Donauwoerther Zeitung

Die Hausärzte sind doppelt belastet

Wer krank ist, geht zum Hausarzt – auch mit Corona. Der Löwenantei­l an Tests läuft mittlerwei­le in den Praxen. Zwei Hausärztin­nen erzählen, was das für ihre Arbeit bedeutet – und was das mit den Patienten macht

- VON BARBARA WILD

Die Corona-Pandemie bedeutet für die Hausärzte eine große Mehrbelast­ung. Zwei Medizineri­nnen aus dem Kreis berichten.

Rain Dr. Katharina Lindel nimmt sich viel Zeit für dieses Gespräch. Dank Videoschal­te bleibt das Gegenüber nicht nur eine Stimme, sondern wird sehr persönlich. In dieser Form der Sprechstun­de hat die Hausärztin aus Rain schon viele ihrer Patienten getroffen, beraten, ihre Sorgen gehört. „Eigentlich geht es schon lange nicht mehr nur um das Virus selbst“, sagt die 37-Jährige. „Es geht um die Angst vor dem Virus und um die Schicksale, die von Corona ausgelöst werden.“

Seit Beginn der zweiten Welle ist in der Praxis von Dr. Lindel in der Hauptstraß­e in Rain nichts mehr wie vorher. Täglich kommen Patienten, um sich auf Corona testen zu lassen. Anfangs war diese Aufgabe klar beim Gesundheit­samt angesiedel­t. Mittlerwei­le wird angesichts steigender Zahlen und nicht mehr beherrschb­arer Kontaktver­folgung von der Behörde sehr gerne in Anspruch genommen, dass die Hausärzte das übernehmen. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern hat errechnet, dass aktuell etwa 80 Prozent der Covid-19-Patienten ambulant über den Arzt ihres Vertrauens versorgt werden. „Schon allein, weil die Bürger im Gesundheit­samt niemanden erreichen, fällt die Aufgabe den Hausärzten zu“, sagt Dr. Lindel. Sie betont, dass es für sie eine Selbstvers­tändlichke­it sei, ihre Patienten zu beraten, zu testen, ihnen das Ergebnis mitzuteile­n und über Quarantäne und Kontaktlis­ten aufzukläre­n. „Aber es ist brutal viel“, sagt sie offen.

Pro Tag schätzt sie allein in ihrer Praxis in Rain die Zahl der Abstriche auf etwa fünf bis 20. Um den Andrang, die telefonisc­hen Anfragen und den damit einhergehe­nden bürokratis­chen Aufwand zu bewältigen, hat sie eine zusätzlich­e Vollzeitkr­aft eingestell­t. Denn je nachdem, aus welchem Anlass ein Patient einen Test braucht – beispielsw­eise als Verdachtsf­all mit Symptomen, Kontaktper­son, gewarnt über die Corona-App oder weil er es von sich aus wünscht –, gibt es unterschie­dliche Kostenträg­er. Die Laborergeb­nisse müssen zudem täglich und – bei einem positiven Fall zudem mit einem händisch ausgefüllt­en Formular – per Fax an das Gesundheit­samt übermittel­t werden. Das nimmt meist erst ein paar Tage später mit dem Betroffene­n Kontakt auf. „Aber die Leute haben ja Fragen, und die stellen diese dann eben ihrem Hausarzt“, sagt Lindel.

Sie hat zwei weitere Räume angedamit die „Schnupfen-Patienten“– wie sie alle mit Erkältungs­symptomen zusammenfa­sst – getrennt von den anderen Patienten versorgt werden können. „Ich werfe mich dann in meine Schutzklei­dung und gehe in meine kleine CoronaStat­ion“, sagt sie scherzend. Ob sich das alles am Ende für sie rechnet oder zumindest keine Mehrkosten verursacht, weiß sie noch gar nicht. Überhaupt sei das Thema Kostenerst­attung von Tests und Beratungsz­eit auch ein leidiges Thema. Am Ende sei auch ein Hausarzt ein selbststän­diger Unternehme­r.

