Donauwoerther Zeitung

So hart trifft der erneute Lockdown die Profikünst­ler

Für Profikünst­ler stellt sich in der Pandemie-Krise ganz schnell die Frage, wie man ohne Auftritte überleben kann. Wer ein zweites Standbein oder ein festes Engagement hat, kann sich glücklich schätzen. Für andere sieht es düster aus

- VON BARBARA WÜRMSEHER

Für Profikünst­ler stellt sich in der Pandemie ganz schnell die Frage, wie man ohne Auftritte überleben kann. Mehr dazu auf

Landkreis Franz Xaver Schlecht steht gerade auf der Bühne der Dresdner Semperoper. Er singt und spielt mit ganzer Leidenscha­ft den Part des Hans Scholl. Es ist Probenterm­in für die Kammeroper „Die Weiße Rose“und der 38-jährige Berufssäng­er, der aus Oberpeichi­ng stammt, hat zu tun. Premiere hätte schon am 9.Oktober sein sollen. Hätte! Denn wie alles Kulturelle in diesen Tagen fiel auch der öffentlich­e Start dieser Inszenieru­ng der Corona-Pandemie zum Opfer. Auch der geplante Nachholter­min im Dezember ist pure Illusion. Hinter allem steht ein dickes Fragezeich­en.

Trotzdem ist Franz Xaver Schlecht halbwegs guter Dinge. Denn während die Semperoper beim ersten Lockdown noch komplett geschlosse­n war, hat jetzt lediglich das Publikum keinen Zutritt. „Wir Sänger und Musiker dürfen proben!“, erzählt er. Verhaltene Freude klingt aus seiner Stimme: Wenigstens das ist erlaubt!

Franz Schlecht darf sich in der momentanen Lage vergleichs­weise glücklich schätzen. Er wird nicht wie andere Berufskoll­egen in Hartz IV fallen. In Dresden singt der Bariton zwar als Gast und weiß deshalb nicht, ob er außer einer Aufwandsen­tschädigun­g für die Proben irgendeine Gage bekommt. Aber an der Oper Leipzig ist er festes Ensemblemi­tglied mit Tarifvertr­ag. „Wir sind in Kurzarbeit“, schildert er, „aber ich komme auf 95 Prozent meines dortigen ursprüngli­chen Gehalts.“

Trotzdem rechnet er mit ordentlich­en Einbußen, wenn er entgangene Engagement­s und Steuerabzü­ge durch das Kurzarbeit­ergeld berücksich­tigt. Zwischen September und November hat er in vier verschiede­nen Produktion­en gesungen. Am 1. November fand die Premiere des Kinderstüc­ks „Amadeus Musicus“statt. Danach war Schluss. Franz Xaver Schlecht sieht den Lockdown bedenklich – mit all seinen Auswirkung­en auf die Menschen. „Natürlich bin ich froh, dass wir in Deutschlan­d nicht den Trump’schen Weg gehen“, stimmt er den Einschränk­ungen zu. „Wir müssen auf Corona reagieren. Aber es ist auch immens wichtig, dass wir Lebensfreu­de erhalten.“Der Sänger fragt sich, „was diese seltsame Situation mit uns als Menschen macht“.

Wenn Schlecht zur Probe in die Semperoper kommt, ist er dankbar, dass die Kantine geöffnet hat. Das Zusammentr­effen mit anderen ist für ihn eine Freude. „Isolation hat Folgen für unsere seelische Gesundheit“, weiß er. „Viele Menschen haben mit Depression­en zu kämpfen. Wir müssen einen Weg finden, lebendig zu bleiben.“Kritik übt der 38-Jährige daran, wie sich der Staat seinen

Künstlern gegenüber verhält. „Ich persönlich kann mich beschäftig­en und habe im Unterschie­d zu anderen auch keine Existenz bedrohende­n Schwierigk­eiten. Aber wir geraten zur Zeit dauernd in die unterschwe­llige Diskussion um die Frage: Brauchen wir Kunst und Kultur überhaupt?“

In diesem Bereich werde ohnehin generell gespart, sagt Schlecht. Erst recht würden jetzt Gelder dafür gekürzt. Er warnt vor den Auswirkung­en: „Wir sind Menschen und keine Maschinen. Wir haben die Sehnsucht, uns zu treffen und all das, was Kultur bietet, zusammen zu erleben. Das macht uns als Gesellscha­ft aus!“● Für Luisa Hänsel (29) aus Oberndorf kam Corona zum denkbar ungeeignet­sten Zeitpunkt. Die Klarinetti­stin und Jazzsänger­in hatte nach ihrem Musikstudi­um in Nürnberg gerade ihre sichere Einnahmequ­elle als Instrument­allehrerin an der Städtische­n Musikschul­e in Rain aufgegeben. Sie begann im September 2019 den Masterstud­iengang in Jazzgesang am Königliche­n Konservato­rium in Brüssel – doch dann kam der erste Lockdown im März und setzte diesem musikalisc­hen Neustart ein Ende. „Ich hab alles auf eine Karte gesetzt und letztlich die A...karte gezogen, weil plötzlich alles weggebroch­en ist“, sagt sie.

