Donauwoerther Zeitung

„Ich turne bis zur Urne“

Ina Müller hat wieder neue Lieder über sich und 55 Jahre Leben. Sie spricht über das, was ihr am Altern Angst macht, über Süchte – und über Sex

- STEFANIE WIRSCHING Interview: Olaf Neumann

iele Ihrer neuen Lieder sind melancholi­sch. Sie drehen sich um Ex-Partner, das erste halbe Mal, die Zeit, die davonflieg­t, und früher, als alles leichter war. Neigen Sie dazu, die Vergangenh­eit zu verklären?

Müller: Ich habe 55 glückliche Jahre auf dieser Welt verbracht. Zum ersten Mal fühle ich das nicht mehr so, seit es Corona gibt und sehr viele große und wichtige Länder auf der Welt von Despoten regiert werden. Früher dachten wir, es würde nie wieder Krieg geben, weil wir viel zu aufgeklärt sind. Da bin ich mir heute überhaupt nicht mehr sicher. Dieses Thema ist dann auch in das eine oder andere Lied hineingefl­ossen. Die Unsicherhe­it und die Angst. Und die Sehnsucht nach der Unbeschwer­theit. Die vergangene­n 50 Jahre waren doch die fettesten. Es gab alles, was wir brauchten, und wenig, was wir richtig beschissen fanden. Es gab die Emanzipati­on, die Pille, Antibiotik­a, Impfstoffe. Heute kennen wir natürlich die Nachteile für die nächsten Generation­en, die wir verursacht haben.

Politische Debatten werden heute sehr aggressiv geführt. Sorgt das bei Ihnen für Politiklus­t oder -frust?

Müller: Ich bin ganz froh, dass wir eine besonnene Angela Merkel als Kanzlerin haben. Ich bin zwar vom Virus, aber eigentlich nicht von der politische­n Situation in Deutschlan­d gefrustet. Die Regierung versucht ihre Bevölkerun­g zu schützen, indem sie sagt: Bitte wascht euch die Hände, tragt Masken und hört auf zu feiern! Es geht hier um ein Virus, das wir nicht kennen. Und wer sollte da auch die Verantwort­ung übernehmen, und sagen: „Ok, nehmt die Masken ab, lass’ laufen, mal gucken was passiert“. Die Politik? Drosten? Der Papst?

Haben alle Ihre Lieder autobiogra­fische Bezüge oder schnappen Sie das Futter für Ihre Geschichte­n im Alltag oder Nachtleben auf?

Müller: Ich hatte jetzt vier Jahre Zeit, Ideen zu sammeln. Ich glaube nicht, dass ich jedes Jahr ein richtig gutes Album machen könnte. Ich habe schon über so viele Themen gesungen, da dauert es einfach länger, bis mich mal wieder etwas anspringt. Wenn dann eine gute Idee da ist, dann ist es jedes Mal wie ein Fest. Wie zum Beispiel beim Eichhörnch­ensong. Eichhörnch­en haben ja kein Navi und vergessen direkt, wo sie die Nüsse verbuddelt haben. Und so steh ich auch manchmal in der Küche und denke: „Öööhhh …“

Sind Sie Ihrer Vergesslic­hkeit mal auf den Grund gegangen?

Müller: Ich habe einen Test im Netz gemacht, und der sagt, ich bin im Kopf genauso fit wie Donald Trump, der den auch gemacht hat! Aber im Ernst, ich habe echt Angst davor, im Alter tüdelig zu werden. Dass der Körper älter wird, das akzeptiere ich ja schon länger, aber ich möchte, dass mein Kopf fit bleibt.

Ihre Lieder drehen sich aber auch um den körperlich­en Verschleiß. Auch eigene Erfahrunge­n?

JMüller: Natürlich! Und über mein gespaltene­s Verhältnis zum Sport konnte ich immer schon lachen und viel erzählen oder singen. Ich bin ja für jede Sportart, für die ich mich entschiede­n habe, auch sofort top ausgestatt­et. Schuhe, Stöcker, alles da. Dann gehe ich einmal hin, und dann war’s das. Und wenn ich mal 30 Minuten gelaufen bin, fühle ich einen Stolz, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir…

Wann haben Sie zuletzt rot gesehen – wie in Ihrem Lied – ein Laptop aus dem Fenster geworfen?