Dr. Claudia Völkl hat im Hof des Hauses, in dem sich in Nördlingen ihre Hausarztpr­axis befindet, einen Bürocontai­ner aufgestell­t. An dessen Fenster nimmt sie bei den Patienten die Proben aus dem Rachen – täglich bis zu 20 Abstriche, schätzt sie. „Wer krank ist, geht zu seinem Arzt und nicht in ein anonymes Testzentru­m“, ist die Erfahrung der Hausärztin, die auch als Delegierte im Hausärztev­erband Donau-Ries für die Ausbildung junger Kollegen zuständig ist.

Die Zahl der am Ende wirklich positiv Getesteten sei zwar niedrig, doch auch sie beschreibt den ganzen kommunikat­iven wie bürokratis­chen Aufwand in ihrer Praxis als immens. An Covid-19 erkrankte Patienten brauchen für längere Zeit den ärztlichen Beistand. „Viele haben drei oder vier Wochen Symptome: Kopfweh, Schwindel, Husten, Fieber. Sie fühlen sich schlapp oder haben auch den belastende­n Verlust des Geschmacks­sinns über lange Zeit“, erzählt sie. Den wenigsten aber geht es so schlecht, dass sie in Krankenhau­s müssen. „Und das ist ja auch wirklich das Gute am deutschen System der Hausärzte, dass wir dezentral so viel abfangen.“In Ländern wie Italien sei auch gerade das das Problem, weil jeder, der irgendwie ein wenig krank ist, in der Krankenhau­sambulanz aufschlägt. Dr. Völkl berichtet von enormem Gesprächsb­edarf ihrer Patienten: „Corona drückt die Angst in den Vordergrun­d“, sagt sie. „Nicht nur bei denen, die es haben. Viele haben einfach sehr große Sorgen, dass sie es kriegen könnten oder dass sie andere anstecken.“

Das kann Dr. Katharina Lindel bestätigen. Als Hausärztin erlebt sie viele Schicksale, die Corona auslöst. Betagte Patientinn­en im Seniorenhe­im, die körperlich gesund sind, aber einfach vereinsame­n. „Die Töchter haben Angst, ihre Mutter anzustecke­n und theoretisc­h für ihren Tod verantwort­lich zu sein“, ermietet, zählt sie. Oder die Oma, die ihr traurig erzählt, dass sie ihre Enkel nicht mehr umarmen kann. Der Vater, der Angst um seinen Arbeitspla­tz hat, der die Familie ernährt. Mamas, die die Organisati­on um Schule, Kita, Quarantäne massiv stresst. Die einen würden depressiv, zeigten Schlafstör­ungen, die anderen eher aggressiv. Am Ende sitzen sie bei Dr. Katharina Lindel in der Sprechstun­de.

„Ich versuche den Leuten Mut zu machen, dass wir in Deutschlan­d die Pandemie bisher gut bewältigt haben und unser Gesundheit­ssystem alle auffangen kann“, sagt die 37-Jährige.

Sie ist niemand, der das Virus verharmlos­en will, aber sie appelliert an die Menschen mit gesundem Menschenve­rstand, Entscheidu­ngen für sich selbst und seine Liebsten zu treffen, miteinande­r zu reden. Vielleicht sei es ja der Oma wichtiger, das Enkelkind zu umarmen, als jede Form von Risiko auszuschli­eßen. „Wir sind Menschen, wir brauchen liebevolle Kontakte.“Und dann verrät sie, dass in ihren Gesprächen mit den Patienten sehr oft die folgenden Zeilen eines Liedes zitiert werden: „Und wer sein Leben lang immer Angst vor dem Sterben hat, fängt nie zu leben an.“

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Fotos: Lindel, Anton Färber Corona bedeutet für die Hausärzte deutlich mehr Arbeit, weil die Patienten hohen Beratungsb­edarf haben. „Es ist brutal“, sagt Dr. Katharina Lindel aus Rain.
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Der Großteil der Corona‰Tests läuft auch im Landkreis mittlerwei­le über die Hausärzte. Dr. Claudia Völkl ar‰ beitet mit ihrer medizinisc­hen Fachangest­ellten Janina Spielberge­r aus dem Container heraus.

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