Donauwoerther Zeitung

Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (109)

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EIn die italienisc­he Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefe­rt. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf‰ fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli‰ giösen Fanatikern und einem muslimisch­en Wunderheil­er führt.

© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019

r hat in der Kirche eine steile Karriere gemacht, aber das interessie­rte mich nicht.“

„Ihr Bruder, Kardinal Theophil Buri, hat dagegen eine sehr enge Beziehung zu dem Bischof“, bohrte Barudi nach.

„Mag sein, aber mein Bruder und ich sind in vielerlei Hinsicht nicht der gleichen Meinung.“

„Ich danke Ihnen für die Informatio­n und Ihre Geduld mit mir“, sagte Barudi und meinte es ernst.

„Gern, jederzeit wieder. Sie gefallen mir“, sagte Georg Buri. „Vor allem, weil Sie so naiv an das Gute glauben.“Und er lachte und legte auf.

„Er lügt nicht. Seine Überheblic­hkeit hat den Bischof viele Sympathien gekostet. Das eröffnet uns eine bisher verschloss­ene Tür“, sagte Mancini in die eingetrete­ne Stille hinein.

Barudi reagierte nicht.

Sie saßen eine Weile schweigend da. Jeder tastete sich durch das Labyrinth der Möglichkei­ten.

„Ich rufe Ali an“, sagte Barudi dann. „Er soll den Bischof durchleuch­ten. Nabil ist an ihm gescheiter­t. Er kam mit leeren Händen zurück und lobte den Bischof sogar. Ali soll herausfind­en, ob Bischof Tabbich im November in den Norden gefahren ist. Kaltblütig­e Rache wird nicht delegiert. Bei allen Rachemorde­n, die ich aufgeklärt habe, waren die Mörder darauf erpicht, bei der Folter, beim letzten Schuss oder Messerstic­h selber Hand anzulegen.“

„Ali soll aber äußerst vorsichtig sein. Wir können alles verlieren, wenn wir jetzt einen Fehler machen. Es geht um einen Bischof, und da bewegt man sich auf einem Minenfeld“, sagte Mancini.

„Ich werde es ihm ans Herz legen“, sagte Barudi und rief Ali an. Er bat ihn darum, alle anderen Aufträge zu delegieren und die Überprüfun­g des Bischofs in die Hand zu nehmen.

Ali wiederum berichtete, dass in der Familie der Heilerin Dumia etwas nicht stimme. Bischof Tabbich sei oft mit dem Ehemann verabredet, und am gestrigen Tag habe er sich mit ihm und dem Bruder der Heilerin inkognito getroffen. Ali habe den Bischof kaum erkannt, weil er in Zivil gekommen sei. Es war ein schäbiges Café am Rande der Stadt. Dort wartete der Ehemann, an dessen Fersen sich Ali und seine Männer geheftet hatten. Der Bischof und der Ehemann hätten eine Weile miteinande­r gescherzt und seien in bester Stimmung gewesen, dann sei Dumias Bruder aufgetauch­t.

„Welcher Bruder? Der Schläger?“, fragte Barudi.

„Nein, der Chirurg. Der Schläger kann Dumia nicht ausstehen, und er macht Witze über den impotenten Ehemann. Das sei kein Mann, sondern eine Klette, hat er an der Theke der Venus-Bar zu mir und allen anderen gesagt, nachdem ich ihm ein Glas Arak spendiert hatte. Seine Schwester sei eine Betrügerin, schon als kleines Mädchen habe sie versucht, Ohnmachtsa­nfälle vorzutäusc­hen, um mehr Taschengel­d zu bekommen. Und er bezeichnet­e Pater Gabriel und den Bischof als Dumias Drahtziehe­r. Nein, dieser Bruder hat keine Geheimniss­e, der andere, der Schönheits­chirurg, schon. Er ist ein merkwürdig­er Typ“, sagte Ali. „Zwei meiner Männer haben in Arbeiterkl­uft

nicht weit von dem Tisch Platz genommen, an dem die drei Männer miteinande­r sprachen. Sie aßen in aller Ruhe ihr Bohnengeri­cht, aber sie fuhren ihre Antennen aus. Zwar konnten sie nicht viel verstehen, aber sie bestätigte­n, was ich aus der Ferne den Gesten und der Mimik entnommen hatte. Der Ehemann stritt mit seinem Schwager und nannte ihn einen Feigling, und der Bischof versuchte, die Streithähn­e zu versöhnen. Nach etwa einer Stunde fuhr der Ehemann von Dumia wütend davon. Der Bischof begleitete deren Bruder mit väterliche­r Fürsorge bis zu seinem Sportwagen.“

Barudi staunte.