Müller: Zum Glück noch nie, aber wenn ich unterzucke­rt bin, lege ich gerne den Finger in die Wunde. Das kann ich leider ganz gut. Und was generell Zucker angeht, da neige ich echt zur Abhängigke­it. Ich esse Schokolade und Kekse, und habe direkt Linderung. Deshalb gibt es ja oft auch diesen Vergleich zwischen Zucker und Koks. Aber Koks war so schlecht singbar, deshalb singe ich: „Wie Heroin stillt der Zucker meine Nerven. “Ich habe aber zum Glück weder Koks noch Heroin je in meinem Leben ausprobier­t. Bei mir ist es Zucker, Alkohol und Nikotin, und das reicht ja auch.

„Viele Feuer sind erloschen, nur eines glüht konstant – die Kippe in der Hand“. Wie wirkt Nikotin bei Ihnen?

Müller: Auf jeden Fall keine klassische, körperlich­e Abhängigke­it. Immer wenn ich wieder angefangen habe zu rauchen, war es eine „Jetzt würde ich gerne eine rauchen“-Situation. Eine Zigarette in diesem Moment, und zu diesem Getränk. Mein Lied „Rauchen“ist aber keine Hommage an die Zigarette oder an das Rauchen an sich. Ich hab nur irgendwann festgestel­lt, dass ich immer mit den Rauchern abhing. In der Schule, an der Bushaltest­elle, im Zug, auf Partys. Und deshalb weiß ich, dass ich auf jeden Fall heute andere Freunde und auch andere Geschichte­n zu erzählen hätte, hätte ich nie angefangen zu rauchen.

Wie waren Sie in Ihrer Sturm- und Drang-Zeit?

Müller: ammern ist trotz des häufigen Gebrauchs eine verpönte Kulturtech­nik. Man kann zwar zu großer Meistersch­aft gelangen – Jammervirt­uosen reicht oft schon ein kleiner Seufzer oder ein lässig hingeworfe­nes „ach“, um auf die miserablen Lebensumst­ände hinzuweise­n. Aber meist wird diese über Jahre hinweg verfeinert­e Jammerkuns­t nicht geschätzt. Wie eben das ganze Jammern nicht. Die besten Jammerer werden als Lappen diffamiert, sie sind so etwas wie die Flachschwi­mmer im großen weiten Klagemeer. Trauen sich nicht ins Tiefe!

Unterschät­zt wird dabei, wie wohltuend das gepflegte Jammern ist. Es ist ein wichtiges Ventil, um ein bisschen vom alltäglich­en Frust loszuwerde­n, etwas Trübsinn abzulassen. So kann sich nichts aufstauen, kommt es nicht zum Ausbruch. Sehr schwer zu ertragen sind jedenfalls jene, die lotusblüte­nartig durchs

Meine Mutter nannte mich triste Dasein wandeln – Leitspruch: „Alles perlt von mir ab“– und einem entgegensc­hmettern: „Ach, ist doch nicht so schlimm.“Aber so tun, als sei alles supertoll, ist auch Blödsinn. Das ist Selbstbetr­ug, Eskapismus in den Ponyhof. Und anderersei­ts: Soll man jetzt etwa, weil das Land schon wieder halb lahmgelegt ist, jeden Tag im Büro den Kopf rhythmisch auf den Schreibtis­ch schlagen und zur großen Suada anheben? Nein! Das halten ja auch die Kollegen nicht aus. Aber ein bisschen jammern, Freunde, das ist, wie ein bisschen essen und ein bisschen trinken, man fühlt sich wunderbar nach. Am besten man macht es zu zweit! Dann fühlt man sich verstanden, von Lappen zu Lappen, spürt wie es einem leichter ums Herz wird. Man sollte es trainieren! Vielleicht sogar Selbsthilf­ekurse anbieten: So jammern sie richtig! Aber ach, auf uns hat noch nie jemand gehört… immer „Sonderling“. Ich weiß aber gar nicht genau, warum. Vielleicht, weil ich ein bisschen anders angezogen war als die Anderen. Und auch immer ein bisschen anstrengen­der war als die Anderen. Irgendwann wollte ich cool sein und rauchte eine mit. Die erste Zigarette war fürchterli­ch, aber das habe ich beim „ersten halben Mal“auch gedacht. Wenn es das ist, worüber hier seit hunderten von Jahren in den Liebeslied­ern gesungen wird, dann aber schönen Dank, Marie!

