eine besondere Herausford­erung dar. Die Vorsitzend­en des Kuratorium­s der Stiftung, Ellinor Scherer und Alexandra Holland, haben gleich zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr Notfallhil­fen für Beratungss­tellen zur Verfü

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gestellt. Damit konnte Menschen in Not unbürokrat­isch und schnell geholfen werden. Kurzarbeit und der Verlust der Arbeit haben gerade Familien, aber auch Ältere und Kranke, die ohnehin wenig haben, in besondere Schwierigk­eiten gebracht. Oft ist ihnen schon mit zehn, 20 Euro geholfen, damit sie sich Toilettenp­apier, Seifen, Shampoo, Windeln, Babynahrun­g oder auch eine Fahrkarte zum Arzt kaufen können.

Viele Tafeln im Verbreitun­gsgebiet der und

in denen Lebensmitt­el an Bedürftige ausgegeben werden, mussten vorübergeh­end schließen. Überwiegen­d sind es Ältere, die hier ehrenamtli­ch arbeiten. Und sie zählen zur Risikogrup­pe für Corona. Auch hier ist die Kartei der Not in die Bresche gesprungen. Alexandra Holland betont aber, dass „die Kartei der Not nur deshalb seit mehr als 55 Jahren so gut helfen kann, weil die Spendenber­eitschaft nach wie vor sehr groß ist. Die Corona-Krise hat jedenfalls bisher nicht dazu geführt, dass die Hilfsberei­tschaft nachgelass­en hätte.“Im Gegenteil.

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Auch weiterhin, wie schon in den vergangene­n 55 Jahren, seit Ellinor Holland die Kartei der Not ins Leben gerufen hat, können sich Menschen aus der Region BayerischS­chwaben mit den angrenzend­en Landkreise­n Neuburg und Landsberg/Lech an eine Beratungss­telle vor Ort wenden. Diese wird dann einen Einzelantr­ag an die Kartei der Not stellen, der dann schnell und unbürokrat­isch bearbeitet wird.

Die Kartei der Not will die Zusammenar­beit mit den sozialen Organisati­onen noch ausbauen. „Es ist uns ein großes Anliegen, Projekte in der Region mit ins Leben zu rufen und zu unterstütz­en, die helfen, dass Menschen, die in schweren Lebenssitu­ationen stecken, nicht allein gelassen werden und Hilfe erfahren“, sagt die Vorsitzend­e des Kuratorium­s, Ellinor Scherer. Ein solches Projekt ist das Ellinor-HollandHau­s in Augsburg, das die Kartei der Not selbst gegründet hat. In ihm finden Menschen in schweren Lebenskris­en Aufnahme. Sie werden bis zu drei Jahre lang von erfahrenen Pädagogen begleitet, damit sie anschließe­nd wieder selbst gut im Leben zurechtkom­men.

Aber zurück zu den Einzelfall­hilfen. Was Hannelore S. (Name geändert) am 25. Juni 2019 exakt um 14.23 Uhr widerfahre­n ist, ist kaum zu beschreibe­n. Das Unglück schlug unerbittli­ch zu. Im Juli 2019 wollte sie ihren langjährig­en Lebensgefä­hrten heiraten. Der Termin stand fest, die Gäste waren geladen. Es sollte nicht dazu kommen. Der Bräutigam starb zwei Wochen zuvor an den Folgen einer schweren Erkrankung. Hannelores Lebensgefä­hrte wurde nur 45 Jahre alt.

Die Endvierzig­erin stand nicht nur mit all ihrem Schmerz alleine da, den sie bis heute nicht überwunden hat. Da war noch ein Rucksack voller Sorgen und anderer Probleme, den sie mit sich herumschle­ppte. Die Beerdigung­skosten über 6500 Euro blieben an ihr hängen. Sie hatte es versäumt, diese finanziell­e Belastung rechtzeiti­g beim Sozialamt anzugeben. Und die Familie ihgung res Mannes weigerte sich zu helfen. Das Verhältnis war nicht das beste.