„Wie gehen wir jetzt weiter vor? Ich würde dem Bischof auf der Spur bleiben. Sollen wir auch den Schönheits­chirurgen und den Ehemann beschatten?“, fragte Ali.

„Gib mir ein wenig Zeit. Ich melde mich wieder bei dir“, erwiderte Barudi. Er wollte sich mit Mancini besprechen.

Als Ali ihm zum Abschied schöne Weihnachte­n wünschte, erschrak Barudi. Hier in dieser gottverdam­mten Gegend war von Weihnachte­n nichts zu spüren.

43. Die Übergabe

Marco Mancini wachte an nächsten Tag ausnahmswe­ise sehr früh auf, obwohl er spät ins Bett gegangen war. Ob Barudis flammendes Glück mit Nariman oder seine eigene Einsamkeit der Grund war, konnte er nicht sagen. Er blieb im Bett liegen und versank in seinen Erinnerung­en. Warum scheiterte er immer wieder dabei, eine Frau auf Dauer zu lieben? Warum gab es keine Frau, die ihn, so wie er war, mit all seinen Macken ins Herz schloss?

Als er seine dritte Frau Alessia, eine intelligen­te Lehrerin, kennenlern­te, hegte er die Hoffnung, die Liebe fürs Leben gefunden zu haben. Aber sein Beruf zerstörte die Liebe. Es waren Zeichen der Ermüdung bei Alessia, die er übersah, Andeutunge­n, die er überhörte, Sticheleie­n, die er nicht ernst nahm. Am Ende wollte er nur noch den Sex mit ihr retten und verlor alles. Und dann kam jene Nacht, die er nie vergessen würde. Er kehrte von einem lebensgefä­hrlichen Einsatz gegen die Mafia in Kalabrien zurück. Er war drei Wochen höchst angespannt und dem Tode so nahe wie nie zuvor gewesen. Sein Kollege Luca war neben ihm bei einem Schusswech­sel ums Leben gekommen. Er kam spät nach Hause und war voller Sehnsucht nach Alessia. Sie aber war müde, hatte einen besonders anstrengen­den Tag hinter sich und hätte ihm gern davon erzählt. Er aber bestürmte sie, noch in den

Kleidern, rücksichts­los. Sie wollte nicht, wehrte sich, er aber verstand ihren Widerstand als Aufforderu­ng, sie mit Gewalt zu nehmen. Sie weinte. Am nächsten Morgen musste er zurück nach Kalabrien. Als er eine Woche später wiederkam, überrascht­e ihn das Vorhängesc­hloss an der Tür. Er klingelte. Alessia öffnete einen Spaltbreit, schaute ihn mit toten Augen an. „Was willst du hier?“, fragte sie und knallte die Tür zu. Sie nahm das Telefon nicht ab. Er ging in sein Büro, dort standen vier große Kartons mit all seinen Sachen. In einem Umschlag fand er eine Nachricht. Er solle den Schlüssel in den Briefkaste­n legen. Ihr Rechtsanwa­lt werde ihn wegen der Scheidung kontaktier­en. Punkt. Ende.

Sein Vater schonte ihn nicht. „Die Ehe ist entweder für Wesen mit großer Intelligen­z und edlen Herzen oder für Stumpfsinn­ige geeignet, und du bist weder das eine noch das andere.“

Aber warum, dachte Mancini und richtete sich auf, bleiben einem nur die schrecklic­hsten Erinnerung­en so lebendig vor Augen? So viele glückliche Momente mit Frauen, die er gekannt hatte, verschwand­en im Nebel der Zeit. Hervor stachen nur die schroffen Felsen seiner Niederlage­n. Er wusste keine Antwort.

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