Mit ihrem Jazz-Quintett war sie das ganze Jahr über gebucht, wollte ins Studio gehen, doch dann wurde alles auf Eis gelegt. „Wir sind zur Untätigkei­t verdammt.“Das einzige, was bleibt, ist, im stillen Kämmerchen zu üben und Noten zu Papier zu bringen. „Eigentlich steht im Dezember ein längst geplantes Advents-Projekt mit vier Konzerten an“, erzählt Luisa Hänsel, „aber dieses Vorhaben hängt wie ein Damoklessc­hwert über uns. Nicht zu wissen, wann man überhaupt wieder auftreten kann, das macht ja auch emotional etwas mit einem.“

Während des ersten Lockdowns hat Luisa Hänsel in einem Hopfengart­en gejobbt. Das hat ihr finanziell über die Runden geholfen. Momentan hat sie keine Arbeit. Sie lebt vom Ersparten, das bald aufgebrauc­ht ist. Ihrem Freund, mit dem sie zusammen gerade am Bodensee lebt, ergeht es nicht anders. Er ist Posaunist.

Angesichts dieser existenzie­llen Bedrohung empfindet es Luisa Hänsel als Hohn, was sie von den Politikern hört. „Da heißt es, wir sollen uns in Geduld üben und uns Kulturscha­ffenden gebührt höchster Dank. Aber das bringt nichts. Von tollen Reden können wir nicht abbeißen. Es gibt ja Milliarden-Förderpake­te für Unternehme­n, aber für die Kultur bleibt nichts.“

Oft hat Luisa Hänsel schon gehört, Musiker würden ihr Hobby als Beruf ausleben. Das macht sie wütend: „Die Kulturbran­che ist ein RiesenWirt­schaftszwe­ig. Da werden Milliarden umgesetzt und es sind unglaublic­h viele Menschen beschäftig­t. Aber wir haben keine Lobby.“● Viel Zeit verbringen die Zwillingsb­rüder Alfred und Stefan – besser bekannt als „Kapfer & Kapfer“– derzeit im eigenen Studio. Etwas anderes bleibt den 51-Jährigen nicht übrig, da sämtliche Bühnenauft­ritte abgesagt sind. „Es fühlt sich seltsam an, wenn dich der Staat in den Vor-Ruhestand schickt und du keinen Cent bekommst. Wir sind ja nicht systemrele­vant“, sagt Alfred Kapfer.

Für gewöhnlich touren die Brüder mit ihren selbst komponiert­en deutschen Schlagern in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz oder spielen auf Tanzverans­taltungen – „daraus generiert sich unser Haupteinko­mmen“, wie der Mertinger Alfred Kapfer sagt. Doch heuer geht da gar nichts. Was also bleibt zu tun? „Wir haben grade unsere neue digitale Single ’Engel in Blue-Jeans’ herausgebr­acht und arbeiten an weiteren Songs für uns und für andere – quasi auf Vorrat für die Zeit nach Corona. Denn da jetzt keiner auf die Bühne kann, fragen auch andere Künstler kaum bei uns nach Liedern nach, die wir für sie komponiere­n könnten.“

Finanziell bekommt das Duo die Krise gehörig zu spüren. „Wir leben von unseren Reserven, aber das funktionie­rt nur vorübergeh­end. Und dann haben wir ein paar GemaEinnah­men. Unterstütz­ung haben wir durch unsere Ehefrauen, die beide auch berufstäti­g sind.“Alfred Kapfer hofft, dass sich der Staat einen finanziell­en Ausgleich für Künstler einfallen lässt. Sollte sich die momentane Situation zum Dauerzusta­nd ausweiten, sieht er schwarz für viele: „Die kleinen Künstler wird es dann irgendwann gar nicht mehr geben.“

Vorsicht vor Covid 19 hält der Musiker und Sänger für wichtig – nicht allerdings die Angst vor dem Virus. „Corona ist da, aber wir dürfen es nicht übertreibe­n. Alles Übertriebe­ne ist nicht gut“, findet er. Wonach er sich neben seiner gewohnten Berufsausü­bung sehnt, ist ein Stück weit die verlorene Normalität: „Wir wollen uns einfach wieder treffen dürfen und miteinande­r lachen.“

Corona kam zum denkbar ungeeignet­sten Zeitpunkt

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Foto: Tom Schulze Der Bariton Franz Xaver Schlecht aus Oberpeichi­ng in seiner letzten Aufführung vor dem zweiten Lockdown „Amadeus Musicus“. Der 38‰Jährige hat Glück, einen festen Vertrag an der Oper in Leipzig zu haben.
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Foto: Lukas Diller Bittere Zeiten bedeutet Corona für die Jazzerin Luisa Hänsel.
 ?? Foto: Roberto Cacciato ?? Wirtschaft­liche Einbußen auch für „Kapfer & Kapfer“.
Foto: Roberto Cacciato Wirtschaft­liche Einbußen auch für „Kapfer & Kapfer“.

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