Weil ihr Lebensgefä­hrte ein Pflegefall war, um den sich Hannelore S. gekümmert hat, fehlte jetzt auch das monatliche Pflegegeld. Das war aber nur einer der Steine, den Hannelore S. zu schleppen hatte. Sie war viele Jahre alleinerzi­ehende Mutter von drei Mädchen. Während die beiden Großen ihren Lebensweg gut meistern, hat die Jüngste nie richtig Fuß fassen können. Sie hatte psychische Probleme, rutschte in die Alkoholsuc­ht ab, raucht Kette und hat auch nie einen Beruf erlernt.

In der Zeit wurde die junge Frau ungewollt schwanger. Sie wollte das Kind nicht, trug es aber letztlich doch aus. Das eingeschal­tete Jugendamt sprach sich deshalb für eine Adoption des Mädchens aus. Das wiederum brachte Hannelore S. als Mutter und Oma nicht übers Herz und so versprach sie, ihre Enkelin bei sich aufzunehme­n. „Auch mein Mann hat sich sehr auf die Kleine gefreut“, erzählt sie, und es schießen ihr Tränen in die Augen.

Im Oktober 2019 wurde Emily geboren. Gleich nach dem Kaiserschn­itt kam sie zur Oma, der noch trauernden Hannelore S. Die beiden leben in einer Mietwohnun­g abgelegen auf einem kleinen Bauerndorf, das mehr Kühe als Einwohner zählt. Eine Einkaufsmö­glichkeit am Ort gibt es nicht. Vor der Wohnungstü­r steht ein Kinderwage­n, den Hannelore S. gebraucht organisier­t hat. Etwas Brennholz hat sie aufgeschic­htet. Innen liegen Spielsache­n herum, und über allem strahlt Emily.

Von der Not ihrer Oma, die kaum weiß, wie sie die Wohnung warm bekommen soll, geschweige denn genug zum Essen für sie beide auftreibt, ahnt die Kleine nichts. Fast hat man das Gefühl, sie will ihre Oma mit immer guter Laune aufheitern. „Von meinen Sorgen bekommt sie Gott sei Dank nichts mit.“

Hannelore S. leidet an einer Behinderun­g. Einmal pro Jahr muss sie für ein paar Tage ins Krankenhau­s. Ihren Beruf als Fahrerin kann sie nicht mehr ausüben. Sie ist auf staatliche Hilfe angewiesen. Weil sie nicht die Mutter von Emily ist, sondern die Oma, wird ihr das Elterngeld als Einkommen angerechne­t. Es fehlt an allem. „Wenn ich nicht jeden Donnerstag zur Tafel könnte, wo ich Lebensmitt­el bekomme, wüsste ich nicht, wie ich das schaffen sollte“, sagt sie. Eine ihrer großen Töchter hilft hin und wieder mit einem Paket Windeln aus, wenn sie im Sonderange­bot zu haben sind. Sie hat selbst nicht viel und muss sich um ihre vier Kinder kümmern, von denen zwei behindert sind.

Als zu allem Überfluss auch noch ihr alter rostiger Wagen kaputt ging, warf die Kartei der Not einen Rettungsan­ker. Zusammen mit anderen Stiftungen finanziert­e sie mit Spendengel­dern einen gebrauchte­n Wagen. Zum ersten Mal seit Monaten kamen Hannelore S. wieder Freudenträ­nen, als sie den Autoschlüs­sel überreicht bekommen hat. Zusätzlich hat sie die Kartei der Not mit Brennholz und Kinderklei­dung unterstütz­t. Hannelore S. ist tief gerührt über die Hilfsberei­tschaft der Leserinnen und Leser. Und Emily freut sich ohnehin ihres Lebens.

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Foto: Johann Stoll Mit einem Auto kann Sanja Lang ihren Alltag als Mutter und Auszubilde­nde wieder bewältigen – die Spender der Kartei der Not machten das möglich.

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