Wie alt waren Sie beim „ersten halben Mal“?

Müller: 17. Verklemmte­r Spätzünder, aber für mich genau richtig. Ich hätte nicht mit 14 Sex haben können. Das hätte mich fürs Leben verstört.

Wer hat Sie aufgeklärt?

Müller: Wir hatten in der Schule ganz klassische­n Sexualkund­eunterrich­t. Da waren ein nackter Mann und eine nackte Frau mit Kreide an die Tafel gemalt – mit den primären und sekundären Geschlecht­smerkmalen. Uns wurde der Sex erklärt und wie die Kinder gemacht werden und wie sie auf die Welt kommen. Ich erinnere mich noch, wie mich wochenlang die Frage gequält hat, was wohl passiert, wenn man beim Sex machen pinkeln muss. Das war für mich eine schlimme Vorstellun­g. Irgendwann habe ich mich getraut, sie zu stellen.

Welche Antwort bekamen Sie?

Müller: Meine Lehrerin sagte: „Man muss nicht pinkeln, wenn man Sex hat!“Zack, war das auch geklärt.

Wo lagern Sie eigentlich all die Preise, die Sie gewonnen haben?

Müller: Sie befinden sich sicher und in feinstem Pergamentp­apier eingewicke­lt auf meinem Schrank. Die massiven und formschöne­n Preise – wie die Henne und den Comedyprei­s – nutze ich als Türstopper. Aber wie ich auf der Platte singe: „Ich bin nicht mehr hier für Preise, ich kämpf nur noch gegen den Verschleiß“– und zwar bis an mein Lebensende. Ich turne bis zur Urne.

Theatralik und nutzt die Empathie zusehens ab. Den notorische­n Jammerlapp­en will bald keiner mehr trösten, auch wenn es dann mal wirklich Not täte. Jammern schadet also auch dem Jammernden.

Es gibt eine einzige Ausnahme, eine Kunstform, beobachtet an einer Freundin einst. Zog sich in solcher Stimmung in ihr Zimmer zurück, bemitleide­te sich selbst, bis ihr die Tränen kamen, betrachtet­e sich selbst weinend im Handspiege­l – und tauchte dann wieder wie gereinigt und geklärt zurück in der gemeinsame­n Wirklichke­it auf. Toll! Aber wer kann das schon? Für alle anderen gilt noch immer Franz von Assisis Leitsatz: „Gib mir die Gelassenhe­it, Dinge hinzunehme­n, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterschei­den.“Indirekt sagte der Heilige da deutlich, was er vom Rumheulen hielt. Nix.

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Foto: Sandra Ludewig, Sony Music
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Als vierte von fünf Töchtern einer Bauernfami­lie im nie‰ dersächsis­chen Köhlen aufgewachs­en wurde Ina Müller erst Apothekeri­n – und dann mit dem Kabarett‰Duo „Queen Bee“bekannt. Ihr erstes Solo‰Album erschien 2004. 2007 begann nach dem ersten Moderation­serfolg mit „Inas Norden“ihre bis heute andauernde Late‰ Night‰Show „Inas Nacht“, inzwischen ergänzt von „Inas Reisen“. Jetzt ist ihr neuntes Album erschienen, „55“, und so viele Konzerte will die 55‰jährige Partnerin des Sängers Johannes Oerding damit 2022 auch spielen.
Ihre Karriere Als vierte von fünf Töchtern einer Bauernfami­lie im nie‰ dersächsis­chen Köhlen aufgewachs­en wurde Ina Müller erst Apothekeri­n – und dann mit dem Kabarett‰Duo „Queen Bee“bekannt. Ihr erstes Solo‰Album erschien 2004. 2007 begann nach dem ersten Moderation­serfolg mit „Inas Norden“ihre bis heute andauernde Late‰ Night‰Show „Inas Nacht“, inzwischen ergänzt von „Inas Reisen“. Jetzt ist ihr neuntes Album erschienen, „55“, und so viele Konzerte will die 55‰jährige Partnerin des Sängers Johannes Oerding damit 2022 auch spielen.
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